Markt Schwaben:"Sie sehen dort keine Lebenschance"

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller erläutert in Markt Schwaben Fluchtursachen und befürwortet ein Wirtschaftsprogramm für den Westbalkan. Auch räumen er und die CSU mit manchen Gerüchten auf.

Von Isabel Meixner, Markt Schwaben

Markt Schwaben: Wo ist der Weg aus der Flüchtlingskrise? Für Gerd Müller (rechts) liegt die Lösung in langfristigem Engagement.

Wo ist der Weg aus der Flüchtlingskrise? Für Gerd Müller (rechts) liegt die Lösung in langfristigem Engagement.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

"Da ist viel versäumt worden." Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat sich bei einer Parteiveranstaltung zu deutscher Entwicklungspolitik in der Flüchtlingskrise in Markt Schwaben kritisch über die bisherige Asylpolitik geäußert. Flüchtlinge würden teilweise monatelang nicht registriert, die Asylverfahren dauerten viel zu lang, und auch in der Außenpolitik laufe einiges nicht richtig.

"Wir können Kroatien, Ungarn, Griechenland und Italien nicht alleine lassen", positionierte sich Müller klar. "Und wir müssen die Golfstaaten, die Amerikaner wesentlich in die Verantwortung nehmen." Auch Europa müsse sich solidarischer zeigen. Für seine deutlichen Worte erhielt der Minister Applaus.

Es waren am Freitag andere Töne aus der CSU zu hören als zuletzt von der Parteispitze. Statt mit Begriffen wie "Wirtschaftsflüchtling" unterschwellig den nach Deutschland kommenden Menschen Schmarotzertum zu unterstellen, haben die Diskussionsgäste Verständnis für die Fluchtgründe gezeigt, betroffen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen in anderen Ländern reagiert - und erst dann festgehalten, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland begrenzt seien. Programmatisch mag das auf dasselbe herauskommen, von der Intonation macht das bei den Zuhörern einen großen Unterschied.

Auch wurde mit Lügen aufgeräumt, die zuletzt unter anderem die Zornedinger CSU-Ortsvorsitzenden Sylvia Boher verbreitet hatte. "Es werden keine bisherigen Sozialleistungen gekürzt", betonte Kreisvorsitzender und Landtagsabgeordneter Thomas Huber eingangs. Auch machten Gerd Müllers Zahlen deutlich, dass nur fünf Prozent der Flüchtlinge aus Krisenländern nach Deutschland kommen. Die meisten würden in Nachbarländer fliehen.

Müller berichtete von einem Besuch in Belgrad. Er traf dort Sinti und Roma, die lediglich unter Pappdeckeln schliefen, die Kinder lagen im Dreck: "Sie sehen dort keine Lebenschance." Dass sie ihr Glück in Deutschland versuchten, wundere ihn nicht. Es brauche einen Westbalkanbeauftragten und viel Entwicklungshilfe, um den Menschen dort wieder Hoffnung auf ein gutes Leben zu geben. Müller sprach sich dafür aus, auch den Nachbarländern der Krisenstaaten weitere 140 Millionen Euro zu geben, um die Flüchtlingslager menschenwürdiger zu gestalten.

Neben Müller waren Elisabeth Stanglmeier vom Anzinger Asylhelferkreis, Franz-Bernd Frechen von der Universität Kassel, der ein Gerät zur Wasseraufbereitung entwickelt hat, Wolfgang Haller vom Verein Orthopädie für die Dritte Welt und Theo Zellner, Präsident des BRK, eingeladen. Letzterer kritisierte den derzeitigen "ungeregelten Zustand": "Wir müssen über Zahlen reden. Mit zehntausend Flüchtlingen pro Tag ist eine Integration nicht möglich."

Zäune oder Kontingente werden nichts ändern, widersprach Stanglmeier: "Wenn die Türkei zu ist, geht es über Libanon." Sie kritisierte die Politik: "Wenn es einen Krieg gibt, ist klar, dass die Menschen in bessere Ländern wollen. Ich würde auch alles versuchen, meine Familie rauszubringen." Sie betonte: "Ich sehe keine Grenze für meine Hilfsbereitschaft. Das ist mein christliches Menschenbild, ich komme nicht drumherum zu helfen."

Aus dem Publikum kamen kritische Fragen. "Was mir fehlt, ist dass ein Plan kommuniziert wird", sagte ein Zuhörer. Ein weiter fragte, wie mit weiteren Flüchtlingen umgegangen werden könne, wenn die Kapazitäten schon jetzt erschöpft seien. Ein Frau sprach die fehlenden Sozialwohnungen an. Sie sehe auf Dauer eine Konkurrenzkampf um günstigen Wohnraum.

Auch CSU-Kreisrat Martin Lechner aus Straußdorf meldete sich zu Wort: "Ich verstehe die Ängste nicht. Ich sehe das als Riesenchance." Die deutsche Bevölkerung werde immer älter, das könnten die jungen Flüchtlinge auffangen. Ein Punkt wurde an diesem Abend aber immer wieder kritisiert: die mangelnde Solidarität in Europa. BRK-Präsident Zellner forderte am Schluss: "Kommt in die Gänge, das Problem können wir nur europäisch lösen."

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