Premiere:Theaterverein Markt Schwaben spielt "Der Vorname"

Premiere: Ganz nah am wirklichen Leben: Der Theaterverein Markt Schwaben spielt "Der Vorname".

Ganz nah am wirklichen Leben: Der Theaterverein Markt Schwaben spielt "Der Vorname".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Markt Schwabener Theaterensemble rückt die Gesellschaftssatire "Der Vorname" dramatisch nahe an die Unsitten von Social Media.

Von Ulrich Pfaffenberger, Markt Schwaben

Darf man sein Kind "Adolphe" nennen? Im Stück "Der Vorname" von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière löst diese Frage einen erbitterten Zwist zwischen zwei Paaren und einem befreundeten Künstler aus, die sich eigentlich nur zu einem Abendessen treffen wollten. Vor allem der Sprachwissenschaftler unter ihnen sieht eine rote Linie überschritten, widersetzt sich allen Argumenten - und erkennt zweifelsfrei auf dem Ultraschallfoto: "Er macht schon den Hitlergruß!"

Bald fliegen scharfe Geschosse, zum Bersten geladen mit Selbstgerechtigkeit

Es ist eine bitterböse Gesellschaftssatire, die beim Theaterverein Markt Schwaben am Freitagabend Premiere hatte. Aus kleinen Scherzen und ironischen Bemerkungen, die zunächst wie Gummibälle zwischen den Beteiligten hin und her fliegen, werden recht flott scharfe Geschosse, zum Bersten geladen mit Selbstgerechtigkeit, und durchaus in der Absicht, zu verletzen. Bald geht es nicht mehr nur um Vor-, sondern auch um Nachnamen, um berufliche Perspektiven, um verpasste Gelegenheiten - und um bisher unter dem Mantel der Freundschaft Verstecktes. Als spannend erweisen sich dabei die differenziert angelegten Charaktere, denen man mal zustimmen, mal widersprechen will, je nachdem, wie viel von einem selbst man gerade in ihren Äußerungen erkennt.

Premiere: Michael Siegert spielt das klassische "Gscheidhaferl".

Michael Siegert spielt das klassische "Gscheidhaferl".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Michael Siegert in der Rolle von Pierre, dem Linguisten, gibt das klassische "Gscheithaferl", unbeirrbar von Wissen erfüllt, aber mitunter völlig verirrt in dessen praktischer Anwendung. Julia Mehltretter als seine Ehefrau Elisabeth scheint ganz in der Rolle der friedensstiftenden Gastgeberin aufzugehen, ein Mauerblümchen ohne Blauhelm, bis ihr in einem brodelnden Monolog - quelle tempérament! - der Deckel hochgeht. Als spitzzüngiger Spötter beherrscht Andreas Eisenkötter mit seinem Pro-Adolphe-Auftritt so lange das Geschehen, bis im zweiten Akt seine schwangere Frau erscheint und die dünne Haut über dem aufgeblasenen Ego zum Reißen bringt. Isabella Speckmaier entwickelt ihre Rolle innerhalb weniger Dialoge vom bis dahin abstrakten Status "abwesende Schwangere" in eine so überzeugende "Frau, die etwas zu sagen hat", dass es eine wahre Freude ist, sie dabei zu beobachten.

Dank charmanter Unschärfen lässt sich der Ich-Bezug leichter herstellen

Ferdinand Maurer schließlich, als Jugendfreund Claude und Posaunist zunächst nur zuständig für dezente Gags und die typische Präsenz eines fünften Rads am Wagen, fällt schließlich - von allen verkannt - in der Mitte des zweiten Akts die Aufgabe zu, diesen Wagen mit Karacho aus der Spur zu bringen und das Gefüge der vorgefassten Meinungen zu zertrümmern. Man könnte sich bei der schlüssigen und trennscharfen Ausprägung der Charaktere manchmal mehr Mut der Protagonisten wünschen; aber vielleicht liegt gerade in diesen Unschärfen der Charme, weil sich so der Ich-Bezug leichter herstellen lässt und die Verantwortung nicht auf Abwesende umgeschuldet wird - "ganz wie Onkel Karl-Peter an Weihnachten!"

