Kultur im Landkreis Ebersberg:Ein Zappelphilipp wird erwachsen

Kultur im Landkreis Ebersberg: Klar, auch Michael Mittermeier, Comedy-Gigant der 90er, ist älter geworden. Doch wahrscheinlich wird er bis ins hohe Alter ein Berufsjugendlicher bleiben.

Klar, auch Michael Mittermeier, Comedy-Gigant der 90er, ist älter geworden. Doch wahrscheinlich wird er bis ins hohe Alter ein Berufsjugendlicher bleiben.

(Foto: Christian Endt)

Der Comedian Michael Mittermeier präsentiert im Alten Kino taufrisches Material - und schonungslose Offenheit: Neben höchst aktuellen Themen geht es auch um das schwere Schicksal seiner Familie.

Von Anja Blum, Ebersberg

Wann haben Sie das letzte Mal Tränen gelacht? Nicht als Emoji, sondern ganz in echt? Schon eine Weile her? Dass es sich lohnt, Freunde zu animieren, Tickets zu kaufen und dann das Sofa zu verlassen - allen möglichen pandemischen Bedenken zum Trotz - hat nun erneut das Alte Kino in Ebersberg bewiesen. Dort kann man immer wieder Überraschendes erleben, seinen Horizont erweitern, mit Freunden Freude teilen und eben: Tränen lachen.

So geschehen am Mittwochabend, auf der renommierten Kleinkunstbühne zu erleben war da Michael Mittermeier mit einem "Try-Out" - einem Ausprobierabend also, der trotz aller Vorläufigkeit zu einem sensationellen Start in die Herbstsaison des Alten Kinos geriet. Auch, weil der Zuschauerraum bestens gefüllt war, Ältere und Jüngere hatten die Couch verlassen. Stars wie Mittermeier füllen eben - ganz im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, leider - auch unter den heutigen Umständen noch Säle.

Ja, Mittermeier ist ein Unterhaltungsprofi. Sogar mit Spickzetteln ausgestattet, wickelt der 56-Jährige aus Pullach, aufgewachsen in Dorfen, sein Publikum im Nu um den Finger. Bestechend ist vor allem sein Timing, seine Dynamik: Wie er immer wieder Gas gibt, die Pointen im Sekundentakt raushaut, und sich dann im genau richtigen Moment wieder bremst, um den Gehirnen und Zwerchfellen eine Pause zu gönnen, das zeugt von großem Können. Dabei ist das Material tatsächlich noch taufrisch: Im ersten Teil probt Mittermeier ein "Spezial" für einen baldigen Fernsehauftritt, nach der Pause bekommen die Ebersberger "#13" serviert, das neue Programm.

Es ist die absurde Realität, die Mittermeier, selbst staunend, zu beleuchten versucht

Inhaltlich geht es an dem Abend quer durchs Gemüsebeet, doch ein paar große Themen lassen sich durchaus herauskristallisieren: Im höchst aktuellen Teil eins geht es um Corona, Russland, die Queen und das "schräge" Sicherheitsbedürfnis der Deutschen, in Teil zwei stehen Social Media und die Kirche auf Mittermeiers Prüfstand. Kurz gesagt: Es ist die absurde Realität, die er, selbst staunend, zu beleuchten versucht. "Wer schreibt dieses Skript? Spielen die da oben, Allah, Buddha und der liebe Gott, etwa LOL? Wer als erstes lacht, fliegt raus?" Selbst ein Comedian könne so ein Drehbuch schließlich nicht besser erfinden.

Klar, auch Michael Mittermeier, Comedy-Gigant der 90er, ist älter geworden. Die Stachelfrisur leuchtet weiß, Mimik und Gestik sind etwas reduziert. Soll heißen: Er zappelt nicht mehr ganz so viel herum wie früher, aber das mag ja nicht das Schlechteste sein. Zumal es in dieser Hinsicht nichts zu vermissen gibt, Mittermeier unterlegt seine Geschichten immer noch mit reichlich Grimassen und seinem ganz eigenen Ausdruckstanz, mimt zur Not allein ein ganzes Ensemble. Und ja, er wird vermutlich bis ins hohe Alter ein Berufsjugendlicher bleiben, das Kind im Manne, es bricht sich immer wieder Bahn.

"Spazierengehen ist wie sterben, nur langsamer", habe die Tochter gesagt

Mit diebischer Freude führt Mittermeier Corona und all seine Mutanten auf der Straße ad absurdum, beschreibt den Covid-Test als "Gehirnspiegelung", bei der aus Versehen auch mal ein Gedanke den Schädel verlässt, oder malt sich die Taliban im Home-Office aus: "Puff, puff, puff - alle Teilnehmer haben das Meeting verlassen." Bedenkenswert auch dieser Satz, entliehen dem Mund der jugendlichen Tochter: "Spazierengehen ist wie sterben, nur langsamer."

Deutlich macht der Abend aber auch: Es sind schwierige Zeiten für Kabarettisten. Wo findet man angesichts von Corona, Krieg und Klimakrise noch Wahrheiten, wo die Grenzen des Humors? Und so bleibt auch bei Mittermeier, der sich selbst als politisch links und grün bezeichnet, so mancher Gedanke eher angedeutet als ausgesprochen. "Ach, ich hab ja auch keine Ahnung", gesteht er am Ende des Abends. "Mögt Euch einfach. Mehr kann man nicht sagen."

