Buch aus Markt Schwaben:Mit gesundem Menschenverstand

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Bettina Ismair hat ein Buch über ihre Initiative "Offenes Haus - Offenes Herz" geschrieben. Ein politisches Plädoyer für das Zusammenleben mit Geflüchteten.

Von Karin Kampwerth, Markt Schwaben

Der Anfang ist nicht schön, und es passt irgendwie zur Seitenzahl, der 13, auf der das Unschöne steht. Die 13 bereitet die Leser darauf vor, dass es in diesem Buch um viel Unglück gehen wird. Letztlich aber doch um Glück, das daraus erwachsen kann. Es handelt von Menschen, die ihre Heimat verloren und ein neues Zuhause gefunden haben, - weil es andere Menschen gab, die ihnen unvoreingenommen dabei halfen, auch wenn der Anfang oft schwierig war.

Zurück also zur Seite 13, zurück an den Beginn der 2000er Jahre. Bettina Ismair schreibt über ein Ehepaar aus dem ehemaligen Jugoslawien, das das auf der Flucht vor dem Bürgerkriegin Markt Schwaben gestrandet war. Als das Paar ein Baby erwartete, wollte der Pfarrer, für den Ismair als Verwaltungsangestellte arbeitete, mit Sachspenden helfen. Dabei wurde auch ein Kinderwagen abgegeben. Ein "todschickes" Exemplar, wie sich Ismair erinnert. Praktisch neu, mit unzähligen Extras. Wenige Tage später stand der Kinderwagen wieder vor dem Pfarramt - in unsäglichem Zustand. Auseinandergepflückt und aufgerissen. Als der Pfarrer den Mann zur Rede stellte, habe sich dieser zutiefst beleidigt gezeigt. Wie könne man ihm für sein erstes Kind einen gebrauchten Kinderwagen zumuten?

"Grenzüberschreitungen" hat Bettina Ismair ihr Buch über die von ihr gegründete und mehrfach preisgekrönte Initiative "Offenes Haus - Offenes Herz" genannt. Untertitel: "Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit mit Verstand und Augenmaß." Dazu passt diese Einstiegsgeschichte. Denn sie macht das Buch authentisch. Es handelt von ehrlichen Erinnerungen und appelliert an den reflektierten Umgang mit Zuwanderern, dessen Leitmotiv die christliche Nächstenliebe ist und dessen Erkenntnis lautet: Pauschale Urteile können nie richtig sein. Es gebe genauso wenig "DEN Ausländer" wie exakt identische Migrationsverläufe. Zusammengefasst lässt sich das auf eine Eigenschaft komprimieren: auf gesunden Menschenverstand. Denn der lässt sich nach Bettina Ismairs Lesart nicht irritieren von Herkunft und Hautfarbe, sondern ist geprägt vom Handeln. Wie sich das ins Leben übersetzen lässt, beschreibt die Markt Schwabenerin auf 456 Seiten, auf denen sie sich mal unterhaltsam, oft nachdenklich, gerne inspirierend, daran erinnert, wie das "Offene Haus" Menschen beim Ankommen in der Gemeinde half und meist erfolgreich dabei unterstützte, Fuß zu fassen.

Alles begann im Winter 2001, als Ismair erfuhr, dass in der ersten Klasse ihres jüngsten Sohnes plötzlich drei Kinder aus Afghanistan saßen. Ihnen fehlte es nicht nur am Sprachverständnis, sondern an allem. Kein Pullover, keine warme Jacke. Mit nackten Füßen schlüpften sie in gespendete Schuhe. "Mir war sofort klar, dass ich hier helfen musste, dass ich hier etwas ändern wollte", beschreibt Ismair ihre Gedanken von damals. Die spontane Idee: Die Kinder so schnell wie möglich in die Gesellschaft hineinholen. Dazu sollten sie jeden Nachmittag im Anschluss an die Schule von einer deutschen Familie betreut werden, mit den deutschen Kindern Hausaufgaben machen, spielen und so die Sprache lernen.

Fünf Frauen fanden sich schließlich, und statt jeden Tag ein ausländisches Kind zu betreuen, einigte man sich auf einen Nachmittag pro Woche. Der Name wurde gefunden, die Idee wie ein Schneeball im Ort verbreitet. Am Ende waren es regelmäßig 20 Familien, die sich, und darauf ist Bettina Ismair stolz, ohne Vereinsstruktur organisierten. Über die Kinder lernten die Mitglieder der Initiative die Familien und deren Nöte kennen - manchmal fehlte eine passende Wohnung, oft Unterstützung bei Behördengängen, mitunter mangelte es an medizinischer Betreuung, nicht selten fehlte der psychologische Beistand, weil die Geflüchteten das Erlebte, den Tod und den Terror, nicht verarbeiten konnten.

Am Ende waren es mehr als 150 Kinder aus 40 verschiedenen Ländern, die regelmäßig zu Gast in Markt Schwabener Familien waren. Die berührendsten Geschichten hat Ismair nun zusammengetragen. Sie berichtet aber auch über das Netz, das die Initiative am Ort geknüpft hat und in dem über die Hilfe für die Kleinen Schülerprojekte für die Älteren entstanden.

2018 war dennoch Schluss mit der Initiative - nicht, weil sich am grundsätzlichen Gedanken etwas verändert hätte, sondern weil inzwischen immer mehr Mütter von Grundschulkindern arbeiten und deshalb keine Zeit mehr für die Nachmittagsbetreuung haben. Nicht zuletzt ist die schulische Integration von Migrantenkindern inzwischen institutionalisiert worden. Auch deshalb hat Bettina Ismair ihre Erinnerungen nun aufgeschrieben. Damit das "Offene Haus" weiter Herzen öffnet und dazu beiträgt, Werte wie Hilfsbereitschaft, Solidarität und den Blick für die Nachbarn stärkt.

Das Buch ist erhältlich als Hardcover, Taschenbuch oder E-Book unter www.offenes-haus.eu, bei Amazon oder im Buchhandel.

© SZ vom 03.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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