Süddeutsche Zeitung

Markt Schwaben:Die vielen Gesichter des Hasses

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Im Franz-Marc-Gymnasium eröffnet eine Ausstellung zur aktuellen Entwicklung des Rechtsextremismus

Von Simon Gross, Markt Schwaben

Die Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, dazu eine kahlrasierte Glatze und natürlich die aufgeplusterte Bomberjacke. Viele Menschen hätten immer noch Erkennungsmerkmale wie diese vor Augen, wenn sie an Rechtsextremisten dächten, sagt Thomas Witzgall von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dass die Szene sich gewandelt hat, zum Teil viel subtiler auftritt und bewusst die Distanz zu gängigen Klischees sucht, davon erzählt der Fachjournalist und Experte bei der Eröffnung der Ausstellung "Demokratie stärken - Rechtsextremismus bekämpfen" am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben. Auf 16 Plakaten möchte die SPD-nahe Stiftung Schülern und Interessierten den Wert der Demokratie verdeutlichen, die aktuellen Entwicklungen im rechtsextremen Milieu aufzeigen und Anregungen für den Umgang damit geben. Das Besondere: Knapp 30 Schüler übernehmen die Führung durch die Ausstellung. Witzgall hat sie in einem Workshop mit dem Konzept vertraut gemacht. Besucher können die Ausstellung bis zum 20. Februar in der Schule besuchen.

Als die etwa 100 Gäste - Schüler, Eltern, Schul- und Gemeindevertreter - am späten Nachmittag in das Gymnasium kommen, ist das Schild, auf dem das Motto "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage" steht, noch verhüllt. Die schwarz-weiße Tafel hängt im Eingangsbereich des Gebäudes schon seit mehr als zehn Jahren. Damit verpflichtet sich das Gymnasium, regelmäßig Projekte gegen Rassismus zu organisieren wie die aktuelle Ausstellung. Warum die Schule es in der vergangenen Woche verdeckt hat, das sollte Schulleiter Peter Popp den Gästen erst nach der Eröffnung erklären.

Unter den Besuchern ist auch Landrat Robert Niedergesäß (CSU), der die Initiative der Schule lobt, die zusammen mit dem Kreisjugendring die Ausstellung im Rahmen des Projekts Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Ebersberg nach Markt Schwaben geholt hat. Niedergesäß spricht die antisemitische Hetze in Schülerchats am Grafinger Gymnasium an. Dass der Fall Ende vergangenen Jahres dort aufgeflogen war, sei ein Zeichen wehrhafter Demokratie. Es zeige aber auch, dass präventiv gegen rassistische Hetze vorgegangen werden müsse. "Mir macht die aktuelle Entwicklung Angst", sagt Popp eingangs und beklagt den Anstieg rechtsextremer Straftaten. Für ihn sei dabei die Verrohung der Sprache ein entscheidendes Element.

Witzgall, der Experte für Rechtsextremismus, erläutert in seinem Vortrag, wie sich die Sprache der Rechtsextremen verändert, wie manche bewusst dazu aufriefen, eindeutiges NS-Vokabular zu vermeiden, um Gedankengut leichter verbreiten zu können. So zeigt Witzgall eine rechte Facebooknutzerin, die Gesinnungsgleichen empfiehlt, das Wort "Bevölkerungsaustausch" anstelle von "Umvolkung" zu benutzen. Neue Organisationen wie die Identitären wählten bewusst ein anderes Auftreten als frühere Rechtsextreme, sagt Witzgall. Sie benutzen im Internet jugendtypische Formate wie Memes mit Tieren, um ihre Botschaften zu verbreiten und drucken T-Shirts, auf denen das harmlos daherkommende Wort "Ethnopluralist" steht - jedoch genauso auf ein rassistisches Weltbild abhebt. Natürlich gebe es nach wie vor auch die klar erkennbar Rechtsextremen. In Bayern sei vor allem die Organisation "der dritte Weg" aktiv, die zum Beispiel für Naziaufmärsche zum 1. Mai verantwortlich ist. Politisch gesehen spiele die NPD hierzulande dagegen kaum noch eine Rolle.

Dass sich heutzutage Einzelne auch radikalisieren können, ohne mit einschlägigen Organisationen in Kontakt zu stehen, habe der Fall von David Sonboly gezeigt, der 2016 vor dem Münchner Olympiazentrum neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss. Auch sei eine Art "Gamification" rechtsextremer Gewalt zu beobachten: Der Täter von Halle hatte seine Tat mit Helmkamera gefilmt und - ähnlich wie bei Computerspielen - im Netz Auszeichnungen für bestimmte Gewalttaten festgelegt.

Es sei wichtig, sich fortwährend zu hinterfragen, ob man genug gegen Rassismus unternehme, sagt Popp, als er das Schild wieder sichtbar macht, mit der Verhüllung wollten sie die Schüler dazu bringen, darüber nachzudenken.

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SZ vom 07.02.2020
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