Markt Schwabener Unikat:Zehn Millionen zu eins

Seit 40 Jahren ist an der Schule in Markt Schwaben eine zweite Erde zuhause - kunstvoll gefertigt von zwei Ehemaligen, Anton Angermair und Alfred Rapolder. Nun wurde das lehrreiche Schaustück restauriert.

Von Ulrich Pfaffenberger

In New York mögen die Vereinten Nationen ihr Büro haben, aber in Markt Schwaben ist der ganze Erdball zuhause. Zumindest zeigt einem dies ein Besuch in der Grafen-von-Sempt-Mittelschule, in der ein mächtiger Globus den Planeten in seiner ganzen Vielfalt und Größe präsentiert: 120 Zentimeter im Durchmesser, über vier Meter im Umfang, stolze 135 Kilogramm schwer. Eine unscheinbare Tafel im Fuß des Gestells verrät, dass der Globus 1980 entstanden ist, gebaut von zwei ehemaligen Schülern, die einer Idee ihre Lehrers Alfons Biermaier folgten, dem späteren Direktor der ehemaligen Hauptschule. "Mit ihm haben wir 1960 im Werkunterricht den Bau eines Globus angefangen, sind aber nicht weit damit gekommen", erzählt Anton Angermair, einer der beiden Baumeister. Zusammen mit seinem Mitschüler Alfred Rapolder, der vor einigen Jahren verstorben ist, habe er dann die Arbeit wieder aufgenommen. "In geselliger Runde beim Klassentreffen 1975 haben wir das beschlossen."

Markt Schwabener Unikat: Die Arktis hat neue Farbe bekommen, der Indische Ozean ebenfalls, die Gipfel des Himalaja frischen Schnee.

Die Arktis hat neue Farbe bekommen, der Indische Ozean ebenfalls, die Gipfel des Himalaja frischen Schnee.

(Foto: Christian Endt)

Einen Globus von dieser Größe - Maßstab 10 000 000 : 1, also zehn Millionen zu eins - von Hand zu bauen erforderte nicht nur planetarisches Wissen und mehr als 500 Stunden Arbeitszeit, sondern auch jede Menge handwerkliches Geschick. "Damit sich das Gewicht des Globus in Grenzen hält, hatten wir uns für Styropor als Baumaterial entschieden. Das gab es aber nur in eckig, nicht in rund", erinnert sich Angermair an die Aufbauarbeiten mit Rapolder. "Also haben wir einen Holzbogen ausgesägt, in den wir ein Sägeblatt montiert haben, um dann - Viertelkreis für Viertelkreis - alle Segmente der Kugel zuzuschneiden." Die Zutaten für die Erdhülle wie Glasvlies, Spachtelmasse und Dispersionsfarben sowie manch weiteres Material steuerte Rapolder aus seinem Raumausstattungsgeschäft in Poing bei, anderes finanzierten beide aus eigener Tasche.

Markt Schwabener Unikat: Der Globus erstrahlt in neuem Glanz, um noch viele weitere Schüler zu erfreuen.

Der Globus erstrahlt in neuem Glanz, um noch viele weitere Schüler zu erfreuen.

(Foto: Christian Endt)

Für die eiserne Halterung holte Angermair sich Unterstützung beim Chef der Schweiger Holzindustrie, seinem damaligen Arbeitgeber. In mühsamer Handarbeit walzten sie aus einem T-Träger den gekrümmten Rahmen, Teil des selbstgeschweißten Gestells, in dem sich der künstliche Erdball dreht. Beim Anbringen der Kontinente wiederum kam dem Markt Schwabener seine Konditorlehrzeit zugute: "Dabei haben wir mit einer klassischen Spritztülle aus der Bäckerei gearbeitet, um das Material aufzubringen." Im Nachhinein klingen alle diese Verfahren sehr logisch; die beiden Männer mussten sie sich aber alle erst erarbeiten und ausprobieren, "denn ein Lehrbuch für den Bau von Globen in dieser Dimension gab es nicht", erzählt Angermair und fügt hinzu: "Heute würde man das vermutlich alles am Computer machen, aber das wäre nicht das Gleiche." Denn genauso, wie die große, echte Erde nicht ganz glatt und rund ist, machen die kleinen Unschärfen und Unebenheiten das Markt Schwabener Stück zum Unikat.

