Meta Theater:In Moosach so fern

Idee einer europäischen Republik stößt auf wenig Interesse

Von Peter Kees, Moosach

Hunderte, Tausende Menschen sollte man meinen, kämen zur Ausrufung einer europäischen Republik. In Moosach waren es gerade mal zehn. Ja, dort wurde am Samstag tatsächlich die europäische Republik ausgerufen - als Teil einer künstlerischen Intervention. Der Schriftsteller Robert Menasse und die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Guérot, unterstützt vom Schweizer Regisseur Milo Rau, haben im Rahmen ihres "European Balcony Project" ein Manifest verfasst, in dem sie fürwahr die europäische Republik fordern. Zum hundertsten Jahrestag vom Ende des Ersten Weltkrieges wurde diese Erklärung nun zeitgleich in mehr als 300 Städten in ganz Europa vorgetragen, an verschiedenen Theatern. Eine der beteiligten Spielstätten war das Moosacher Meta Theater.

Besonders spektakulär war der Moment allerdings nicht, als Axel Tangerding jene Erklärung vor dem bescheidenen Publikum vorlas. Die Hoffnung, nach regem Austausch das Theater mit der geschwollenen Brust eines frisch gebackenen Europäers zu verlassen, ging nicht so ganz auf. Zwar diskutierte man im Kreise sitzend verschiedene Aspekte der europäischen Idee - durfte auf einer Landkarte sogar die eigene Vorstellung der Republik einzeichnen - doch die Büchse der Pandora wurde nicht wirklich geöffnet. "Vielleicht hat sie sich einen Spalt aufgetan, um mal einen Blick in eine mögliche Zukunft werfen zu können," so ein Kommentar der in London beheimateten Nachwuchsregisseurin Olivia Furber, die gerade als Stipendiatin der Villa Waldberta zu Gast im Meta Theater ist. Sie hatte den Abend gemeinsam mit dem Hausherrn und drei weiteren Stipendiaten gestaltet, sie las das Manifestes auf Englisch. Der angekündigte Programmpunkt, jene Erklärung auch auf Farsi und Arabisch hören zu können, fiel jedoch aus - da sich weder das Komponistenduo Sara Bigdeli Shamloo und Nima Aghiani aus Teheran, noch der Schauspieler Ramzi Maqdisi aus Palästina mit diesem europäischen Einheitsgedanken identifizieren konnten.

Im Moosacher Diskurs versuchte man, sich dem Gedanken gleicher Rechte, einer neuen Demokratie in Europa ein wenig anzunähern, auf Englisch, um die internationalen Gäste nicht auszuklammern. Da wurde über alles Mögliche gesprochen, über die potenzielle militärische Macht eines vereinigten Europas etwa, oder auch über den Palästina-Israel-Konflikt, den Maqdisi eindeutig im europäischen Kolonialismus verankert sieht. Die Sicht auf Europa von Außen? Ja, es war tatsächlich nicht zu übersehen, dass eine klare Angst vor einer militärischen Stärke Europas besteht. Immerhin, so wurde argumentiert, seien von Europa bereits zwei Weltkriege ausgegangen, die Vereinigung der europäischen Streitmächte könne womöglich einen dritten zur Folge haben.

Das Manifest von Menasse, Guérot und Rau hat genau genommen einen Haken: Man verkündet, Grenzen aufheben zu wollen - und wendet diesen Gedanken nicht unmittelbar global an, sondern beschränkt ihn, zumindest zunächst, auf den europäischen Kontinent. Sicher wird formuliert, eine europäische Republik wäre ein erster Schritt hin zu einer globalen Demokratie. Aber folgt aus dieser Ausrufung nicht die Frage, wie es um die Grenzen eines vereinigten Europas stünde? Würden nicht die ohnehin schon hochgezogenen Mauern dadurch nur noch weiter gestärkt? Natürlich ist die Gründung von Nationalstaaten eine verhältnismäßig junge Sache. Deutschland als Nation beispielsweise existiert erst seit 1871, Italien seit 1861. Und dieses Konstrukt zu thematisieren, der Frage nachzugehen, ob dieses Modell heute nicht längst ausgedient hat, ist absolut berechtigt - und notwendig. Hier trifft das Manifest einen wesentlichen Kern, gerade in Zeiten, in denen das Nationale an Konjunktur gewinnt.

Der ausgebliebene Ansturm in Moosach zeigt allerdings eines: Der europäische Gedanke scheint fern, zumindest im Landkreis. Wie sollte er auch Präsenz besitzen, wird Europa in erster Linie doch immer nur wirtschaftlich gedacht. Dennoch, so erzählt eine Zuschauerin, der Abend habe ihr Mut gemacht, weiter dafür einzutreten, Grenzen aufzulösen. Schließlich gehe es in der Gegenwart darum, Humanismus, Ethik, Menschenrechte und Diversität zu stärken.

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