Markt Schwaben:Kreative Keimzelle

Markt Schwaben: Elemente des klassischen Bauerntheaters - Konflikte zwischen Jung und Alt, Verkettung glücklicher und unglücklicher Umstände, sowie eine Kulissentür, durch welche die Protagonisten flott abgehen können, ohne dass größere Umbauten nötig werden. Regisseur Scherer versteht sein Handwerk.

Elemente des klassischen Bauerntheaters - Konflikte zwischen Jung und Alt, Verkettung glücklicher und unglücklicher Umstände, sowie eine Kulissentür, durch welche die Protagonisten flott abgehen können, ohne dass größere Umbauten nötig werden. Regisseur Scherer versteht sein Handwerk.

(Foto: Christian Endt)

Der junge Regisseur und Autor Raffael Scherer wählt eine Tankstelle als Ausgangspunkt für die Entstehung überraschender Liebe und unerwarteter Freundschaften

Von Ulrich Pfaffenberger, Markt Schwaben

"Pane e tulipane", "Out of Rosenheim", "From dusk till dawn", "Blues Brothers" - Tankstellen sind ebenso bei Dramaturgen geschätzte wie für überraschende Begegnungen prädestinierte Schauplätze. In seinem ersten abendfüllenden Bühnenstück "Diesel 1,50 DM" verortet auch der junge Autor und Regisseur Raffael Scherer die Irrungen und Wirrungen seines Personals zwischen Zapfsäule, Kassentresen und Kaffeeausschank. Das perfekte Set also, sofern es denn einer Begründung bedürfte, warum hoffnungsvoll Verliebte und leidenschaftlich Streitende, unglücklich Suchende und forsch Verlangende, unermüdlich Ratgebende und abgründig Fragende überhaupt an einem Ort zusammentreffen sollten. Gleichwohl auch eine schöne Metapher dafür, warum in einer mobilen Gesellschaft es mitunter zum Stillstand kommt - wenn der Sprit ausgeht, im Motor wie im Geiste.

Vom Schauplatz abgesehen greift das zweistündige, als Komödie apostrophierte Stück die klassischen Elemente des Volkstheaters auf: Konflikte zwischen Jung und Alt, Liebe, Schmerz und Sehnsucht, Verkettung glücklicher und unglücklicher Umstände sowie eine Kulissentür, durch die es sich flott und logisch abgehen lässt, um langwierige Szenenwechsel zu vermeiden. Regisseur wie Schauspieler bringen zudem ihre, zum Teil langjährige Erfahrung aus Aufführungen des Theatervereins Markt Schwaben und der Jungen Bühne ein, was manchen Anwesenden animiert, die Handlung gedanklich mal eben auf die Weiherbühne zu verlegen.

Auch dort überraschten Stücke mit ungewöhnlichen Botschaften. So auch in diesem Fall, wo der Treibstoff wie sein Preis aufs Plakative reduziert bleiben, während Kaffee in Strömen fließt und Geldmangel zum tragischen Leitmotiv wird. Wen stört's, solange den Marotten der Menschen und den Scherzen des Textes im Sinne höheren Moralismus' Liebe und Freundschaft entspringen und am Ende obsiegen? Niemanden.

Abgesehen von leichter Premieren-Nervosität brachte das Ensemble eine solide und geschlossene Leistung auf die Bühne der Theaterhalle in Markt Schwaben. Michael Knöferle als "Bob" im Liebesrausch und Matthias Neugebauer als sein nüchtern ratgebender Freund "Jay" nehmen ihre zentralen Rollen im Stück spürbar persönlich und entwickeln am roten Faden entlang zunehmende Spielfreude und Persönlichkeit. Isabelle Speckmeier als umworbene Tankstellen-Schönheit und Josephine Baum als wiederentdeckte Disco-Liebe liefern selbstbewusst und frisch-frech ihren Gegen-Part. Andreas Hergenröther in der Rolle eines russischen Investors setzt, ganz forsche Rampensau, kräftige Akzente, während Anna Seiler als liebenswert schrullige Siglinde sich als das Glück erweist, das dem glaubhaft verwirrten Thomas Steinbrunner von selbst begegnet. Zwei schliche Landpolizisten (Wolfgang Kaiser, Simon Weber), ein orientierungsloses Elternpaar auf Reisen (Isabella Weber, Toni Scherer) sowie ein streberhaft-emsiger Dolmetscher (Sven Mößbauer) runden das comicartig angelegte Menschenbild des Stücks ab. Als Musterexemplar an Konzentration und Körperbeherrschung erweist sich Maxi "Mhmm" Wagner in der Rolle des weitgehend stummen Gastes, einem der klug eingesetzten skurrilen Elemente, die dem Stück Farbe geben und sichtbar machen, welches Potenzial in Autor und Regisseur Scherer schlummert.

Der versteht sein Dramaturgen-Handwerk schon sehr ordentlich, obwohl er sich diesmal noch nicht eindeutig entschieden hat zwischen Komödie und Groteske. Haupt- und Nebenhandlungen sind sauber durchkonstruiert und gut gegeneinander ausbalanciert. Die einzelnen Erzählstränge bleiben stets klar erkennbar; sie berühren sich, wo möglich, sie bleiben eigenständig, wo nötig. Mit größerer Erfahrung werden ihm als Autor noch die Passagen auffallen, in denen sich Information zugunsten anregender Kommunikation reduzieren lässt und so einem Stück Tempo und Raffinesse verleiht. Er wird Brüche in der Logik zu vermeiden wissen und sein Ensemble den ganzen Bühnenraum erobern lassen. Er wird erkennen, welchen Vorteil es der einzelnen Rolle gewährt, wenn er Ausdrucksform und Sprache noch stärker nutzt, um Charaktere zu formen - auch weil es den Schauspielern mehr Freiheit gibt, eigene Akzente zu setzen, die auch ohne Zigarette in der Hand zünden (für eine Tankstelle wird in diesem Stück sehr, sehr viel geraucht). Er wird auch Wege finden, jene Sätze und Handlungen aus dem Fluss des Geschehens und der Dialoge so herauszuheben, dass sie das Publikum nicht nur ansprechen, sondern ergreifen. Der sehr freundliche Beifall im fast voll besetzten Haus sollte ihm Ansporn sein, diesen Weg weiter zu gehen.

Am Freitag, 7. Juli, 20 Uhr, wird das Stück noch einmal aufgeführt

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