Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen:Zusammenrücken

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Höflich und humorvoll ging es bei der Begegnung zwischen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Boris Palmer zu. (Foto: Christian Endt)

Wie steht es um den Ampelbruch, wie um den Datenschutz und welchen Wert hat das deutsche Parteiensystem? Die Politiker Boris Palmer und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sind zu Gast bei den Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen.

Von Nora Schulte, Markt Schwaben

„Mit einer großen Entfernung“ stehen sich die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Boris Palmer, Bürgermeister von Tübingen, gegenüber. „Ich hoffe, die brauchen wir nicht“, kommentiert die FDP-Politikerin. Daraufhin nimmt Palmer – früher Grüne, heute parteilos – kurzerhand sein Pult in die Hand, rückt es näher heran und das Publikum applaudiert. Ein gelungener Auftakt für die anstehende einstündige Gesprächsrunde bei den Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen.

Zusammengefunden haben sich an diesem Mittag neben den beiden Gästen um die 150 Zuschauer, die den Unterbräusaal in Markt Schwaben bis auf den letzten Stuhl besetzen. Diskutiert wird heute über nicht weniger als „Freiheit, Gesetz, Menschenverstand“. Bernhard Winter hat wieder eingeladen. Es kann losgehen.

Leutheusser-Schnarrenberger beginnt das Gespräch, indem sie Palmer, den in ihren Augen „bekanntesten Kommunalpolitiker Deutschlands“ fragt, wie man die Kommunen mehr am Gesetzgebungsprozess teilhaben lassen könne. „Man sollte die Bürgermeister mal nach Berlin schicken“, antwortet dieser, „um ihnen mehr Gehör zu verschaffen.“ Dann, ergänzt die langjährige Justizministerin, müsse jedoch auch für einen Handlungsdruck der Politiker gesorgt werden. Erreicht werden solle dieser durch mehr Transparenz.

„Frauen hätten es nicht so weit kommen lassen“

„Ich bin hier ja aber nicht die Fragende“, sagt Leutheusser-Schnarrenberger, nachdem sie den Anfang der Diskussion geleitet hat. „Im Moment schon“, erwidert Palmer – und stellt dann aber doch eine Frage: „Was halten Sie eigentlich vom Lindner-Papier?“ Das Publikum lacht. Erst einmal stellt die FDP-Politikerin klar, dass sie den Begriff „Lindner-Papier“ für polemisch hält. „Die Sprache des Papiers ist unsäglich“, wiederholt sie mehrere Male und bezieht sich auf den Begriff der „Feldschlacht“. Außerdem, sagt sie, soll Christian Lindner das Papier schließlich nicht zur Kenntnis genommen haben. „Das heißt, er hatte es auf dem Tisch liegen und wollte es sich nicht anschauen“, wirft Palmer ein und erntet Gelächter der Zuschauer. Leutheusser-Schnarrenberger verteidigt dennoch ihre Partei: Es sei schließlich nicht nur Ex-Finanzminister gewesen, der am Bruch der Ampel beteiligt gewesen sei. Zudem sei auf dem Papier benannt worden, was schon lange offensichtlich war: der Entfremdungsprozess der Ampel.

Eine „Zumutung für die Bürger“ nennt Palmer wiederum das Papier. „Lindner weiß nicht, dass er dem Plan folgt, den seine Leute aufgeschrieben haben“, kommentiert er. Die ehemalige Justizministerin schließt die Debatte: „Ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht mehr, wer das Papier geschrieben hat.“ In Anlehnung an Angela Merkel fügt sie hinzu: „Frauen hätten es nicht so weit kommen lassen.“ Belegen könne sie diese Aussage jedoch nicht, denn es gebe eben so wenige Frauen in der Politik. Boris Palmer hält das für einen „guten Lösungsansatz“.

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Vor 30 Jahren initiierte Bernhard Winter die erste "Sonntagsbegegnung" in Markt Schwaben. Seitdem fand das Dialogformat 111 Mal statt. Hier spricht Winter über den Wert echter Begegnungen, erklärt, nach welchen Kriterien er die Gesprächspartner auswählt, und ob das Gespräch zwischen Cem Özdemir und Campino doch noch stattfindet.

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Er eröffnet nun ein neues Thema, den Datenschutz, der seiner Ansicht nach bei vielen Bürgern Unverständnis auslöst. „Wer von Ihnen hat nicht so was dabei?“, fragt er und zeigt sein Handy in die Runde. Warum also dürfe er in Tübingen aus Datenschutzgründen beispielsweise keine Kameras an den Bahnhöfen anbringen? Die Handys würden doch ohnehin alles überwachen, sagt er. „Warum zum Kuckuck gibt es keinen ordentlichen Datenaustausch?“ Das sei eine Frage des Dienstleistungsverständnisses Staat, entgegnet Leutheusser-Schnarrenberger. „Im Kern geht es um den Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen.“ Sie stimmt jedoch zu, die Datenschutzgrundverordnung sei zwar im Grunde sinnvoll, jedoch zu kleinteilig.

Wie also sei eine bessere Verordnung möglich – ohne Nerverei, fragt Palmer. Ausgiebig berichtet er vom Tübinger Feuerwehrhaus und einer Lärmschutzwand, die er habe errichten müssen, obwohl sie an dieser Stelle überhaupt nichts bringe. „Dann schlafen die Anwohner zwei Minuten länger, wenn das Martinshorn statt auf dem Feuerwehrgelände erst auf der Straße zu hören ist“, sagt er. Das Publikum ist sichtlich amüsiert. Ein Abbau der Bürokratie sei notwendig, stimmt die FDP-Politikerin zu. Als Palmer sich beschwert, dass ein Brief von ihm nach Berlin unbeantwortet blieb, schlägt sie vor: „Lass uns doch mal zusammen hingehen.“ Normen, wie die Lärmschutzverordnung, auf Empfehlungen herabzusetzen und in das Ermessen der Verantwortlichen vor Ort zu legen, hält sie im Gegensatz zu Tübingens Bürgermeister jedoch für keine gute Idee. „Das wäre populistisch“, sagt sie, „und zu einfach.“

Kompromissbereitschaft – und zwar parteienübergreifend

Zuletzt möchte Leutheusser-Schnarrenberger wissen, wie es um Palmers Grundoptimismus in Bezug auf Deutschland steht. „Gehören Sie eher zur Jammer-Fraktion oder bleiben Sie positiv?“, fragt sie. „Die Orks stehen am Stadtrand“, drückt der Bürgermeister sich in Anlehnung an Herr der Ringe aus. Die finanzielle Lage der Kommunen sei schlecht und zu der Kostensteigerung kämen auch noch Forderungen wie die nach der Vier-Tage-Woche hinzu. „Das geht doch nicht!“, ruft er.

In der abschließenden Fragerunde kommt Leutheusser-Schnarrenberger auf das Parteiensystem als Grundpfeiler unserer Demokratie zu sprechen und räumt ein, dass innerparteilich einige Reformen sinnvoll seien. Palmer zitiert seinen Vater und vergleicht die Demokratie und das Parteiensystem mit einem Flaschenzug: „Eine Flasche zieht die andere hoch“, sagt er lachend. Die ehemalige Justizministerin fordert derweil eine größere Bereitschaft zu Kompromissen, und zwar parteienübergreifend. „Es sollte nicht das Ziel sein, dass nur einer der Erfolgreiche ist und die anderen das Fußvolk.“ Das scheinen auch die Zuschauer so zu sehen: Aus den Publikumsreihen ertönt Applaus.

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