Ein paar Herbstsonnenstrahlen finden ihren Weg in das kleine Atelier von Rebecca Winhart. Das Licht scheint auf den dunkelrot-gemusterten Teppich und lässt die Bilder an der Wand - Porträts, Zeichnungen, Grafitti - erstrahlen. Drei große Traumfänger baumeln von der Decke und drehen sich leicht hin und her, "selbstgemacht", sagt die Künstlerin und macht es sich auf einem Hocker bequem.
Seit September sei sie hier, erzählt Winhart, in ihrem neuen Atelier in der Färbergasse 23 in Markt Schwaben. Auf der Suche nach einem bezahlbaren Raum für ihre Arbeit sei sie über einen Aushang in einem Kunstgeschäft auf das Angebot aufmerksam geworden. "Ich fühle mich mega wohl", so Winhart, "in diesem Haus herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Hier - das ist das Alte Getreidelager von Barbara Kiefl in Markt Schwaben. Während unten in der "Trödlerei" Antiquitäten und Schmuckstücke aus vergangenen Zeiten den Besitzer wechseln, wird ein Stockwerk weiter oben gemalt und Theater gespielt. Ein paar kleine Ateliers reihen sich unter langen Holzbalken aneinander, durch eine Tür in der "Galerie Färbergasse" geht es auf die Probebühne eines neuen Förderkreises für Theateraktivitäten.
Doch nicht nur der Ort ist neu für Winhart. Die 29-Jährige hat sich gerade erst als Künstlerin selbständig gemacht. "Corona war künstlerisch kein Nachteil für mich", erzählt die Forstinnigerin. Sie habe in den vergangenen Monaten einige Aufträge für Wohnungen oder auch Hausmauern bekommen. "Ich habe das Gefühl, die Leute besinnen mehr sich auf das Wesentliche. Nicht alle, aber manche", so Winhart. Deshalb entschied sie sich, ihren bisherigen Beruf als Sozialpädagogin aufzugeben und es mit der Kunst zu versuchen.
"Mir haben Kunstprojekte mit Kindern schon immer viel Spaß gemacht, deshalb dachte ich mir: Wenn nicht jetzt, wann dann?" Seit zwei Monaten verdient sie nun ihr Geld ausschließlich mit der Kunst, und es scheint bisher ganz gut zu laufen mit der Selbständigkeit: Erst letztens habe sie sieben Leinwände mit Motiven zu Indien für das Restaurant "Mother India" in Markt Schwaben fertiggestellt, erzählt Winhart. "Ich war noch nie so glücklich wie im Moment", sagt sie. "Ich kann das machen, was ich liebe."
Neben dem Atelier in Markt Schwaben und einem Kellerraum zuhause in Forstinning hat Rebecca Winhart seit Kurzem sogar noch einen dritten Platz, wo sie kreativ arbeiten kann. "Ich habe mich im August mit einem Portfolio für ein Atelierstipendium im Bahnwärter Thiel beworben - und es tatsächlich bekommen", verkündet die 29-Jährige stolz. Ein Jahr lang teilt sich Winhart nun mit zwei anderen Künstlern ein Gemeinschaftsatelier auf dem bekannten Kulturgelände in München. "Das ist eine Riesenchance", sagt sie, "ich freue mich sehr auf die Szene dort und darauf, Kontakte zu knüpfen. Auch wenn ich erst mal sehen muss, wie ich das alles manage." Bei dem Gedanken muss sie lachen - mit gleich zwei neuen Ateliers hat die Forstinningerin wohl nicht gerechnet.
Rebecca Winharts Arbeitsplatz in Markt Schwaben ist ganz am Ende des großen und offenen Raumes. Wer zu ihr will, läuft erst an den bunten Werken und Kreationen anderer Künstlerinnen und Künstler aus dem Landkreis vorbei. Stefan Pilokat alias Clown Pippo etwa hat einen kleinen Bereich gemietet, oder auch Elke Binz und Petra Hartmann, die sich einen Abschnitt teilen, außerdem Marie Menet, Georg Münch und Anja Birnkraut. Letztere sei ganz frisch in die Galerie eingezogen, erklärt Inhaberin Barbara Kiefl.
In der Galerie Färbergasse sind in Zukunft auch Ausstellungen und Workshops geplant - ganz unabhängig von den Ateliers. "Das ist im Prinzip die Idee", sagt Barbara Kiefl: "Ich stelle den Platz und wir suchen Menschen, die kreativ sind, aber keinen Platz haben." Bisher angedacht sind Malkurse, Workshops für Comics, Schmuckherstellung, Upcycling und Zirkuskünste. Aktuell warte man auf den Bescheid des Landratsamts für die Nutzungsänderung, so Kiefl.
Auf den zwölf Quadratmetern von Rebecca Winhart stehen Staffeleien und Sprühdosen, an der Wand lehnen Werke. Aktmalereien sind darunter, und Bleistiftzeichnungen. Die Künstlerin zeigt ihr aktuelles Lieblingsbild, ein Selbstporträt. Große dunkle Augen blicken einem entgegen, Farbwolken aus Blau und Orange umrahmen das Gesicht. Überhaupt malt Rebecca Winhart oft Menschen. "Jedes meiner Bilder erzählt eine kleine Geschichte", sagt sie, Inspiration bekomme sie dabei von fremden Kulturen auf ihren Reisen oder auch durch ihre bisherige Arbeit mit Flüchtlingen.
"In meiner Kunst steckt viel von mir selbst, es geht um Themen, die mich beschäftigen und bewegen." Realistisch muss es dabei nicht unbedingt sein, "ich male lieber ein bisschen abstrakter, das ist spannend", so die 29-Jährige. Winhart, die aus einer Musikerfamilie stammt, arbeitet viel mit Öl, Acryl, Kreide und Mischtechniken, sie sprayt und mag besonders große Formate sehr gern, "dann, wenn ich beim Malen den ganzen Körper einsetzen kann". Ihr bisheriges Highlight als Künstlerin? "Als ich 2018 in der Comuna 13 in Medellín in Kolumbien ein Graffiti sprayen durfte - als erste Deutsche und vierte Frau überhaupt."