„Am Anfang war hier alles leer.“ Kann man sich gar nicht vorstellen, was Barbara Kiefl da sagt, die Hände lässig in den Taschen eines dunklen Blousons, ein leichtes Lächeln unter dem grauen Zopf. Ihre langen Beine stecken in einer engen Stoffhose, gemustert in gelbem und blauem Pastell, die irgendwie gut hierher passt in den Markt Schwabener Trödelladen, der zwei ganze Geschosse eines früheren Getreidelagers einnimmt.
Leer ist hier gar nichts, dafür alles scheinbar kunterbunt zusammengewürfelt. Auf den ersten Blick zumal – die Ordnung ist veränderlich, folgt einer zufälligen Logik, die sich aus dem ergibt, was sich eben so ergibt, was die Häuser und Wohnungen hergeben, die Kiefl entrümpelt. Ein bis drei sind es im Monat. Seit 15 Jahren macht sie das und kennt keine Berührungsängste, im Gegenteil. „Es ist doch schön, dass die Sachen weiterleben, wenn man geht. Dass sie nicht auf dem Wertstoffhof landen.“ Zumindest jene nicht, deren einziges Manko es ist, wenn man so will, dass sie schon eine Geschichte haben, und die Kunden, die zahlreich und regelmäßig in die Färbergasse 23 kommen, sie nicht fabrikneu aus dem Regal ziehen können. Auf manchem liegt Patina, manches aber war noch vor Kurzem von einem Menschen, der jetzt nicht mehr da ist, zum Gebrauch bestimmt, so wie die Weinflaschen, die in einem Korb am Boden lagern. „Kann ich die schon mal zur Kasse stellen?“, ruft eine junge Frau, die den ganzen Arm voll mit diesen Flaschen hat. „Sie sind genau mein Jahrgang, das passt so gut.“

Die Flaschen, für einen Euro das Stück, stammen von einem Weinliebhaber. „Der Mann ist gestorben, seine Frau konnte nichts damit anfangen“, erzählt Kiefl, also habe sie das ganze Weinlager übernommen. „Wenn er meinen Kunden nicht schmeckt, ist bei dem Preis nicht viel verloren, dann schütten sie ihn eben weg.“ Es seien aber schon einige wiedergekommen, um mehr davon zu kaufen.
Nicht alles, was hier zu finden ist, stammt aus Haushaltsauflösungen. Vieles wird auch einfach bei Barbara Kiefl abgegeben, sie hat sich mit ihrer Trödlerei längst etabliert in Markt Schwaben. Und so findet sie zwar gelegentlich fremden Sperrmüll vor ihrer Ladentür, den sie dann selbst entsorgen muss, manchmal aber auch nette Überraschungen, so wie das E-Piano, das nun hochgeschätzt im ersten Stock steht. Ob es jemals verkauft wird, ist fraglich. Bei den Sofa-Konzerten, die hier regelmäßig stattfinden, tut es gute Dienste. Bob Eberl, Kellerbua oder Da oide Schlag gaben sich hier schon die Ehre.

Kunst und Trödel, passt das zusammen? Die Antwort drängt sich auf: unbedingt. Die ganze Trödlerei ist Kunst. Ein Ort, der schillert und lebt und sich ständig verändert. Wer einmal durch die Tür im Erdgeschoss getreten ist, der taucht ein ins pralle Leben. Das Auge versucht wahrzunehmen, das Gehirn zu verarbeiten, doch beides scheint aussichtslos. Regale mit Kaffeekannen und Untertellern und Tassen, aus Ton und Glas und Porzellan fangen den Blick, dort sind Ledertaschen gestapelt, hier Lampen und Gläser, im „sakralen Eck“ Holzkreuze und Heiligenbilder, in einem Nebenraum ausgediente Kleidungsstücke – ein Paar sucht gerade darin nach Brauchbarem.
Da gibt es aus der Zeit gefallene Uhren, da hängen Kronleuchter, die mit der Ewigkeit um die Wette glitzern. In einer Nische warten Elektrogeräte auf einen neuen, vielleicht ja ihren letzten Einsatz. Auf Augenhöhe steht auf einem Brett ein Originalkarton mit einem Fondue-Set – und es mutet eigenartig an, das gleiche Set auch im eigenen Keller zu wissen: Wer weiß, ob und wann es auch einmal in einem Laden wie diesem landet.
Die Preise sind dabei immer so, dass auch Menschen hier einkaufen können, die sich im normalen Handel nicht viel leisten können. Ein Paar Schuhe fünf Euro, eine Tasche ebenso, ein Schrank zwischen 50 und 100 Euro. Manches sei verhandelbar, ums Reichwerden, geht es Kiefl nicht, „aber unverschämt braucht auch keiner sein. Und je mehr man nimmt, umso günstiger wird’s.“ Eine Art Querfinanzierung also.

