Es herrscht gebannte Stille in der Aula des Franz-Marc-Gymnasiums, während das Publikum auf der großen Leinwand einen braunen Gesellen beobachtet, der seine furchteinflößenden Scheren wetzt, bevor er flink und geschickt wie ein Bergsteiger einen mächtigen Baumstamm erklimmt. Plötzlich kommt ein zweiter ins Spiel und ein erbitterter Kampf beginnt, der damit endet, dass einer der Kontrahenten in hohem Bogen durch die Luft fliegt.
Auslöser für dieses Naturschauspiel ist unter anderem das, was die beiden Insekten vorher zu sich genommen haben: gegärter Baumsaft. „Der Hirschkäfer hat ein Alkoholproblem. Erst betrinkt er sich, dann fängt er das Raufen an“, erläutert Wildtierökologe Volker Zahner von der Hochschule Weihenstephan das, was man gerade eben im Video gesehen hat – aufgenommen von Jan Haft, der für die Naturfilme seiner Produktionsfirma „Nautilusfilm“ vielfach preisgekrönt ist.
Die Referenten Jan Haft und Volker Zahner sind seit vielen Jahren miteinander befreundet
Die beiden Männer sind am Sonntagvormittag auf Einladung von Bernhard Winter nach Markt Schwaben gekommen, um den rund 120 Gästen der 121. Sonntagsbegegnung „Der Wald als Reich der Tiere“ bei einem Plädoyer für Toleranz ganz besondere Einblicke in die Natur zu gewähren. Das tun sie vor allem mit Bewegtbildern.

Jubiläum in Markt Schwaben:"Alleine sieht man die Wahrheit nicht"
Vor 30 Jahren initiierte Bernhard Winter die erste "Sonntagsbegegnung" in Markt Schwaben. Seitdem fand das Dialogformat 111 Mal statt. Hier spricht Winter über den Wert echter Begegnungen, erklärt, nach welchen Kriterien er die Gesprächspartner auswählt, und ob das Gespräch zwischen Cem Özdemir und Campino doch noch stattfindet.
So präsentieren die langjährigen Freunde nach der Begrüßung durch Schulleiter Peter Popp, der sich über eine weitere Veranstaltung an dem als Umweltschule ausgezeichneten Gymnasium freut, zehn sensationelle Videoclips. Gastgeber Winter bringt es gut auf den Punkt, indem er sagt, es sei ein „Blick nicht von oben herab, sondern gleichsam von innen. Ganz nah“.
Neben Vogeleltern, die ihre entzückende, vielköpfige Brut mit den großen Augen liebevoll mit Nahrung versorgen, zeigen die Filme auch den einzigen Pilz, den man hören kann. Oder sie lenken den Blick auf die Gelbbauchunke, die zum Schutz ihrer Larven nur vergängliche Kleingewässer bevölkert, in denen sich Fressfeinde gar nicht erst ansiedeln können. Selbst der Tod wird nicht ausgespart.

Gleich das erste Video hat sogar einen wissenschaftlichen Disput beendet. Es geht darin um den Specht. Lange sei unklar gewesen, ob es sich bei seinem Picken um einen Atavismus handle oder ob er damit, wie Spechtexperte Zahner sagt, tatsächlich Energie aufnehmen könne. Erst Haft konnte beweisen, dass der Vogel den Baum ringelt – also ringsum Löcher anbringt, die er dann „abpatroulliere“, um zur Stärkung den austretenden Saft zu trinken. „Wahrscheinlich konnten wir das deswegen zeigen, weil wir durch unsere Filmverstecke besser getarnt und näher dran sind. Zudem bleiben wir länger als Ornithologen, die nur kurz mit dem Fernglas draufhalten.“ Am Ende habe Zahner bei einer Spechttagung durch die Aufnahmen seine Theorie untermauern können.
Dem Wald gehe es gut, nur der Forst werde durch die Klimaerwärmung in Mitleidenschaft gezogen, sagt Jan Haft
Auch weitere unerwartete Einsichten liefert Haft. Im Gegensatz zu anderen verteufle er das menschliche Eingreifen in die Natur nicht, denn nur so käme es langfristig wieder zu jener Dynamik, die Voraussetzung ist für Vielfalt im Wald. Man brauche sowohl alte Stämme, die zusammenbrechen und als Totholz Habitat für eine Vielzahl von Tieren seien, als auch freie Flächen, „egal, ob vom Förster geräumt oder von Tieren“.
Später wird er sagen: „Deshalb sind Wind, Sturmwurf und selbst Feuer oder der Borkenkäfer gut für den Wald.“ Denn dem ginge es aus ökologischer Sicht auch heute gut, „nur dem Forst geht es schlecht, weil wir durch die Klimaerwärmung viele geschädigte Bäume haben“. Man müsste mehr unterscheiden zwischen dem Forst, der der Herstellung von ökonomischen Gütern diene, und dem Wald, der in erster Linie der Natur gewidmet sei.

Auch Zahner meint: „Die Natur ist komplex. Man ist gut beraten, das ganze Spektrum zu beobachten, nicht nur das eine oder andere zu sehen.“ Später berichtet er von den Projekten, bei denen wieder – wie es noch im Jahr 1900 der Fall war – Nutztiere im Wald geweidet werden. Auch besonders am Herzen liegt ihm die enorme Bedeutung des Waldes für den globalen Wasserhaushalt. „80 Prozent der Wasserströme, die China erreichen, kommen aus Europa und gehen über den Wald.“
Doch dürfe man, so Haft, nicht den Blick vergessen für das, was im Lokalen, direkt vor der Haustür zu sehen sei. Besonders beeindruckt ist das Publikum da von den im Landkreis Erding entstandenen Aufnahmen des Kugelschnellers (Sphaerobolus), einem Pilz so groß wie ein Stecknadelkopf. Beim Abschuss seiner Sporenkugel entsteht ein Knall, der klingt wie ein Schuss. Auf Nachfrage ist zu erfahren, dass die Aufnahmen mit zwei Techniken entstanden sind: Der Zeitraffer zeigt, wie die kleine Kugel sich innerhalb von ein bis zwei Wochen entwickelt, die Zeitlupe fange „mit 4000 Bildern pro Sekunde, also der 80-fachen Zeitdehnung“ den Moment des Abschusses ein.
Die Veranstaltung vergeht wie im Flug, obwohl sie länger ist als es das sonst bei Sonntagsbegegnungen üblich ist. Noch viel mehr Filmmaterial hätte man sehen wollen – wie gut, dass Hafts Nautilusfilm, die ohne seine zehn Mitarbeiter und vor allem ohne seine Ehefrau nicht so viele tolle Projekte realisieren könnte, wie er betont, noch sehr viel mehr im Angebot hat.