Markt Schwabener Unikat: Zeitlos schön ist der mächtige Globus, den Anton Angermair und Alfred Rapolder einst für die Mittelschule in Markt Schwaben gefertigt haben.

Zeitlos schön ist der mächtige Globus, den Anton Angermair und Alfred Rapolder einst für die Mittelschule in Markt Schwaben gefertigt haben.

(Foto: Christian Endt)

Dass sich Rapolder und Angermair einig waren, die Kontinente nur mit einigen Tieren zu bevölkern, aber nicht mit Menschen, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass ihr Lehrer Biermaier bei der ursprünglichen Idee ebenfalls minimalistisch vorgehen wollte: keine Grenzen, keine Städte, keine Menschen sollten abgebildet werden, das sei alles vergänglich. Nur die wichtigsten Landebenen, Bergregionen und Flüsse dienen zur Orientierung. Die kindlichen und jugendlichen Betrachter sollten den Blick fürs Wesentliche schärfen und nicht durch Details abgelenkt werden, so die pädagogische Haltung, die auf Neugier und Entdeckungsfreude setzte. "Wenn wir uns ansehen, was sich in den vergangenen 40 Jahren auf der Erde alles verändert hat - und was nicht - dann war das genau der richtige Ansatz", ist Angermair überzeugt. Denn nur so verfügten die Schule und alle, die sie besuchen, über ein wahrhaft zeitloses Schaustück.

Für Anton Angermair war der Globus eine Art handwerkliches Meisterstück im Vorgriff auf viele spektakuläre Bauten, die er in den folgenden Jahren zu den Markt Schwabener "Weiherspielen" beisteuerte: Elefant und Zeitmaschine, Flugzeug und Transrapid, Streitwagen und Stier. "Eine Leidenschaft" sei das geworden, sagt er, "meine Form, Handwerk und Kunst zusammenzubringen." Gemeinsam mit Tochter Andrea, die in der heimischen Werkstatt und auf der schwimmenden Bühne ebenfalls lange zum Hinter-den-Kulissen-Team der Weiherspiele zählte, hat Anton Angermair dieser Tage den Globus renoviert. Die Arktis hat neue Farbe bekommen, der Indische Ozean ebenfalls, die Gipfel des Himalaja frischen Schnee. Zudem wurde eine Reihe von "Umwelteinflüssen" bereinigt, die der umgebende Schulbetrieb auf dem Erdball hinterlassen hatte: ein paar Dellen hier, Kaffeeflecken da. "Wenn sich nur die Schäden, die wir Menschen sonst so auf dem Planeten anrichten, nur auch so leicht beheben ließen", meint der fast 75-jährige Angermair nachdenklich. "Aber da ist mit Pinsel und Farbe allein leider nicht geholfen."

Damit während des laufenden Umbaus der Mittelschule dem Globus nichts passiert und er im neuen Gebäude noch vielen weiteren Generationen eine anschauliche Vorstellung vom Blauen Planeten geben werden kann, hat Angermair nun an höchster Stelle Schutz angefordert - bei Michael Stolze, dem Bürgermeister der Marktgemeinde nämlich. Der habe auch gleich zugesagt, dass er sich um die Angelegenheit kümmern werde, berichtet der Globus-Baumeister und fügt mit einem feinen Lächeln hinzu: "Schließlich kann er dann etwas von sich sagen, was kaum ein anderer Rathauschef in Anspruch nehmen kann: Bürgermeister von Markt Schwaben rettet Erde."

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