Süddeutsche Zeitung

Mitten in Ebersberg:Der Wink mit der Bratpfanne

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Die Tatsache, dass einem die Eltern kurz nach Weihnachten einen neuen Topf schenken, verdeutlicht die Dringlichkeit der Situation: Das Kind soll ausziehen.

Glosse von Nathalie Stenger

Der Prozess um die Küchenutensilien und dem dazugehörigen Anliegen der Familie begann schleichend. Zunächst waren es nur Fragen, die gestellt wurden. Fragen nach Zukunftsplänen, nach favorisierten Städten und der Geldsituation. Dann kam Weihnachten, und vom Papa gab es eine Kuscheldecke mit einem mehr als lebensgroßen Motiv der Geschwister, und weil das noch nicht reicht, ein wirklich auffallendes Foto auf Canvas mit den selbigen. "Damit Du sie immer bei Dir hast", hieß es. Und die Mama überreichte eine nigelnagelneue Bratpfanne. Soweit so gut. Nun passierte aber folgendes: Tage später, der Baum war schon lange weg, bekam man noch ein weiteres Küchenutensil: Einen Topf. Der sei im Supermarkt im Angebot gewesen, lautete die Erklärung.

Die Sache ist die: Im Keller des Elternhauses stapelt sich so viel Allerlei vergangener Jahrzehnte, dass es nicht mal ansatzweise auffallen würde, wenn je ein Topf und eine Pfanne, 27 Kaffeetassen und drei Skijacken verschwänden. Aber die Tatsache, dass bewusst ein neuer Topf angeschafft und verschenkt wurde, einfach so, verdeutlicht die Dringlichkeit der Situation: Das Kind muss ausziehen.

Ist es der Raum, der frei wird? Endlich Platz für ein Arbeitszimmer? Oder ist es die Sorge um den Hausfrieden, der aktuell wirklich ein bisschen auf der Kippe steht? Mit vielen Leuten gleichzeitig im Bad zu sein, ist und bleibt aber einfach keine schöne Sache, besonders wenn alle Beteiligten älter werden. So oder so, es scheint recht brisant zu sein, sonst hätte es keinen außerfeiertaglichen Kochtopf gegeben.

Eigentlich schon recht praktisch. Jetzt muss man nur noch ein bisschen weiter daheim wohnen bleiben, und dann gibt es vielleicht auch noch einen Staubsauger oder so etwas. Die Grundvoraussetzungen für ein eigenständiges Leben sind somit geschaffen. Und falls dann trotzdem mal kein Geld mehr für die Heizung bleibt, kann man sich in die Gesichter von Schwester und Bruder wickeln.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2021
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