Premiere: Das fünfte Rad, das den Wagen endgültig aus der Spur bringt, gibt Ferdinand Maurer.

Das fünfte Rad, das den Wagen endgültig aus der Spur bringt, gibt Ferdinand Maurer.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Stück ist bereits zwölf Jahre alt, der Film dazu nur unwesentlich jünger. Dennoch: Ohne, dass einmal der Begriff "Social Media" fiele, ist diese Markt Schwabener Inszenierung hautnah dran an den dort sichtbaren Verhaltensmustern - dank einer überzeugenden und klugen Arbeit von Regie (Sabine Bogenrieder) und Ensemble . Das Abgreifen kurzer, schneller Botschaften zum Beispiel, das Schnappen nach vermeintlich den Informationsdurst stillenden Schlüsselbegriffen: Man merkt des den Fünfen auf der Bühne an, wie bewusst ihnen die Parallele zwischen ihrer fiktiven Darstellung und dem wirklichen Leben ist.

Die Bühne ist ein Monitor, gibt sich aber unbedarft wie ein Wohnzimmer

Die Diskussion über einen salonfähigen oder unakzeptablen Vornamen kommt da gerade recht: Zuspitzung um der Zuspitzung willen, eine schnelle Attacke gegen den "Ist-ja-mal wieder-typisch"-Opponenten, das Herausreißen einzelner Wörter aus Sätzen und Gedanken mündet in ein "Quälst du mich, quäle ich dich". Kein wirklich neues oder gar innovatives Prinzip der menschlichen Kommunikation, wohl aber in der Frequenz und Dichte des Hin und Her im Digitalen potenziert bis zur Unerträglichkeit - weil niemand, ehrliche Haut oder Dummschwätzer, Karrierist oder Leisetreter, Bildungsbürger oder Prolet dagegen gefeit ist, auf den Putz zu hauen, weil er sich auf der Seite der Guten, Informierten wähnt und andere im Abseits der Irrgläubigen, Bösen. Es bleibt ja nichts davon mehr im geschützten Raum: Die Bühne am Burgerfeld ist der Monitor auf dem Smartphone, gibt sich aber unbedarft wie ein Wohnzimmer.

"Adolphe" oder "Adolf": "Der Vorname" ist eine Chiffre für "das Vorurteil", gnadenlos durchdekliniert vom Ensemble des Theatervereins, eingebettet in ein so irrwitzig biederes Bühnenbild, das man schreien möchte vor Entzücken. Trotzdem reicht am Ende bei einigen Zuschauern die Kraft dann doch nur noch zu einem beherzten und zustimmenden Schlussapplaus. Die Dysbalance der beiden Akte mag dazu beigetragen haben: Auf den satirisch-lockeren ersten folgt der aggressiv-belastende zweite, noch dazu ein gutes Stück länger. Kein Schaden dies, an der dramaturgischen Kraft, im Gegenteil. Rückt das Publikum doch aus der bequemen, passiven Beobachterrolle in die unkomfortable Position der Erkenntnis, wie viel von dem Geschehen auf der Bühne tief in einem selbst, in Familie, Freunden und Kollegen steckt. Der Wunsch, nach draußen zu gehen, frische Luft zu atmen, ist daher verständlich. Er spricht indes mit Nachdruck für das schauspielerische Können des Ensembles. Ein klug gewähltes Stück, gut besetzt, schlüssig inszeniert und überraschend aufwühlend.

Theaterverein Markt Schwaben: "Der Vorname", weitere Vorstellungen am Freitag/Samstag, 8. und 9. April, im Theater am Burgerfeld, Münterstraße 5. Kartenvorverkauf im Vorverkaufsbüro oder unter www.theater-marktschwaben.de.

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