Markt Schwaben:Der Soziologe, der am Kitt kratzt

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Erst vor einer Woche hatten "Bunt statt Braun" und andere zur Demo gegen die AfD in Pliening aufgerufen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit unaufgeregten, aber scharfen Analysen nimmt sich Andreas Kemper in Markt Schwaben die AfD vor

Von Anselm Schindler, Markt Schwaben

Der Soziologe mit den weißen Turnschuhen war von der ersten Stunde an mit dabei: Die Demontage der AfD ist für Andreas Kemper auch ein Lebensinhalt, oft sitze er stundenlang da, um die Reden des AfD-Scharfmachers Björn Höcke zu analysieren, berichtet er. Nicht zuletzt liefert der linke Publizist und Buch-Autor auch Material für das Parteiausschlussverfahren gegen Höcke. Was sich Kemper auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Zerlegung einer Partei in ihre Einzelteile, er kritisiert, dechiffriert und warnt - auf eine angenehm unaufgeregte, sachliche Art und Weise.

Die einzelnen Bausteine seiner Analysen hat Andreas Kemper am Mittwochabend nach Markt Schwaben mitgebracht, dort hat das Ebersberger Bündnis Bunt Statt Braun zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Rund 30 Menschen kamen - immerhin. Der Anlass: Der Auftritt des wegen antisemitscher Äußerungen umstrittenen AfD-Politikers Martin Hohmann in Pliening.

Kemper, Experte für Klassen- und Genderpolitik, stellt die AfD als eine von inneren Widersprüchen zerfressene Partei, vor: Ein marktradikaler Flügel streite sich da mit einem christlich-fundamentalistischen, die einen wollen den Sozialstaat so gut es geht zusammenkürzen - ein Teil der Parteijugend fordert gar die Abschaffung des staatlichen Rentensystems. Die anderen bedienen sich sozialpolitischer Populismen. Und dann gibt es noch die Hardcore-Fraktion um den Thüringer AfD-Chef Höcke, den Flügel, den Kemper als "faschistisch" charakterisiert. Der ideologische Kitt der alle Fraktionen zusammenhält, so geht es aus der Analyse des Soziologen hervor, ist die Herangehensweise, Menschen in Wertigkeiten zu unterteilen.

In brauchbar und unbrauchbar für den Arbeitsmarkt oder den Erhalt des "Staatsvolkes" - der Begriff steht auch ganz vorne im jüngsten Parteiprogramm. Oder, wenn es um den Höcke-Flügel geht, in deutsch oder nicht deutsch. Aus den Unbrauchbaren, den homosexuellen Menschen, aus den Frauen, die sich auf den Beruf und nicht aufs Kinderkriegen konzentrieren, den Arbeitslosen und Ausländern, konstruiere sich dann die Feindgruppe, erklärt Kemper. Der Teil der Bevölkerung, der nichts beizutragen hat zu Volk und Vaterland. Der Kulturkampf gegen dieses Lager, schweißt die Partei der Flügelkämpfe demnach im Innersten zusammen.

Kemper ist einer, der an diesem Kitt kratzt. Weil es nichts bringe, die AfD einfach machen zu lassen, oder sie zu ignorieren, ganz im Gegenteil. Kemper geht in die Vollen. Geht sein Plan auf, dann könnte die Partei bald an inneren Grabenkämpfen zerbrechen. Eine Bruchlinie geht bereits seit geraumer Zeit durch die selbsternannte Alternative: Als sie gegründet wurde, sei sie von den Marktradikalen dominiert worden, erklärt Kemper. Doch diese Fraktion, sie ist vor Allem mit dem Namen Bernd Lucke verbunden, habe schon bald nicht mehr das Sagen gehabt, Lucke selbst trat aus der Partei aus, weil sie dem neoliberalen Professor der Makroökonomie zu völkisch und rechtskonservativ wurde.

Entlang dieser politischen Koordinaten tobt seither der Richtungskampf, der im Parteiausschlussverfahren gegen den Rechtsaußen Björn Höcke ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Begründet wird das Verfahren von den AfD-internen Gegnern Höckes mit dessen Rede auf einer Parteiveranstaltung in Dresden. Dort hatte der Geschichtslehrer mit Bezug auf das deutsche Geschichtsverständnis von einer "dämlichen Bewältigungspolitik" gesprochen und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert. Eigentlich hatte die AfD auch in Kemper ein Feindbild gefunden, auf einem Blog veröffentlichten Parteimitglieder kurz nach der Gründung der Partei Gesichter von AfD-Gegnern, Kemper stand damals an zweiter Stelle.

Doch im Streit um den Höcke-Ausschluss beriefen sich die parteiinternen Höcke-Gegner inzwischen auch immer wieder auf seine Nachforschungen, sagt Kemper und lacht. Diese Nachforschungen haben es in sich: Kemper sieht beispielsweise einen Zusammenhang zwischen Höcke und dem rechtsradikalen Ghostwriter "Landolf Ladig". "Ladig" bezieht sich in Texten immer wieder auf inhaltliche Positionen Höckes, teilweise sind ganze Textstellen aus Reden des nationalistischen Politikers herauskopiert. Und anders herum entnahm Höcke bei Reden immer wieder Passagen aus den Schriften von "Landolf Ladig", die in der Vergangenheit regelmäßig in NPD-Postillen wie der "Eichsfeld-Stimme" erschienen.

In einem "Ladig"-Artikel werde auch das Dorf beschrieben, in dem der umstrittene AfD-Politiker mit seiner Familie lebt, berichtet Kemper. Er veröffentlichte seine Erkenntnisse bereits im Frühjahr 2015 auf seinem Blog - unter dem Titel "Wieviel NPD höckt in der AfD?". Lange hätten seine Höcke-Nachforschungen niemanden interessiert, doch mit dem Parteiausschlussverfahren kochte das Thema hoch. Auch, und vor allem in der AfD. Parteichefin Frauke Petry erklärte jüngst, es gebe keine "vernünftigen Zweifel daran", dass Höcke unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" Texte veröffentlich habe.

Man dürfe sich allerdings auch nicht von der Abgrenzung vieler AfD-Politiker täuschen lassen, mahnt Kemper. Denn auch die Höcke-Gegner in der Partei seien rechte Populisten und bestens vernetzt mit ultrakonservativen christlichen Verbänden, rechten Medienprojekten und außerparlamentarischen völkischen Bewegungen wie den Identitären oder Pegida.

Die Partei schaffe es recht gut, die soziale Frage, die nach der Wohlstandsverteilung, nach Klassen und Schichten innerhalb der Gesellschaft, in einen nationalistischen Diskurs zu verwandeln, bei dem es nur noch um Außen und Innen, um Vaterland und Ausland, Deutsche und Ausländer gehe. Damit spreche sie zunehmend auch sozial Abgehängte, und frustrierte Menschen an.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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