Jazz-Aktionstag:Geschichten mit Zukunft

Jazz-Aktionstag: Vom Bigband-Sound bis zur karibischen Gewitterfront reichte das Repertoire des Jazz-Aktionstags der Musikschule im Unterbräusaal Markt Schwaben.

Vom Bigband-Sound bis zur karibischen Gewitterfront reichte das Repertoire des Jazz-Aktionstags der Musikschule im Unterbräusaal Markt Schwaben.

(Foto: Christian Endt)

Junge Musiker werden beim ersten Jazz-Aktionstag der Musikschule Markt Schwaben zu Storytellern und brechen aus dem traditionell klassisch geprägten Kanon aus.

Von Ulrich Pfaffenberger

Geschichten zu erzählen, das war seit Anbeginn der Kern des Jazz. Schon in seinen Wurzeln steckten die Gospelsongs der schwarzen Sklaven auf den Farmen der Südstaaten voller plastischer Bilder und biblischer Symbolik. Kein Wunder, dienten die Texte doch als praktische Anleitung für die Fluchtwege auf der "Underground Railroad" in die Freiheit.

Im Lauf der Zeit haben sich die Geschichten verändert. Lebendig, kontrastreich und farbig sind sie geblieben. Davon machte sich ein begeistert mitgehendes Publikum aller Generationen am Samstagnachmittag ein Bild im Unterbräu. Die Musikschule Markt Schwaben hatte unter dem Titel "Jazz Stories" zu einem "großen Aktionstag" geladen, der stilecht in einer Whisky-Bar mit Ragtime auf dem Piano begann. Zwar war trotz aufrechten Bemühens dem modernen Zweckbau nicht der Charakter eines "Speakeasy", einer illegalen Kneipe zu Zeiten der amerikanischen Prohibition, oder einer Bourbon Street-Spelunke einzupflanzen; doch entlockte dieses Mühen um Authentizität dem Kenner doch das eine oder andere freundliche Fußwippen; und die Neulinge im Metier machte es schön neugierig. Und wenn der Jazz eines braucht, damit man sich ihm nähern kann, dann ist es Neugier. Darauf, warum die Trauermärsche der Streetband so melancholisch dahinfließen. Darauf, warum es Brücken gibt zum Musical. Darauf, warum Noten das eine sind - und Improvisation das andere. Darauf, warum man im Jazzstück einen Song hört, obwohl keiner singt. Darauf, wie wild Saxofone und Trompeten noch werden können. Darauf, warum man gar keine Lust hat zu gehen, obwohl das alles so schräg klingt.

Guido Klaus, der sich den Aktionstag ausgedacht und die Programmfolge als musikalischen Wandelgang durch die Jahrzehnte angelegt hat, ist mit den "Jazz Stories" ein großer Wurf gelungen. Maßstab des Kritikers für diese Bewertung sind neben dem vierstündig vollen Haus die Begeisterung und die musikalische Qualität der auftretenden Kinder und Jugendlichen. Sie haben bewiesen, dass die universale Sprache Musik und das Beherrschen eines Instruments dafür taugen, aus dem traditionell klassisch geprägten Kanon auszubrechen und sich auf ungewohntem Terrain zu tummeln. Zumal dann, wenn sie ausgewiesene Profis wie einen Josef Ametsbichler an der Seite haben.

Darum seien an dieser Stelle noch ein paar weitere Geschichten erzählt. Etwa die von der Big Band "Markt Schwabens Finest", geleitet von Hermann Rid und begleitet von der Sängerin Heike Schoch: Ballroom-Niveau. Oder die von Adam Ambarzumjan und Evi Rott. Der eine auf der Klarinette, die andere auf der Posaune haben der Dixieband einen Drive gegeben, wie man ihn sich für den Roadster auf der Route 66 wünscht. Oder die eines jungen, gleichwohl ausgereiften Bassisten, der sich als verlässliche Stütze, rhythmischen Zauberer und souveränen Antreiber gleich mehrerer Ensembles erwies: Frédéric Prats. Oder die des Trompeters Stefan Hack, der zu Recht aus der Reihe vor die Big Band treten durfte, um ein feines Solo hinzulegen. Oder die der "glorreichen Sieben" im Percussion Ensemble, von denen wir noch viel hören werden.

Dass neben den jungen Talenten auch einige alte Haudegen auf die Bühne traten, war dem Thema angemessen. Fraglos war ihr Niveau ein ganz anderes, fraglos ihre Fähigkeit zum Setzen von Akzenten, zu mitreißenden Soli und zu kongenialer Interpretation von einem anderen Stern. Wenn ein Guido May das Schlagzeug zur karibischen Gewitterfront mutieren lässt, ein Felix Sapotnik vor Ohren führt, dass ein Saxofon "his masters voice" ist, ein Werner Klausnitzer die Tasten seines Pianos multipliziert oder ein Andreas Kurz den Kontrabass zur musikphilosophischen Apparatur umformt, dann geht dem Jazzfreund das Herz über. Aber gerade diese vermeintliche Kluft zwischen denen, die schon in der blauen Welt der Musik angekommen sind, und jenen, die gerade die ersten Schritte dorthin unternehmen, gerade sie schafft die Spannung und das Reizklima, das die ganze Lebendigkeit des Jazz erst begreifbar und - noch wichtiger - fühlbar macht. Die Geschichte vom Jazz in Markt Schwaben ist um ein umjubeltes Kapitel reicher.

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