Mit Pauken und Paketen:Ein Tag für die Ewigkeit

Mit Pauken und Paketen: Ferdinand Larasser übt mit einem Mädchen an der Trompete.

Ferdinand Larasser übt mit einem Mädchen an der Trompete.

(Foto: Korbinian Eisenberger/OH)

Mitten in einem Township von Soweto trifft das Grafinger Jugendorchester auf die Kinder einer Musikschule. Es kommt zu Begegnungen, die schwer in Worte zu fassen sind. Ein Versuch.

Reportage von Korbinian Eisenberger, Soweto/Johannesburg

Jordan aus Soweto besitzt eine Posaune. Man erkennt sie an den verrosteten Stellen. Und daran, dass das Metall so verbeult ist. Man braucht gehörig Kraft im Arm, damit sich der Zug verschieben lässt. Wie praktisch also, dass der große Mann mit der Lederhose ein Posaunenöl dabei hat. Ein paar Tropfen, jetzt lässt sich der Zug wieder gut bewegen. Jordan sagt: "I will never play without this oil anymore." Und schon sitzt Hiase Gruber in der Zwickmühle. Er hat nämlich nur ein Posaunenöl nach Südafrika mitgebracht.

Tag vier in Johannesburg. Ihre Reise führt die Musiker vom "Grafinger Jugendorchester" am Samstag in eine Schule nach Soweto. Mitten im Township, zwischen Blechhütten, Autowracks und vertrockneten Wiesen. 60 Musiker aus Oberbayern treffen auf die Musikschüler des "Eyethu Soweto Music Project". Um die 70 Kinder sind gekommen, vielleicht sind es auch etwas mehr. Unter der Leitung des "Johannesburg Youth Orchestra" lernen sie hier musizieren, mit Flöte und Geige. Und an diesem Samstag mit ungewöhnlichen Besuchern.

Es ist ein Tag, den hier so schnell niemand vergessen dürfte. Die Grafinger sind fast komplett in Tracht erschienen, Frauen und Mädchen im Dirndl, die Männer und Buben in Lederhose. Und natürlich mit Kontrabass, Tuba, Akkordeon und Trompete. Drinnen in der Schule warten Buben und Mädchen mit T-Shirts und Jeans. Zwischen den Kindern aus Soweto und den Musikern aus Grafing liegen normalerweise 11 000 Kilometer. Jetzt treffen sie hier in Südafrika aufeinander. Klappt das?

Minuten vergehen, da vermischen sich Tracht und Jeans, Flöte und Ziach, Kinder und Erwachsene. Severin Berger ist von einer Gruppe Flötenspieler umringt. "Severin", sagt er, fast wie der Snape in Harry Potter, nur nicht ganz so böse. Und dann geht es auch schon los. Im Klassenzimmer stimmen kleine Flötenspieler "Pata Pata" an, so was wie die heimliche Nationalhymne der Südafrikaner. Sepp Urban hat seine Geige am Kinn und spielt sanft im Rhythmus der Kinder mit. Dann setzt Florian Stürzer mit dem Akkordeon ein. Es folgt die Posaune von Brigitte Hacker, Miriam Schweinböck an der Querflöte. Ein improvisiertes Konzert im Klassenzimmer. Während draußen die Posaunen geschmiert werden.

Es braucht keine Worte, weil hier Musik die gemeinsame Sprache ist

Überall scheppert, rumst und rumort es. Mit den Menschen vermischen sich auch die Klänge. Bayerische Volksmusik mit afrikanischen Beats. Und wenn der elfjährige Schlagzeuger Katlego loslegt, tanzt der ganze Saal mit. Man versteht jetzt sein eigenes Wort kaum. Aber das macht nichts, weil es keine Worte braucht. Weil hier Musik die gemeinsame Sprache ist.

Kgotlhelelo interessiert sich eher für Streichinstrumente. Oder doch lieber das Akkordeon? Gar nicht so einfach, bei so viel Auswahl. Die Zehnjährige hat ihre Lockenhaare mit einem Band zusammengebunden. Das ist praktisch - etwa wenn man eine Geige in der Hand hat und Töne erzeugen will. Kgotlhelelo probiert alles durch, Teresa Grubers Geige, dann das Schlagzeug - und natürlich die quietschgelbe Quetsche von David Hacker. Sie ist fast so groß wie sie selbst. Das Mädchen hat ein Leuchten in den Augen, das man von Kindern in Bayern kennt, wenn sie an Weihnachten ihre Geschenke auspacken.

Geschenkt wird einem in diesem Land nichts, das ist hier gut zu sehen. Die Menschen in Soweto brennen etwa hohes Gras auf den Wiesen nieder, damit sich niemand neben ihren Häusern verstecken kann. Das ist vor allem in solchen Gegenden, wo es kein fließendes Wasser gibt, keinen Strom und so gut wie keine medizinische Versorgung. Wo niemand überprüft, ob ein Kind zur Schule geht oder nicht.

Mitten in so einer Gegend steht die Schule von Thembekile Prisca Tshabalala. Die 70-Jährige hat das Projekt vor 20 Jahren aufgebaut. Unter der Woche unterrichtet sie dort behinderte Kinder, am Samstag kommen immer die Musikschüler. Jetzt steht sie mit selbstgestrickter Jacke und Kopftuch zwischen jungen Männern und Frauen in bayerischer Tracht.

Ihr Ehemann lässt sich scheiden, weil der gemeinsame Sohn behindert ist

Als sie ihren jüngsten Sohn zur Welt brachte, da waren die meisten hier noch nicht geboren. Ihr Baby kam mit einer Cerebralparese zur Welt, eine spastische Behinderung, mit der man in Südafrika ziemlich alleine gelassen ist. "Mein Mann ließ sich daraufhin von mir scheiden", sagt sie, eine Mischung aus Zulu und Englisch. Zwölf Jahre später starb Nkanyezi Mark an seiner Krankheit, sein Foto hängt noch in der Schule. Nach seinem Tod gründete Mutter Tshabalala die Behindertenschule. "Damit andere Hilfe haben."

Ihre Geschichte ist eine von vielen, in den Stunden in Soweto. Später wird es nach Johannesburg gehen, auf dem Nelson-Mandela-Square werden sie ein 90-minütiges Konzert geben. Es wird Applaus und Jubel geben, die Leute werden mitmachen. Aber es ist was anderes, wenn einen kleine Schulkinder mit großen Augen anschauen.

Jordan macht sehr große Augen. Da kann Hiase Gruber nicht widerstehen. Auch wenn die anderen Posaunisten ebenfalls kein Posaunenöl mit dabei haben. Irgendwo werden sie schon eins auftreiben. "Diesen Tag werden wir alle nie vergessen", sagt Gruber. Und so bekommt Jordan ein Geschenk überreicht, das in Deutschland zwölf Euro kostet. Aber für einen kleinen Bub aus Soweto so viel mehr wert ist.

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