Mit Vorurteilen aufräumen:Heldinnen in der Männerwelt

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Wie man mit Hilfe einer Aluminiumschiene Schwingung simulieren und berechnen kann, das zeigt Diplom-Ingenieurin Lisa Treml (links) den Schülerinnen. Die Firma Cadfem in Grafing ist eine von sieben Girls Day-Stationen im Landkreis. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am "Girls Day" werden Mädchen für sie untypische Berufe nähergebracht. Bei Cadfem in Grafing können sie zum Beispiel Computersimulationen und die Arbeit einer Ingenieurin kennenlernen

Von Matthias Reinelt, Grafing

Ingenieurin Lisa Treml holt ein Lineal hervor und legt es auf den Tisch, so dass ein Ende davon übersteht. Dann hält sie es auf der einen Seite fest und lässt es mit ihrer Hand auf- und abschwingen - wie ein Sprungbrett im Schwimmbad. Je nachdem, wie weit sie das Lineal nach vorne schiebt, verändert sich die Stärke der Schwingung und der Ton oder das Schnurren, das dabei entsteht.

Treml ist Diplom-Ingenieurin bei der Firma Cadfem in Grafing und will Mädchen an diesem Tag den Beruf der Berechnungsingenieurin näherbringen. Cadfem ist eine von sieben Stellen im Landkreis Ebersberg, wo Mädchen im Rahmen des "Girl's Day" für sie untypische Berufe kennen lernen können. Dieser spezielle Tag findet einmal im Jahr bundesweit statt. Im Landratsamt kann man dabei zum Beispiel mehr über den Beruf der Umweltingenieurin oder der Fachinformatikerin erfahren. Bei Cadfem sitzen acht Mädchen im Alter von elf bis 16 Jahren hinter Computern im Seminarraum und versuchen die Anweisungen von Treml auszuführen. Lisa Treml hat ein altes Küchenbrett mitgebracht und spannt es auf eine Aluminiumschiene. Mit Schraubzwingen macht sie die Schiene am Tisch fest. Vorher war es ihre Hand, nun fixieren Brett und Schraubzwingen die Schiene. Dann legt die 49-Jährige ein Tablet auf die große Schiene und lässt sie schwingen. Eine blaue Kurve schießt nach oben. Mit einer App kann man die Hertz-Zahl bestimmen und sehen, wie schnell sich die Schiene nach oben und unten bewegt. Was sie zeigen will: So wird Schwingung simuliert. Das könne zum Beispiel dabei helfen, eine Hängebrücke zu konzipieren. Hierbei muss die Schwingung genau berechnet werden, damit keine Schäden entstehen, erklärt Treml.

Die Haupttätigkeit der Firma sind Simulationen. Die Kunden kommen aus den verschiedensten Branchen, zum Beispiel aus der Automobilindustrie oder aus dem Bereich der Medizintechnik. Das Prinzip dabei immer: Was wäre wenn? Produkte werden also in einem Computermodell nachgebildet und zum Beispiel auf physikalische Einflüsse getestet, um dann noch verbessert werden zu können.

Die Mädchen sollen die Schiene nun auch selbst virtuell zum Schwingen bringen. Luisa ist mit ihren 13 Jahren zwar noch eine der Jüngsten, aber trotzdem schnell fertig. Dann wird ein Lastwagenmodell auf den Bildschirm projiziert. Anhand dieses Beispiels wird nun Strömung simuliert. Die "Spaghetti", wie Luisa sie nennt, sind farbige Linien und zeigen den Luftstrom an, der um das Fahrzeug fließt. Später will sie am liebsten Fotografin oder Architektin werden und Häuser am Computer designen. Sophie-Cecile sitzt neben ihr, sie möchte später im Beruf viel reisen oder Autorin werden. Für heute hofft sie, dass die Mädchen noch ein virtuelles Haus bauen dürfen. Treml verspricht, dass sie heute noch ein "Fantasiehaus" entwerfen. Felicitas geht in die zehnte Klasse am Gymnasium Grafing. Seit zwei Jahren hatte sie kein Informatik mehr, doch Simulation finde sie interessant und wollte es "unbedingt mal ausprobieren", sagt sie. Eigentlich will sie später zwar etwas anderes machen, etwas mit Sprachen, vielleicht Dolmetscherin, erzählt sie. Der Girls' Day helfe aber dabei, einzuschätzen, ob ein Beruf einem liegt oder nicht.

Tätigkeiten in anderen Berufen seien oft monoton, doch an ihrem Beruf schätzt Treml die Vielfältigkeit, auch weil die Kunden aus verschiedenen Bereichen kommen. "Es wird absolut nie langweilig", sagt die Diplom-Ingenieurin. Doch immer wieder seien Kunden am Telefon überrascht, wenn sich eine Frau meldet, erzählt sie. Frauen seien in Ingenieurberufen noch in der Minderheit. Das schrecke Mädchen vielleicht noch ab, sagt sie. Bei Cadfem sind von 52 Ingenieuren elf Frauen.

Oft sei zu beobachten, dass Mädchen von ihren Eltern und deren Berufen geprägt werden, sagt Rosi Jahn, Ingenieurin bei Cadfem. Mädchen würden eher typische Frauenberufe kennenlernen oder eher dazu motiviert werden, diese zu erlernen. Sie spricht sich dafür aus, in den Medien mehr weibliche Vorbilder zu schaffen. Experten im Fernsehen oder Helden in Cartoons seien häufig männlich. Ihre Idee: eine Serie zu produzieren, in der zum Beispiel eine Ingenieurin als Heldin auftaucht. Möglichkeiten für Schülerinnen, sich zu orientieren und sich über technische Berufe zu informieren, gebe es viele und könnten noch stärker genutzt werden.

Der Lastwagen und die Schiene sind inzwischen vom Bildschirm verschwunden. Die letzten Verbliebenen sind Seminarleiterin Lisa Treml, Luisa und Sophie-Cecile. Alle anderen haben sich schon auf den Heimweg gemacht, doch die zwei sitzen freiwillig nach. Auf ihren Bildschirmen sind zwei Modelle zu sehen. Sie wollen unbedingt noch weiter an ihrem Traumhaus basteln.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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