Vor allem beim Thema Kirche wird der Comedian richtig böse

Zwischendrin allerdings findet der Comedian erstaunlich deutliche Worte. Einen Schlagersänger und Corona-Leugner etwa bezeichnet Mittermeier unverhohlen als "Ganzkörperschwanz", und auch mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft diesen Winter in Katar kann er sich in Rage reden: "Finale am vierten Adventsonntag? Und dann? Public Churching?" Klar, die Leinwand könne man ja am Kreuz aufhängen, da, wo die zwei Nägel rausstünden. "Die Fifa nimmt uns Weihnachten weg, nicht die Moslems!" Beim Thema Kirche wiederum wird Mittermeier dann richtig böse: Warum diese gegen Abtreibung sei? "Die brauchen immer Nachschub für den Missbrauch." Peng. Da bleibt wohl schon so manchem Zuschauer kurz die Spucke weg.

Doch komplett entsagt hat Mittermeier, streng katholisch erzogen, dem Glauben nicht. "Ich mag Jesus - trotz seines Vaters." Gekonnt kontrastiert der Kabarettist die Botschaft der Nächstenliebe - "like Deinen Nächsten wie Dich selbst" - mit der heute allgegenwärtigen "Grundaggression", sei es ganz analog bei der Parkplatzsuche oder, natürlich, im Internet. Auch er selbst werde online viel beschimpft, auf Platz eins der Schmähungen stehe der "Systemwichser." Aber dieses Wort sei derart unlogisch - "ich hab da kein System, außer einer gewissen Geschwindigkeit" - dass er darauf gar nicht mehr reagiere. Ohnehin halte er viel Gegenwind aus: "Ihr kriegt mein Herz nicht dunkel!"

Star Trek, Aquaman und Co. sind freilich auch wieder dabei

Typisch Mittermeier sind seine Brückenschläge zum Film, bereits sein allererstes Programm "Zapped" spielte ja mit der kollektiven Erinnerung an vergangenen TV-Freuden. Diesmal kommen vor: "Star Trek", wo dank Mittermeier höchstselbst endlich der Sicherheitsgurt eingeführt wurde, die Comic-Verfilmung "Aquaman", deren Hauptdarsteller seiner vielen Muskeln wegen im Hause Mittermeier fast eine Ehekrise auslöste, und der "Herr der Ringe" - als Metapher für die aktuelle Lage: "Wir stehen gerade am Ende von Teil zwei", konstatiert der Kabarettist. "Eine große Schlacht wurde zwar schon gewonnen, aber vorbei ist es erst, wenn Karl den Ring ins Feuer geworfen hat." Hoffnung machen soll auch der Hinweis auf eine filmische Dystopie aus dem Jahr 1973 mit dem tatsächlich nicht erfundenen Titel "Jahr 2022 ... die überleben wollen". In dieser Geschichte über die Menschheit am Abgrund nämlich gebe es ausschließlich grüne Chips zu essen, in denen Menschenfleisch verarbeitet sei, und das nicht immer freiwillig. "Da stehen wir im Vergleich doch gar nicht so übel da!"

Besonders erstaunlich ist schließlich Mittermeiers Offenheit: Immer wieder erzählt er von sich selbst - und das oft nicht zu seinem Vorteil. Seien es körperliche Unzulänglichkeiten wie das Unvermögen, dem psychischen "Druck" des Stehbieselns standzuhalten, der Shitstorm auf einen vermeintlich harmlosen #Lebensfreude-Post oder missglückte Kommunikationsversuche, etwa mit der 14-jährigen Tochter, für die er doch so gerne ein Superheld wäre: Der 56-Jährige kann sich die Blöße geben, ohne mit der Wimper zu zucken.

Am Ende schenkt Mittermeier dem Publikum sogar eine sehr persönliche Offenbarung

Und so wird es am Ende sogar richtig ernst und persönlich: Mittermeier erzählt von vier Fehlgeburten, die seine Frau und er hätten erleben müssen - und geht erneut scharf ins Gericht mit der Kirche. Die ersten beiden Kinder hätten, weil ungetauft, nur in einem "Massengrab" beerdigt werden dürfen, mit Aussicht auf die "Vorhölle" - "ein Konzept, das ich einfach nicht verstehe". Erst später habe man diese Regelung aufgehoben, für die beiden weiteren Kinder habe sie nicht mehr gegolten. "Dabei würde ich mir so wünschen, dass sie sich alle vier treffen könnten da drüben."

Deutlich ist zu spüren, dass es Mittermeier ein Anliegen war, seine verlorenen Kinder und das Ringen mit diesem Verlust in das neue Programm zu integrieren. Schon aus dem Bedürfnis heraus, "damit nicht allein" zu sein. Vor so viel Ehrlichkeit kann man nur den Hut ziehen - obwohl das Thema Fehlgeburten vermutlich das Allerletzte ist, was die Gäste einer solchen Show erwarten. Ein Tabubruch? Vielleicht, ja. Aber genau deshalb ist eine solche Offenbarung so wertvoll.

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