"Fasse dich kurz!", besagte einst ein Hinweis an vielen Telefonen, als deren Verfügbarkeit noch rar und jede Verbindungsminute kostbar war. Dabei ist es alles andere als einfach, komplexe Botschaften in wenige Worte zu packen. Einer, dem dies nun schon zum wiederholten Mal gelingt, ist Bernhard Winter aus Markt Schwaben.
In "wie weit ist ein wir? - Spuren in die Liebe", seinem bereits siebten Buch, hat er eine Sammlung von mehr als 50 Gedichten aufgelegt, die nichts weniger abdecken als die ganze Welt. Denn in seinen Aphorismen oder Mantras, wie der Endsechziger sie lieber nennt, geht es um Zwischenmenschliches ebenso wie um die Natur, aber auch und vor allem um die eigene Person.
"Das Wichtigste ist das Ich" sagt der Autor. Natürlich gelte dies weder im narzisstischen, noch egoistischen Sinne. Stattdessen weiß Winter als praktizierender Psychotherapeut: "Du kannst keine Frau, keinen Mann, keinen Fuchs, keine Bäume mögen, wenn du dich selbst nicht magst." Deshalb geht es etwa in "Frisch verleibt" um eine Aussöhnung mit dem eigenen Körper. "Der andere soll mich so nehmen, wie ich bin."
Das Gedicht findet sich im ersten Kapitel des in drei Teile gegliederten Bändchens. Orientierung schafft dabei die Grafik: Die Überschriften im Komplex "Ich" sind in blau gehalten, das "Du" ist goldfarbig, "Gott und die Welt" erkennt man am Grün.
Auch sonst ist die Gestaltung mit liebevollen Details angereichert. So werden die titelgebende Spuren, luftig wie kleine Goldflöckchen, immer wieder an den Seitenrändern aufgegriffen, ergänzt durch zarte Berg-, Strand- und Uferaquarelle, einen bezaubernden, blau-grauen Vogel sowie zerbrechliche Äste, Sträucher und Blumen. Dass die Motive aus der Natur stammen, ist kein Zufall. Denn, so Winter: "Die ganze Welt ist wichtig, und du musst etwas tun, damit sie nicht kaputt geht."
Dazu will auch der gebürtige Augsburger beitragen - durch seine verschiedenen Aktivitäten und nicht zuletzt mit Hilfe seiner Texte. Dem Impuls, das was ihn bewegt, aufzuschreiben, folgt Winter zwar erst seit ungefähr zwölf Jahren. Das Faible für die prägnante Form allerdings habe er schon während seiner Zeit als Bürgermeister von Markt Schwaben gehabt: "Meine Reden waren immer kurz." Damit eine Botschaft nicht nur klingt, sondern auch etwas bewirkt, sei entscheidend, sie zu verdichten. Und es komme bei seinen Werken auch auf die Titel an.
Der Mann kann Tiefsinn, aber auch Humor
Bestes Beispiel ist dafür wohl "Anstelle eines doppelbändigen Kompendiums der Elementarpädagogik". Unter dieser Überschrift nämlich heißt es: " Schau mich an/hör mir zu/sei da/und/ich/wachse/aus Wurzeln/zu Blüte und Frucht".
Dass Winter aber nicht nur tiefsinnige Ratschläge für Eltern und Erzieher in petto hat, sondern auch Humor kann, zeigen die beiden Akrostichons, die er persönlich zu seinen Lieblingstexten zählt. Sie stehen sich auf einer Doppelseite gegenüber. Links "Schatz": die hymnische Beschreibung einer offenbar geliebten Person, in der sich Poesie und Sinnlichkeit ein Stelldichein geben : "...so warm riecht dein Haar/Cherubinische Strubbel/Hell dunkel voll Duft...". Und rechts? Steht eine Ode, ebenfalls gespickt mit verheißungsvoll-vielversprechenden Worten. Wäre da nicht der Titel: "Umsatzsteuer". Auf die Idee, diese beiden zu verpartnern, muss man erst einmal kommen.
Wie ein Vater all seine Kinder liebt, mag Winter aber sämtliche Texte im Buch. Am allerschönsten findet er es jedoch, wenn er sie öffentlich vortragen, seine "Stimme dazugeben" kann. Sehr gern bindet er dabei auch weitere Künstler ein. Wie bei einer bereits ausgebuchten Lesung an diesem Samstag in Markt Schwaben, wo er die Griechin Evangelia Papadopoulos und Bestsellerautorin Bärbel Wardetzki auf die Bühne holt - musikalisch begleitet von Harfenistin Sophie Betzl. Bei einer weiteren Buchvorstellung am Donnerstag, 20. April, in der Münchner Buchhandlung Michaelsbund am Stachus unterstützt ihn Gitarristin Sofia Greißel. Dazu kann man sich übrigens noch anmelden, per Mail an winter.lyrik@t-online.de .
"mayama olana patomi"? Manche Texte bieten geheimnisvolle Klangmalerei
In mehr als hundert Sonntagsbegegnungen hat Winter höchst unterschiedliche Persönlichkeiten zusammengebracht, in seinen Gedichten malt er mit Worten Bilder, die ebenso vielfältig und abwechslungsreich sind. Zuweilen sogar einzig und allein durch ihren geheimnisvoll-suggestiven Klang, wie in "oh du": " mayama olana patomi/mayama alana mayou/mayala olana mirata ...".
Wahrscheinlich braucht man für solche Texte eine passende Muse, oder? "Ich habe mein ganzes Leben, seit ich klein bin, positive Lebens- und Liebeserfahrung gemacht. Ich spüre, dass mich Menschen mögen und ich sie mag", erklärt Winter, was ihn inspiriert. Darum betont er auch, dass der Buchuntertitel nicht etwa "Spuren der Liebe" heißt, sondern eben "Spuren in die Liebe": Mit seinen Texten möchte er zeigen, wie ein solcher Weg aussehen kann.
Dass die von ihm gewählte kurze Form dem Zeitgeist des schnellen Konsums entspricht, sei tatsächlich kein bewusster Plan gewesen, sagt der Autor. Aber zweckmäßig sei es schon: "Du musst nicht stundenlang lesen, sondern kannst in vier Sekunden ein Gedicht anschauen." Für das nachfolgende braucht man zwar geringfügig länger, es bringt aber eine komplexe Botschaft wunderbar auf den Punkt. "Ein Riechen": " Hundert Schauen ist wie/Zehn Hören ist wie/Ein Riechen".
Bernhard Winter: "wie weit ist ein wir? Spuren in die Liebe". Herder HC, Freiburg 2023. 64 Seiten, 16 Euro.