Medizinische Versorgung:Keine Lust auf Land

Medizinische Versorgung: Werner Klein ist niedergelassener Neurologe in Ebersberg und arbeitet viel, um seine Patienten nicht zu lange auf Termine warten zu lassen.

Werner Klein ist niedergelassener Neurologe in Ebersberg und arbeitet viel, um seine Patienten nicht zu lange auf Termine warten zu lassen.

(Foto: Christian Endt)

Niedergelassene Ärzte im Landkreis Ebersberg klagen über zu hohe Arbeitsbelastung und fehlende Nachfolger. Weil sich wenige junge Ärzte für die Karriere fernab der Metropolen entscheiden, droht ein Versorgungsmangel

Von Clara Lipkowski

Ebersberg - Eigentlich gilt der Landkreis Ebersberg medizinisch als überversorgt. Laut offiziellen Zahlen gibt es nicht nur ausreichend Hausärzte, auch die Fachärzte reichen für die etwa 140 000 Einwohner locker aus. Deswegen gibt es seit Jahren einen Niederlassungsstopp für neue Ärzte im Landkreis. Fragt man aber die Mediziner, die seit Jahren hier praktizieren, sieht es ganz und gar nicht rosig aus. Im Gegenteil: Sie klagen über extrem hohe Arbeitsbelastung, lange Wartezeiten, mit denen sie Patienten vertrösten müssen, und zu allem Übel fehlt ihnen auch noch der Nachwuchs.

Werner Klein etwa arbeitet rund zehn Stunden am Tag "am Patienten", wie er sagt. Der Neurologe führt seine Praxis in Ebersberg seit 1993 und betreut im Jahr um die 6000 Menschen, manche sieht er einmal, Patienten mit Multipler Sklerose oder Epilepsien kommen regelmäßig. Etwa zwei Wochen müssen Patienten zurzeit auf einen Termin warten. Das schafft er nur, weil er entsprechend viel arbeitet und in den Ferien verfügbar ist. Noch im Januar lag die Wartezeit bei vier Monaten. Patienten mit psychiatrischen oder psychologischen Anliegen müssen beim Facharzt im Landkreis bis zu zwei Monate warten.

Der Internist Wilfried Seidelmann sieht die Situation der Landkreisärzte ebenfalls kritisch. Er betreibt eine Praxis in Kirchseeon und sitzt für die Freien Wähler im Kreistag. Ob er denn noch Patienten annehme, fragte ihn dort ein Kollege. Zurzeit betreut Seidelmann rund 1000 Menschen. "Es ist mir fremd, jemanden wegzuschicken", sagt er empört.

Verstärkung könnte er allerdings schon gebrauchen. Er würde gerne einen Assistenzarzt einstellen, Arbeit genug gibt es. "Aber ich finde einfach keinen." In Moosach sei eine Stelle zwei Jahre unbesetzt geblieben, sagt er. Seidelmann ist seit 32 Jahren Internist. Nun, mit Mitte 60, könnte er seine Nachfolge regeln. Das Problem ist hier das Gleiche wie beim Assistenzarzt: Niemand will seine Stelle, geschweige denn die Praxis, übernehmen.

"Das Durchschnittsalter der Hausärzte ist 56 bis 58 Jahre", sagt er. Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) bestätigen das. 18 der 44 Allgemeinmediziner im Landkreis sind sogar 60 Jahre und älter. Theoretisch könnten sie schon jetzt in Ruhestand gehen, ein vorgeschriebenes Renteneintrittsalter gibt es nicht. Aber egal, ob heute oder in zehn Jahren - bleibt es bei dem Mangel an Nachwuchs, drohen dem Landkreis ernsthafte Versorgungsprobleme.

Werner Klein, der Neurologe, ist auch Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands. Er sieht viele Gründe dafür, dass Ebersberg keine jungen Ärzte anzieht - der Standort allerdings ist nicht das Problem. "Die Lage und die Nähe zu München sind ziemlich gut." Es sei eben kein Nachteil, hier statt in München zu arbeiten. Viel kritischer sei, dass niedergelassene Ärzte als selbständige Unternehmer viel bürokratische Arbeit erledigen müssen - neben der täglichen Praxisarbeit. Für junge Ärzte klingt da eine Festanstellung in einem Krankenhaus deutlich attraktiver. Zumal die Arbeitszeiten dort oft geregelter sind. Für Landärzte kommen die Bereitschaftsdienste hinzu, zu denen sie verpflichtet sind. Im Vergleich zu anderen Regionen, wo die Arztdichte höher ist, müssten hier weniger Ärzte öfter bereit stehen, erläutert Klein. Wieder ein Nachteil gegenüber der Tätigkeit im Krankenhaus.

Die Krux an der medizinischen Versorgung im Landkreis: Seit Jahren ist bekannt, dass die Zahlen, mit denen sie errechnet wird, veraltet sind. Sie stammen aus den 1990er Jahren. 2012 wurden sie einmal, aber nur marginal, nachjustiert. "Deswegen werden sie jetzt auch noch mal überarbeitet und der Lebenswirklichkeit angepasst", sagt Birgit Grain, Sprecherin der KVB. Denn seit den Neunzigern hat sich einiges im Landkreis getan. Menschen sind zugezogen, und: "Allgemein ist der medizinische Aufwand gestiegen, es werden mehr Leistungen angeboten und genutzt, Impfungen zum Beispiel", sagt Grain. Unterdessen bietet die KVB Medizinstudenten an, Pflichtpraktika in einer Landarztpraxis zu machen - gegen gute Bezahlung und in der Hoffnung, dass die Studenten doch noch Lust aufs Land bekommen.

Wann die ersehnte neue Bedarfsplanung fertig ist? Birgit Grain spricht von Herbst 2018. Fragt man Werner Klein danach, lacht er resigniert. "Es wurde uns für die ,nähere Zukunft' versprochen. Aber dass sich vor 2019 etwas tut, bezweifle ich."

Immerhin: Um die niedergelassenen Ärzte zu entlasten, wurde im Juli 2016 eine Bereitschaftspraxis in den Räumen der Kreisklinik eröffnet. "Eine eindeutige Verbesserung", sagt Werner Klein. In die Praxis gehen Patienten am Abend und am Wochenende. Die Ärzte werden so von ihren Bereitschaftsdiensten entlastet. Das Signal, das man an die Jüngeren damit sendet, ist wohl auch nicht unbeabsichtigt: So schlimm sind die Arbeitsbedingungen auf dem Land ja doch nicht.

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