Ein Verbrechen zu begehen, ist im Grunde genommen nie eine gute Idee. Es gibt allerdings Orte, an denen sollte man seine Finger ganz besonders still halten. Gerichtshäuser etwa zählen zu dieser Kategorie. Jene altehrwürdigen Gemäuer also, in denen über Recht und Unrecht entschieden wird, wo Verbrecher bestraft und Unschuldige freigesprochen werden und die Wahrheit über die Unwahrheit siegt! Aber genug die Moralkeule geschwungen, denn offenbar gelten diese Grundsätze ohnehin nicht in allen Sitzungsstuben. So auch im Ebersberger Amtsgericht.
Dort steht im Wartebereich vor Sitzungssaal II - also jenem Raum, in dem in aller Regel die schwereren Vergehen behandelt werden - ein kleiner, flacher aber dennoch massiver Holztisch. Und mit diesem ist offenkundig schon häufiger Schindluder getrieben worden. Zumindest weist er an den Rändern gleich mehrere Gravuren auf, mit denen sich gewissenlose Gerichtsbesucher in dem Möbelstück verewigt haben. So steht dort unter anderem Folgendes geschrieben: "6. Juli 13. Die Abrechnung." Wer mit wem warum an diesem Tag abgerechnet hat, lässt sich heute allerdings nicht mehr nachvollziehen. Genauso wenig die Intention von demjenigen, der am "13. 3. 12" das Wort "Paradox" in das Holz geritzt hat. Des Weiteren ist die Tischplatte mit allerlei Mustern, einigen Initialen und unleserlichem Gekrakel verziert.
Die jeweiligen Täter dürften im Nachhinein nurmehr schwer zu ermitteln sein. Kameras gibt es in diesem Gebäudebereich keine, und um auf dem kleinen runden Überwachungsspiegel an der Zimmerdecke irgendetwas zu erkennen, bräuchte das Sicherheitspersonal Adleraugen. Da wir uns aber im Amtsgericht befinden, sollten dennoch einige Beweise in die Akten aufgenommen werden. Außer dem Tisch, sozusagen als Corpus Delicti, wären da noch die verschiedenen Zeitangaben und die Unterschiede in der Grafologie, die darauf schließen lassen, dass hier keine Tateinheit vorliegt. Somit ist davon auszugehen, dass sich nicht nur eine, sondern gleich mehrere Personen der Sachbeschädigung schuldig gemacht haben - und das just an dem Ort, an dem man Lausbuben eigentlich das Handwerk legen will.