Mitten in Ebersberg:Fürs Leben lernen

Was der römische Philosoph Seneca mit den Öffnungszeiten des Wertstoffhofes zu tun hat

Kolumne Von Alexandra Leuthner

Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir. Schrieb der römische Philosoph Seneca, "non vita sed scholae discimus". Tatsächlich hat der gebildete Mann das genau so gemeint. Den Sarkasmus, mit dem die Zeilen gewürzt waren, haben wohl jene - bewusst oder unbewusst - ignoriert, die das berühmte Zitat im Lauf der Jahrhunderte ins Gegenteil verkehrt haben.

Nun liegt der Philosoph nach beinahe 2000 Jahren längst nicht falsch mit seiner Einschätzung. So haben die Schüler einer vierten Klasse dieser Tage die Grundlagen der Kommunalverwaltung lernen dürfen - an sich eine großartige Sache, hätten sich die kultusministeriellen Macher der Lernvorlagen doch nur jemals die Rathäuser kleiner bis mittlerer bayerischer Gemeinden angeschaut und nicht nur große Stadtverwaltungen von, sagen wir, München oder Bremerhaven.

So taucht auf den Arbeitsblättern neben dem Bau-, dem Standes- oder Ordnungsamt immer wieder ein geheimnisvolles Gartenbauamt auf, und während die Kinder die erstgenannten Ämter selbstverständlich mit Doppelhaushälften, Eheschließungen und dem ordentlichen Funktionieren des Gemeindelebens in Verbindung bringen können, bleibt die Frage nach der Zuständigkeit des Gartenbauamts unbeantwortet. Aber, Hauptsache, sie können die Position in der Prüfung ordentlich aufzählen. Noch schlimmer hat es die Schüler einer gymnasialen Unterstufe getroffen, die in Geografie den Schichtenaufbau eines Nordseedeichs widergeben und das Bewässerungssystem für Tomaten im spanischen Murcia grafisch skizzieren mussten. Alles freilich für die Zukunftsfähigkeit eines oberbayerischen Schülers von wahrhaft eminenter Bedeutung. Ach Seneca...

Doch eine Lanze lässt sich an dieser Stelle brechen für die Lehrinhalte des bayerischen Schulsystems. Jüngst waren die Viertklässler beim Bürgermeister - sein Zimmer liegt neben dem Hauptamt, welches den Eleven nach Studium ihrer Arbeitsblätter bis dato völlig unbekannt war. Aber was soll's, "non scholae sed vita...". Und siehe, Seneca, es geht doch! Jetzt wissen die Grundschüler, bevor sie sich in Sachen Deichbau kundig machen, wo sie ihr Gemeindeoberhaupt finden. Beim nächsten Besuch können sie dann ja mal fragen, warum der Wertstoffhof immer dann zu hat, wenn ihre Eltern Zeit haben, ihren Sperrmüll wegzubringen.

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