Hinter all dem steht eine Macherin, die vor Ideen nur so sprudelt. Vor vier Jahren hat die damals 41-jährige Kiefl, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, den alten Getreidespeicher angemietet, der zuvor acht Jahre lang leer stand. Es gibt keine Zentralheizung, nur einen Kamin. Die alten, eisernen Öfen aber habe sie selbst erst einmal beschaffen müssen, erzählt die ehemalige Krankenschwester, Reitlehrerin, Sterbebegleiterin. Sie hat schon viel gemacht und gewagt in ihrem Leben. Doch dieses Gebäude ist die Erfüllung eines Traums. Dass es im Winter ein wenig kühl bleibt, sei für die Kunden kein Problem, und den Kuchenliebhabern im Café, das sie im ersten Stock eingerichtet hat, und den Partygästen, an die sie das Café als Eventlocation günstig vermietet, heizt sie mit einem zusätzlichen Heizlüfter ein. Auch die Künstler, an die Kiefl auf der oberen Etage mehrere Nischen verpachtet hat, darunter Clown Pippo, profitieren davon. Ein bisschen Abwärme erreicht wohl auch den Rockstore in einem Nebenraum, wo sich ein vierköpfiges Team um die Plattenjunkies kümmert, die sich hier zwischen Second-Hand-Singles und LPs in Vinyl verlieren können.

Plattenbörse in Markt Schwaben:Schallplatten, so "unpraktisch, unhandlich und wunderbar"
Wer beim Knistern vor dem ersten Song Wohlfühlhormone ausschüttet, ist hier richtig: Im Rock Store, dem ersten Plattenladen im Raum München auf Non-Profit Basis, kann man Vinylscheiben abgeben - und nach neuen Fundstücken suchen.
Ein altes Haus, das gut zu alten Dingen passt, genug Platz, um Kunst und Kreativität einen Raum zu geben - „für mich ist das hier perfekt“, schwärmt Kiefl. Selbst, wenn sie einen Traum nicht realisieren konnte: Eine Kleinkunstbühne habe ihr vorgeschwebt für die oberste Etage, doch Brandschutzbestimmungen standen dem entgegen. Wenn man die Holzstufen bis unters komplett sanierte Dach nach oben gestiegen ist, weitet sich der Blick auf eine riesige Fläche, die eine Vorstellung von der früheren Nutzung des Hauses weckt. Kiefl nutzt den Raum jetzt als Lager. Zwei Stock tiefer, im Erdgeschoss konnte sie dafür eine andere Idee umsetzen: Eine voll eingerichtete Schreinerwerkstatt.

Dort, wo früher das Getreide aus dem Turm geschüttet und in Säcke umgefüllt wurde, steht seit Januar an den Öffnungstagen Roland Zimmerhackl bereit, um Menschen zu helfen, die etwas schreinern oder auch nur reparieren möchten und selbst keinen Platz und keine Maschinen dafür haben. Der Sozialpädagoge und Werklehrer gibt hier auch Kurse in Holzbearbeitung für Kinder und Erwachsene.

Und weil Barbara Kiefl ihre Energie aus der Veränderung zieht, hat sie nun schon wieder ein neues Projekt im Auge. Sie wird, wenn alles klappt, den Buchladen am Markt Schwabener Marktplatz übernehmen. Die vielen Bücher, die sich nach und nach bei ihr angesammelt haben und nur zum Teil in einem Regal im ersten Stock Platz finden, sollen mehr Sichtbarkeit bekommen. Das Konzept steht, die Verhandlungen sind weit gediehen, noch vor Weihnachten will Kiefl am Marktplatz gebrauchte und auch neue Bücher anbieten, außerdem schöne Dinge aus ihrem Bestand und Selbstgemachtes wie Marmeladen. Dazu soll es eine Lese-Ecke geben.

Die Trödlerei soll von Anfang Oktober an einen Tag mehr geöffnet sein, von Mittwoch bis Samstag, was ein Aufstocken der Belegschaft notwendig mache, wie Kiefl erklärt. Bisher habe sie vier Minijobber beschäftigt, nun werden drei Festangestellte für sie arbeiten, darunter eine gute Freundin, die schon lange aus ihrem Beruf aussteigen möchte und den Buchladen aufbauen soll.

Dass damit ihre Verantwortung weiterwächst, ist nichts, das Barbara Kiefl schrecken würde. Es gebe Studien darüber, was alte Menschen bereuen, wenn es mit ihnen zu Ende geht, erzählt die frühere Sterbebegleiterin: „Und das ist nur das, was sie nicht getan haben.“