Süddeutsche Zeitung

Meta Theater Moosach:Wider die Gleichgültigkeit

Ein Online-Dialog bietet Interessierten die Möglichkeit, mit der Biografin Gunna Wendt über das Leben der Glonner Autorin Lena Christ zu sprechen

Von Antonia Voelzke, Ebersberg

"Lena Christ hat sich selbst erfunden und wieder ausgelöscht, ihr Ende 1920 inszeniert als Freitod einer großen Tragödie auf dem Münchner Waldfriedhof. An einem Tag, den es nicht gibt", beendet Schriftstellerin Gunna Wendt die Kurzlesung aus ihrem Buch "Lena Christ - die Glückssucherin". Am Montag hatte sich die Autobiografin aus München im Rahmen des Online -Dialogs "Lena Christ und wir" eine Stunde Zeit genommen, um Fragen von Interessierten zu beantworten. Die Kurzlesung war Wendts Einstieg in das Gespräch, in dem es allerdings mehr um Lena Christs Leben als um ihren Tod gehen sollte.

Für das Zoom-Meeting sitzt Wendt im Moosacher Meta Theater, gemeinsam mit dessen Gründer, Axel Tangerding. Acht Personen haben sich online zugeschaltet und lauschen der Autobiografie. Im Prolog erzählt Wendt von ihrer Entdeckung des falschen Todesdatums auf dem Grab von Lena Christ: Einen 31. Juni 1920 habe es nie gegeben. Wendt vermutet das irreführende Datum sei ein Zeichen Christs an die Nachwelt: "Schaut stets genau hin!" "Lena Christ wollte immer der Gleichgültigkeit entgegenwirken. Das war ihr lebenslanger Kampf und ihr zentrales Ziel", sagt Wendt. Das lasse sich auch aus ihrem Schreibstil herauslesen. Lena Christs Texte seien immer sehr direkt, sehr radikal gewesen. Damit wolle sie den Leser aufmerksam machen und so der Gleichgültigkeit entgegenwirken, so Wendt.

Die Teilnehmer der Veranstaltung hören gespannt zu. Während ein paar aus Lena Christs Heimat Glonn zugeschaltet sind, findet sich auch eine Interessierte aus Weimar unter den Zuhörern. "Warum kommt Lena Christ trotz der starken Misshandlungen nicht von ihrer Mutter los, und warum behandelt diese sie so?", möchte jemand wissen. "Die Mutter ist sehr schwer zu fassen", sagt Wendt, sie habe etwas sehr Zwiespältiges. Im Roman "Die Rumplhanni" fände sich viel Autobiografisches über die Mutter, so Wendt. Ein Grund für ihr sadistisches Verhalten könnte der Frust über das eigene Leben gewesen sein. "Die Tochter sollte es da nicht leichter haben, könnte die Mutter gedacht haben", erklärt Wendt.

Leicht hatte es Lena Christ in der Tat nicht, erzählt Wendt, nachdem sie in jungen Jahren zu ihrer Mutter nach München gezogen war, musste sie schlimme Misshandlungen und Demütigungen aushalten. Trotzdem wollte sie nie die Rolle einnehmen, die ihr zugeschrieben wurde, sagt Wendt: "Sie wollte sich ein schönes Leben machen, sie wollte einen Beruf, Familie, schöne Kleidung und Schmuck." Aus diesem Grund habe Wendt ihre Biografie über Lena Christ "Die Glückssucherin" genannt. "Ich wollte den Fokus nicht auf die Überflüssige lenken, sondern auf die positive, auf die sich selbst erschaffende Lena Christ", sagt Wendt.

Auf der Suche ist auch die Teilnehmerin aus Weimar. Sie suche nach Vorbildern in einer selbsterschaffenden Phase, erzählt sie. "Ich bin selbst Künstlerin, sehe mich als privilegierte Frau, weiß aber derzeit nicht, ob ich mit meiner Arbeit weitermachen soll." Nun sei sie auf der Suche nach starken Frauen, um zu sehen, wie diese schwierige Situationen gemeistert haben. Dass Lena Christ als Frau damals schon so unbeirrt ihren Weg gegangen ist und sich trotz der schwierigen Voraussetzungen immer wieder gegen Widerstände durchgesetzt hat, sei für damalige Verhältnisse etwas sehr Ungewöhnliches, betont Biografin Gunna Wendt.

Einer der Teilnehmer aus Glonn erzählt, er sei während des Lockdowns durch die Stadt gelaufen und habe beim aufmerksamen Umschauen die Lena-Christ-Straße sowie das Geburtshaus der Schriftstellerin bemerkt. Dadurch sei er auf die berühmte Glonnerin aufmerksam geworden. Nachdem er die Biografie von Lena Christ gelesen hatte, habe er sich noch mehr über ihr Leben informiert. "Es ist auf jeden Fall das richtige Jahr, um sich mit so etwas zu beschäftigen", sagt er im Hinblick auf die Corona-Krise.

"Eigentlich wird Lena Christ in der falschen Spielklasse gehandelt", sagt Wendt. Trotz ihres direkten, sehr radikalen Schreibstils habe die Glonner Schriftstellerin nicht einfach irgendwelche Inhalte beschrieben, so Wendt, vielmehr habe sie "sich in Bibliotheken informiert und viel recherchiert". Zudem müsse man berücksichtigen, dass es damals wirklich sehr besonders war, als Frau einem künstlerischem Beruf nachzugehen: Durch Lena Christ werde deutlich, wie viele Frauen damals auf der Strecke blieben. Christ jedoch habe eine Idee von sich und ihrem Leben gehabt, die sie gegen alle Widerstände und Hürden durchgesetzt habe, sagt Wendt. "Sie schrieb mit viel Sicherheit, das Schreiben war etwas, bei dem sie wusste, dass sie es konnte." Lena Christs Schaffen und ihr ewiger Kampf gegen die Gleichgültigkeit - das sei bis heute etwas Modernes, so lautet Gunna Wendts Fazit.

Auf den Spuren von Lena Christ": geführter Spaziergang mit Gunna Wendt und Hans Obermair, am Samstag 27. Juni, von 14 bis 16.30 Uhr, Treffpunkt Heimatmuseum in der Klosterschule, um Spenden wird gebeten; "Lena Christ, die Glückssucherin", Lesung mit Gunna Wendt, am Samstag 27. Juni, 20 Uhr, Meta Theater in Moosach.

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SZ vom 24.06.2020
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