Eine Szene, als hätte Da Vinci sein „Abendmahl“ noch einmal inszeniert. Ein Tisch, dahinter ein paar Jahrhunderte Leben versammelt, zehn Menschen, allesamt im Herbst angekommen. Menschen, die in vier Jahrzehnten frühlingshafte Aufbruchstimmung und sommerlichen Frohsinn auf einer Seebühne erlebt haben. Menschen, mit denen 1984 etwas Denkwürdiges begonnen hat: die Markt Schwabener Weiherspiele, auf deren bewegte Geschichte an diesem Abend zurückgeblickt wird.
Der Tisch, die Menschen, im Publikum viele, die seit Anbeginn dabei waren, die Theaterhalle, die ohne die Mittel aus den Weiherspielen nicht bestünde, die Erlebnisse, die den Ort so stark geprägt haben, dass einer von ihnen inzwischen sogar Ehrenbürger ist, und eine, an diesem Abend nicht dabei, Ehrenbürgerin: Josef Schmid und Marga Kappl. Der Begründerin der Jungen Bühne erweist im zweiten Teil des Abends die nächste Generation, die heute den Ton am Weiher angibt, ihren Respekt. Es würzt also ein gerüttelt’ Maß an Nostalgie das Menü, das am Sonntagabend zum „Weiher-Ratsch“ kredenzt wird, aber der Hauptgang sind die vielen Anekdoten und Erinnerungen aus der Perspektive hinter den Kulissen.

Weshalb dieser Artikel viele Überschriften haben könnte. „Salto vorwärts in den Weiher“ zum Beispiel, wegen des ungeplanten Abgangs von Bühnenbauer Siegfried Schmidt beim Einschlagen der Pflöcke, auf denen die Seebühne ruht. Immerhin: Einem Passanten, der die Aufbauarbeiten besichtigte, war dies den Zuruf wert „Von mir eine 6,0!“ Oder „Jesus war der Weg versperrt“, weil sich die gefiederten Pfleglinge von Anna Seiler auf den Trittsteinen unter der Wasseroberfläche niedergelassen hatten, mit deren Hilfe der Gottessohn über den Teich wandeln sollte.
Oder „I suach‘ an Buam vom Deifi“ oder „Frag‘ doch den Papst, der ist mit einer Japanerin verheiratet“: Sentenzen, an denen deutlich wird, wie immer wieder Rollen so charakteristisch ausfielen, dass sie die bürgerlichen Namen überlagerten. Gleichzeitig ein nachhaltiger Hinweis darauf, wie prägend das Geschehen auf dem Weiher im Laufe der Zeit für das Leben vieler Markt Schwabener wurde. Einer der jugendlichen Helfer beim Pflöckeeinschlagen, inzwischen Chirurg, so wird berichtet, habe dem Lehrmeister Schmidt bei einer Begegnung Jahre später gesagt: „Ich kann heute noch anwenden, was ich bei Dir gelernt habe.“
Wie eine schwimmende Bühne bauen? Das Internet konnte man damals noch nicht befragen
Wie die jährlichen Stücke über die Aufführungen hinaus das Leben der Beteiligten prägten, wird schon bei der handwerklichen Komponente deutlich. Eine schwimmende Bühne bauen? Dafür gab’s vor 40 Jahren weder ein Handbuch noch ein Studium, von Do-it-yourself-Videos im Internet ganz zu schweigen. Wie also wollten Josef Schmid und Siegfried Schmidt, Brüder im Geiste, Theatermann der eine, Schreiner der andere, ihre Idee umsetzen? „Ein paar Fässer zusammenschweißen, ein Holzgestell draufmontieren, mit Platten belegen – das wird seinen Zweck erfüllen.“ Der „Sigg“ ging die Aufgabe so pragmatisch an, wie er auch davon erzählt.
Nur dass im Laufe der Jahre immer mehr Bewegung auf die Bühne kam: Der Can-Can riss nicht nur die Zuschauer von den Bänken, sondern auch mehrere Verankerungen aus dem Weiherboden. Was zahlreiche Nachverstärkungen auslöste, genauso wie manche spektakulären Ausrutscher und spontanen Bade-Einlagen, wenn der Juli-Regen auf dem Bühnenboden noch nachwirkte.
Für viele Weiherbesucher waren es aber genau die kleinen Unvollkommenheiten und Missgeschicke, die den besonderen Reiz ausmachten und die ausgiebig bejubelt wurden. Weil sie zutage förderten, mit wie viel Spaß – und Improvisationstalent das Laienensemble bei der Sache war. So erntete die Geschichte vom Henker, dessen Opfer schon beim Hinauftragen ans Schafott den (künstlichen) Kopf verlor, genauso lautstarke „Des-woas-I-a-no“-Rufe aus dem Saal wie jene von der verzweifelt gesuchten Schauspielerin. Um sie zu finden, schaltete Technikchef Klaus Welm ihr Mikro auf aktiv, sodass wirklich alle hören konnten: „I bin auf’m Klo eingesperrt.“

Viel Arbeit – und viele Fehlermöglichkeiten steckten aber vor allem in dem, was man heute „Showpiece“ nennt: im Hubschrauber, der mangels Strom nicht einfliegen konnte, weil eine Motorradfahrerin den Verteilerkasten außer Gefecht gesetzt hatte; in der Blechtonne, in der bei der „Divina Comedia“ Günther Hein schmoren sollte, aber bald vor Schmerz zu hüpfen anfing, weil das darunter lodernde Feuer echt war; in den beweglichen Kulissen, die sich an ihrem „Parkplatz“ verhakten, weil nächtliche Regenfälle den Wasserspiegel dramatisch steigen ließen, wie Anton Angermair erzählt, einer der einfallsreichen Requisitenbauer, die die fantasievollen Ideen des Regisseurs so vollendet umsetzten, dass der hinterher nur noch sagen konnte: „Genauso hätte ich’s auch gemacht.“
Elke Deuringer, deren Chansons und leidenschaftliches Rollenverständnis manche Aufführung im kollektiven Gedächtnis der Weiherfans verankerten, lieferte einen besonders charmanten Versprecher: Sie verortete ihre amourösen Szenen am „Geistersee“ ins Jahr 1094, was vor dem Ewigkeitswert der Erinnerungen nicht überrascht. Genauso wenig wie das am Sonntagabend vor gut gefüllter Theaterhalle ebenfalls praktizierte Credo „Kein Weiher ohne Musik“. Zahlreiche Einspielungen verliehen dem Ratsch eine nostalgische Obertonreihe. Das Summen und Mitsingen aus dem Publikum legte noch klarer Zeugnis von herzlicher Verbundenheit ab als der ausgiebige Schlussapplaus.