Landkreis Ebersberg:Missbrauch von Kindern: Es gab offenbar Hinweise

NSU-Prozess

Der Prozess am Strafjustizzentrum dauert an.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Im Fall mehrerer sexueller Übergriffe in einem Kinderhort im Kreis Ebersberg taucht die Frage auf, ob die Angestellten nicht früher hätten Verdacht schöpfen müssen.

Aus dem Gericht von Andreas Junkmann, Ebersberg/München

Sie sei "vom Stuhl gefallen", als sie von den Vorfällen erfahren habe, sagte die damalige Geschäftsführerin des Hortträgers. Eine pädagogische Mitarbeiterin sprach von einem "großen Schock", sie sei "wie vor den Kopf gestoßen" gewesen. Es geht um mehrere Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, wegen derer sich ein 49-jähriger Erzieher aus dem Landkreis Ebersberg seit vergangenem Montag vor dem Landgericht verantworten muss.

Das Entsetzen über die Vorkommnisse aus den Jahren 2018 und 2019 ist den ehemaligen Kolleginnen des Mannes deutlich anzumerken - am zweiten Verhandlungstag in München stellte sich allerdings auch die Frage, ob man bereits vorher etwas ahnen und dadurch die Übergriffe hätte verhindern können. Und tatsächlich lassen einige Zeugenaussagen den Schluss zu, dass in dem Fall womöglich zu spät reagiert wurde.

Der Angeklagte hatte bereits zu Beginn der Verhandlung viele der Beschuldigungen eingeräumt. So gab er etwa zu, sich in einem Kinderhort im westlichen Landkreis mehrfach sexuell an einem damals sieben- beziehungsweise achtjährigen Mädchen vergangen zu haben. Den Missbrauch eines weiteren Kindes - einer damals neunjährigen Freundin seiner eigenen Tochter - hatte er ebenso gestanden wie den Besitz einer knapp 1500 Dateien großen Sammlung an kinder- und jugendpornografischen Bildern und Videos. Wie sich nun herausstellte, fertigte der Mann davon deutlich mehr selbst an, als ihm zunächst in der Anklageschrift vorgeworfen worden war.

Dort ist lediglich die Rede davon, dass der 49-Jährige das Hortkind und die Freundin der Tochter fotografiert habe. Wie Richter Martin Hofmann nun aber sagte, habe der Erzieher ebenfalls eingeräumt, vor mehreren Jahren an einer seiner früheren Stationen bereits Videos von jungen Mädchen gemacht zu haben, denen er mit Hilfe einer Smartwatch heimlich unter den Rock filmte.

Konfrontiert mit diesen neuen Tatsachen sagten dessen ehemalige Kolleginnen zwar aus, sie hätten dahingehend kein verdächtiges Verhalten beim Angeklagten beobachten können, manch anderes hingegen sei ihnen aber durchaus merkwürdig vorgekommen. So hatten die Geschäftsführerin des Horts Hinweise erreicht, wonach der Angeklagte ein überaus enges körperliches Verhältnis zu den Kindern pflege. Daraufhin habe sie, so die 63-jährige Sozialpädagogin nun vor Gericht, eine Kinderschutzbeauftragte eingeschaltet und das Gespräch mit der Hortleitung gesucht.

Passiert ist allerdings nichts. Ebenfalls keine Konsequenzen wurden gezogen, als die Mutter des missbrauchten Mädchens mehrfach gegenüber den Mitarbeitern den Wunsch geäußert hatte, der Erzieher solle sich von ihrem Kind fernhalten. Von einem solchen Gesuch berichteten mehrere Angestellte übereinstimmend, richtig ernst hat es aber wohl niemand genommen. Eine der Erzieherinnen, die zum Teil auch privat mit dem Angeklagten befreundet waren, gab an, die Frau habe eben ein Problem damit gehabt, "dass sich ein männlicher Kollege um ihre Tochter kümmert".

Was Richter Hofmann an den Aussagen der Zeuginnen nach eigenem Bekunden vor allem "bemerkenswert" fand, war die Tatsache, dass es in der Einrichtung offenbar kein vorbereitetes Konzept dafür gab, falls es zum Verdacht eines Missbrauchs kommen sollte. Für diese Situation gebe es keine Regularien, sagte eine der Hort-Mitarbeiterinnen. "Wir hatten so was ja bisher noch nie."

Das erste Mal den Umgang des Mannes mit Kindern in Frage gestellt haben die Kolleginnen in einem anderen Zusammenhang. Nach einigen Querelen im Hort sollte der Posten der stellvertretenden Leitung neu besetzt werden, um den sich auch der Angeklagte beworben hatte. Als die Geschäftsführerin in einer Teamsitzung aber bekannt gab, dass die Stelle extern vergeben werden sollte, sei die Situation eskaliert. So schildern es jedenfalls die damaligen Teilnehmer vor Gericht. Der Angeklagte habe eine "hohe Gewaltbereitschaft" gezeigt, sagte die Geschäftsführerin.

Eine andere Erzieherin berichtete, sie und ihre Kolleginnen hätten "echt Angst bekommen vor ihm". An diesem Punkt habe sie erstmals ernsthaft an seiner Eignung als Erzieher gezweifelt, sagte die damalige Geschäftsführerin. Da war es allerdings schon zu spät, zwei Tage darauf wurde der Mann festgenommen. Dieser wird nun noch zwei weitere Male vor dem Landgericht erscheinen müssen, ein Urteil soll es Ende Oktober geben.

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