Mitten in der Region:Rennendes Huhn im Wunderland

Die Zeiten sind so seltsam, dass sich ein Zweijähriger über fast nichts mehr wundert - nicht mal über die ungewöhnliche Besucherin im Garten

Glosse von Franziska Langhammer

Die Kleinkinder von heute sind so einiges gewohnt. Von einem Tag auf den anderen tragen alle um sie herum Masken im Gesicht, zeitweilig flattert ein rot-weißes Absperrband um den geliebten Spielplatz, in die Kita geht es nur noch an ausgewählten Tagen. Kurzum: Es gibt kaum etwas, das es nicht gibt.

Und so kommt es, dass der Zweijährige vor wenigen Tagen aus dem Fenster schaut und wenig überrascht kommentiert: "Huhn." Man ist zu Besuch bei Oma und Opa. Die Oma schaut auch aus dem Fenster und sieht nur eine Amsel, die sich neugierig etwas aus dem Futterschälchen für die Katzen pickt. "Das ist eine Amsel", verbessert sie ihn. Den Zweijährigen scheint das nicht weiter zu jucken.

Einige Minuten später entfährt es der Oma: "Da ist ja tatsächlich ein Huhn!" Schnell steht die ganze Familie am Fenster. Zu sehen ist ein großes, weißes Federvieh, das mit aufgeplustertem Gefieder über die Terrasse irrlichtert. Im nächsten Moment ist das Huhn ums Hauseck verschwunden und taucht für den neugierigen Betrachter wieder auf der anderen Seite des Hauses auf. Gute zehn Minuten geht das Spiel: Das Huhn läuft stoisch um das Haus herum, gackert aufgeregt und verweilt keine zwei Sekunden an einem Ort. Zeitweise stellt man sich die Frage, vielleicht doch einer Fata Morgana anzuhaften? Oder ob man in einer bayerischen Version von Alice im Wunderland wieder aufgewacht ist?

Schließlich und endlich beendet ein junger Mann mit roten Backen das Treiben. Er bittet um Einlass in den Garten, um seine Henne wieder einzufangen. Woher er kommt, wo er wohnt, all das steht in den Sternen und kann auch mit dem Ende dieser Geschichte nicht aufgelöst werden. Das Huhn jedenfalls scheint seinen Häscher zu kennen, kurbelt noch mal den Turbo an und krakeelt zwei schneidige Runden um das Haus. Ihr Besitzer folgt ihr gezwungenermaßen. Der eine schnaufend, die andere empört gackernd, verlassen sie beide schließlich das Grundstück.

In der Familie ist man ratlos bis aufgeheitert. Nur der Zweijährige hat sich schon bei der ersten hühner'schen Hausumrundung gelangweilt und längst dem viel interessanteren Baggerpuzzle zugewandt. Es gibt halt nix, was es nicht gibt.

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