Melodien aus Südafrika:Klänge und Geschichten

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Mit ihrer unwiderstehlichen Präsenz und ihrer freundschaftlichen Art erzeugt Thabilé zusammen mit Gitarrist Steve Bimamisa eine einzigartige Atmosphäre im Glonner Marktblick. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bei ihrem Konzert in Glonn verbindet die Sängerin Thabilé poetische Kraft mit starker Stimme. Sie zeigt sich als aufmerksame Beobachterin und leidenschaftliche Erzählerin

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Da steht sie auf der kleinen Bühne, selbst mit leuchtenden Augen, und besingt voller Zärtlichkeit und Liebe die "Stars in your eyes" ihrer sechsjährigen Nichte. Man weiß nicht, womit einen Thabilé, die Sängerin aus Südafrika, in diesem Moment mehr berührt: Mit ihrer fast kindlichen Zuneigung, getragen von so viel Herzlichkeit, dass man die Anwesenheit der Besungenen im Raum spürt? Mit ihrer filigranen Sprachkunst, die ihren Gedanken Farbe verleiht und ihren Worten Leben? Oder mit ihrer Stimme, die einen schon bald umweht wie ein Tuch im Wind der Melodien? Es ist, und das gibt den Liedern der Sängerin eine unwiderstehliche Anziehungskraft, eine glaubwürdige Mischung aus all diesen Bestandteilen.

Genauso, wie Thabilé es versteht, die Balance zu halten zwischen Ernsthaftigkeit und Schalk, so spielt sie auch souverän mit den Möglichkeiten ihrer Stimmlage, die den Alt fast so tief anlegen kann wie einen Bariton und gleichzeitig ganz mühelos in die Höhen eines Mezzosoprans entfliegt. Man kann sich in diese Stimme verlieben und beginnt dann jene Momente herbeizusehnen, in denen sie in die Tiefen eintaucht, wie ein Surfer in eine Welle. Oder jene, in denen sie der Angriffslust einer Textzeile oder der aggressiven Dynamik einer Melodie verfällt und sich über ein Grollen und Röhren in der Stimme Luft macht. Jazzfreunde fühlen sich da an eine LaVern Baker erinnert, in der Popmusik hat Whitney Houston mit diesem Stilmittel brilliert. Thabilés Lieder, die sie mal in Englisch singt und mal im heimischen isiXhosa gewinnen über ihre unterschiedliche sprachliche Dimension an Intensität und Form. Die charakteristischen Klicklaute ihrer Muttersprache sprühen wie Funken aus den Melodien und setzen im Rhythmus eigene Akzente. Mit all diesen Mitteln wandelt Thabilé ihre Worte und Sätze zu gesungenen Skulpturen, deren lichtvolle Gestalt selbst Bildhauer neidisch werden ließe.

Der kleine Raum im Café Marktblick verdichtet am Freitagabend die Wirkung obendrein. Denn mit ihrer unwiderstehlichen Präsenz und ihren freundschaftlichen Gesprächen mit dem Publikum erzeugt Thabilé eine Atmosphäre, in der sich jeder im Raum so fühlen kann, als sänge und spräche sie nur für ihn. Weil ihr jede Silbe ihrer Lieder am Herzen liegt, ist das Zuhören ein doppelter Genuss. Denn die Sängerin, die ihre Lieber selbst schreibt, hat ganz offensichtlich den Begriff "Lyrics" wörtlich genommen. Jeder ihrer Songs würde dank großer poetischer Kraft auch schon gesprochen die Zuhörer berühren und bewegen. Mit der zusätzlichen Energie, die der Gesang mit sich bringt, legen sie sich sanft, aber undurchlässig für alles Ablenkende um die Gedanken.

Gleichzeitig bringt sie ihren Zuhörern eine Lebenswelt nahe, die uns sonst nur im Jargon und der konzentrierten Nüchternheit der Tagesschau begegnet. Sie gibt mit "Dlamini Echo" - so der Titel von Konzert und erster CD - ihrer Familie und ihren Nachbarn aus Johannesburgs Problemviertel Soweto eine Stimme und ein Gesicht. Sie zieht die Schubladen aus dem Vorurteils-Regal und breitet deren Inhalt sorgsam vor uns aus. Hier die Geborgenheit der eigenen Familie, in der sie sich "nie arm fühlte, weil alle sich darum kümmerten, dass ich hatte, was ich brauchte", dort die vom Partner misshandelte Freundin, bei der Einladungen zum "Wine and dine" den Schein aufrecht erhalten sollten. Thabilé zeigt sich als aufmerksame Beobachterin, als leidenschaftliche Erzählerin und als eine, die ihr Leben dafür gibt, die richtigen Melodien für ihre Texte zu finden.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil es so völlig aus dem Rahmen dessen fällt, wie uns dieser Tage Musik zum Konsum angeboten wird. Nehmen wir ein paar Jahrgänge irgendeiner TV-Castingshow. Quetschen wir sie aus, bis nur noch die Essenz der Musik und des Könnens übrig bleibt, die darin enthalten sind. Wir werden nicht einen Teelöffel von dem erhalten, was Thabilé in einem zweistündigen Konzert großzügig verschenkt. Wer in den nächsten Tagen einem der rund 40 Gäste begegnet, die ihr am Freitagabend im Marktblick zugehört und sie mit Applaus überschüttet haben, der wird vermutlich unterschiedliche Dinge erfahren, die jeden Einzelnen besonders beeindruckt haben. Vielleicht, dass "Malaika" ja gar kein Party-Song ist, sondern ein trauriges Liebeslied aus Tansania. Oder dass es keinen Bob Marley braucht, um die Sogwirkung des "Redemption Songs" zu entfachen. Aber eins wird allen gemeinsam sein: Dass ihnen der Gesang der jungen Südafrikanerin nicht mehr aus dem Kopf geht und erst recht nicht diese intensiven Momente leidenschaftlichen Spiels mit Klängen und Geschichten.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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