„Uns ist bewusst, dass digitale Medien und Künstliche Intelligenz auch in den Schulen eine immer größere Rolle spielen werden. Als Schule wollen wir die Schülerinnen und Schüler auf die digitalisierte Welt von morgen vorbereiten“, erklärt Peter Popp, Schulleiter des Franz-Marc Gymnasiums in Markt Schwaben. Er freue sich daher, sich mit seiner Schule an einem Modellprojekt beteiligen zu dürfen, das die Stiftung Bildungspakt Bayern entwickelt hat.
Der Name des Schulversuchs, „Proof“, ist im November gestartet und leitet sich aus den Inhalten des Projekts ab: Prozessorganisation und Feedback. In den Schulalltag integriert wird der Versuch durch digitale Lernhelfer. Schülerinnen und Schülern sollen beispielsweise mithilfe einer Lern-KI bei der Prüfungsvorbereitung unterstützt werden, die Fehler erkennt, Lernlücken identifiziert und in der Folge an den individuellen Lernstand angepasste Aufgaben stellt.
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Bildung der Zukunft:Es ist Wissen, das zählt – nicht Papier
Wie Eltern ihre Kinder durch die sich wandelnde Bildungslandschaft begleiten können, weiß Pädagoge und KI-Experte Christian Pohl. Im Interview sagt er, worauf es in der Schule wirklich ankommt, nennt nützliche Lern-Apps und zeigt den Weg auf zum virtuellen Nachhilfelehrer.
„Für uns als Schule kann das auch ein Weg sein, um mit der Inhomogenität der Schülerinnen und Schüler umzugehen und die Lernenden gezielter an ihrem Lernstand abzuholen“, erklärt Popp. Er hoffe zudem, dass die Unterstützung durch die künstliche Intelligenz (KI) dazu führe, dass Lehrerinnen und Lehrern mehr Zeit für pädagogische Arbeit bleibt. Im Landkreis Ebersberg ist das Franz-Marc Gymnasium die einzige Schule, die für das Modellprojekt ausgewählt wurde. Bayernweit nehmen 16 Schulen, von Grundschulen bis Förderschulen, an dem Versuch teil.
Künstliche Intelligenz hat ohnehin schon lange Einzug in die Schulen gehalten, stellen Nicole Storz, Schulleiterin des Gymnasiums in Grafing, und Markus Schmidl, Rektor der Realschule in Ebersberg, übereinstimmend fest. „Das Thema schlechthin“ sei KI geworden, beschreibt Storz, welches anscheinend auf Lehrer- wie auf Schülerseite für einiges an Unsicherheit sorgt. „Wir wissen alle nicht, wie wir damit umgehen sollen“, sagt die Gymnasialdirektorin.
Nicht alle Schülerinnern und Schüler stehen KI im Bildungssystem positiv gegenüber
Eine Publikation des „Bayerischen Forschungsinstitutes für Digitale Transformation“ (bidt) vom März dieses Jahres legt nahe, dass 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler den Einsatz von KI für eine große Herausforderung für das Bildungssystem halten. Ein Viertel der Schülerschaft sieht in ihr sogar eher Risiken statt Chancen. Als „faszinierend und beängstigend“ fasst Schmidl die rasante Entwicklung der Technologie zusammen.
Und wie steht es um den Umgang, den Schüler mit Künstlicher Intelligenz pflegen? Der Ebersberger Realschulleiter seufzt. Natürlich lasse sich ein Missbrauch der zahlreichen Programme durch die Schüler nicht vermeiden. Es müsse eben neu gedacht werden, was die Formate von Prüfungen angeht. Seminararbeiten beispielsweise seien besonders schwer zu kontrollieren, berichtet seine Grafinger Kollegin. Selbstgeschrieben oder von Chat-GPT kopiert? Das lasse sich von außen kaum beurteilen.
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Auch in klassischen Schularbeiten werde es zunehmend schwieriger, Unterschleif zu stoppen. „Früher wurde noch mit normalen Zetteln gespickt“, berichtet Storz, jetzt hätten viele ein zweites Handy bei sich, um eine Verbindung nach außen herzustellen. „Wie soll das denn überprüft werden?“, fragt sie. Man könne die Schüler ja schließlich nicht abtasten.
Mittlerweile gibt es sogar ganze Unternehmen, die Technologie zum Spicken verkaufen. „Unsichtbare Mini-Kamera und Spion-Kopfhörer“ wirbt Spy School online für seine Produkte. „Die Evolution des klassischen Spickzettels“, und die funktioniert so: Eine als Knopf getarnte Kamera überträgt live die Prüfungsfragen an einen Helfer nach außen. Dieser recherchiert dann die Lösungen und informiert den Prüfling über einen kleinen Kopfhörer. „Wenn schon spicken, dann richtig!“, wirbt der Anbieter. Wer kurz vor der Prüfung in Panik gerät, kann sich also für 149 Euro von seinen Sorgen befreien – und wenn es schnell gehen muss, wird selbstverständlich auch per Expresslieferung versendet.
Schüler verstünden oft nicht, dass Hausaufgaben Sinn und Zweck haben, sagt Storz
Für Schüler sei KI sehr praktisch, das sei doch für alle nachvollziehbar, sagt Storz. Dennoch: „Die Schüler verstehen oft nicht, dass die Hausaufgabe sie nicht nur nerven soll, sondern tatsächlich auch einen Sinn und Zweck hat“, erzählt sie. Genau dieser Sinn und Zweck wird bei der Bearbeitung der Aufgaben mit KI aber nicht mehr erfüllt. Kompetenzen ausbauen und den Schülern das richtige Werkzeug an die Hand geben, formuliert Schmidl den Auftrag der Schulen, der dieses Problem beheben soll. Auch das bidt schlussfolgert: Klare Leitlinien im Umgang mit KI, sowohl bei Lernenden als auch bei Lehrkräften, seien unabdingbar.
„Unglaublich viele Fortbildungen“ gebe es seit Aufkommen der Technologie für die Lehrkräfte, berichtet Schmidl. Dass in so kurzer Zeit so viele neue Seminare aus dem Boden gestampft werden, das habe er noch nie erlebt. Je nach Fach kann die Anwendung dabei ganz unterschiedlich aussehen: Von Korrekturtools für Deutschlehrkräfte über Bildbearbeitungsprogramme in Kunst bis zu Versuchs-Simulationen im Chemieunterricht sei alles dabei.
Am Franz-Marc Gymnasium startet das Projekt „Proof“ zunächst in den achten bis zehnten Jahrgangsstufen und wird in den Fächern Deutsch und Englisch umgesetzt. Fünf Lehrkräfte des Gymnasiums, die das Projekt an der Schule betreuen, besuchten bereits eine Schulung in München, sodass mit der Verwendung der Lernhelfer noch in diesem Schuljahr begonnen werden soll. Langfristig soll das Projekt noch auf mehrere Fächer und Jahrgangsstufen ausgeweitet werden und insgesamt drei Jahre lang dauern.
Das gesamte System müsse überdacht werden, schließt Storz. Verschwinden werde Künstliche Intelligenz ganz sicher nicht mehr. Und auch Schmidl ist überzeugt: Neugierig bleiben und Schritt halten – das sei die Herausforderung, der man sich stellen muss.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hat ein Zitat von Schulleiter Peter Popp nicht ganz gestimmt. Statt von Homogenität, wie in der ersten Version geschrieben, sprach er von der Inhomogenität der Schüler.