Wenn es ein Paradies gibt für alle großen und kleinen Pippi Langstrümpfe, dann muss es wohl hier sein, in Markt Schwaben, im Habererweg 12. Denn dort, in der alten Mittelschule, ist alles erlaubt, was anderswo verboten ist: Man darf mit Straßenschuhen in die Turnhalle gehen und könnte dort sogar, unter dem Blick einer Lebensfreude pur versprühenden Basketballerin, geschaffen von den MunichWallFlowers, etwas essen. Man darf Tische bekritzeln sowie sich auf den Fensterscheiben, Wänden und Fußböden verewigen. Man darf vor allem nach Herzenslust mit Farbe herumspritzen.
Bestimmt dürfte man auch laut singend durch die Gänge, Treppenhäuser und Klassenzimmer toben. Das macht nur im Moment niemand. Denn an diesem Dienstagmittag ist noch kein Publikum anwesend. Nicht mal alle Kunstschaffenden, die das zum Abriss bestimmte Gebäude bis zum 22. September für das Event „ArtBreak“ in den unterschiedlichsten Formen bespielen werden, haben sich bereits eingefunden.
Wer aber bestens Bescheid weiß ist Anja Birnkraut vom Aktivkreis „Kunst und Kultur“. Sie hat das Projekt organisiert – zusammen mit Hilde Haushofer, Künstlerin Rebecca Winhart und Natalie Cusimano (AK Natur und Nachhaltigkeit).
Letztere steht an der Tür eines schmalen Raumes, der in einem satten Grün erstrahlt. Die Wände habe sie bereits am Vortag gestrichen, erklärt die Hobby-Künstlerin. Das an diesem Vormittag aufgetragene Lackspray ist noch deutlich zu riechen. Links an der Seite stehen im Haus gefundene verdorrte Pflanzen. „Die hat keiner mitgenommen. Jetzt lasse ich mich davon inspirieren“, erklärt Cusimano.
Die promovierte Biologin ist aber offenbar nicht die Einzige in ihrer Familie mit künstlerischer Ader. Auf dem Flur, gegenüber von aus dem Werkraum geretteten Tonbildern, befindet sich ein Werk ihrer Tochter Melina. Die Zweitklässlerin habe dazu erst ermutigt werden müssen, erklärt die Mutter. „Doch als ich ihr sagte: ’Du kannst nichts falsch machen, nichts schmutzig machen, nichts kaputt machen’, legte sie los – und es war eine wahre Freude ihr dabei zuzusehen.“
Hier hakt Birnkraut mit Begeisterung ein: „Das große Bäm ist bei allen schon da! Man muss nur in die leuchtenden Augen der Mitwirkenden schauen und schon weiß man, dass sich das Projekt gelohnt hat, selbst wenn kein einziger Besucher den Weg in die Schule finden würde.“ Was bestimmt nicht der Fall sein wird, denn zu faszinierend ist die Möglichkeit, selbst Teil des Geschehens zu werden, wozu im „Mitmachflur“ auf Schritt und Tritt aufgefordert wird.
Beeindruckend sind auch die jetzt schon vorhandenen Gemälde und Installationen, zu denen im Lauf der zwei Aktionswochen noch viele weitere hinzukommen werden. Zu den mehr als 50 beteiligten Kunst- und Kulturschaffenden gehört auch Carlson, Künstlername ReBella DeLucca, der aktuell noch die Schauspielschule besucht; gerade studiert er „Laertes“ aus Hamlet ein. Das Multitalent schreibt außerdem und ist als DJ unterwegs.
Porträts wie dieses von Emma Watson und Hände sind die Spezialität des 27-Jährigen: „Hier ist beides vereint.“ Beide Hände braucht auch Roman Hummitzsch, dessen Installation „Lichtblick durch die Bildungslücke“ noch längst nicht fertig ist.
Aktuell wirft der Gründer des Kirchheimer Kunstraums noch lustvoll Farbe an die Wand, was ihn anfangs fast ein wenig Überwindung gekostet habe, wie er lächelnd zugibt. „Normalerweise sind meine Malerei und Skulpturen figürlich und realistisch.“
Mit seinem Werk möchte der zweifache Vater ein System anprangern, in dem – vor allem nach den Kürzungen bei den Fächern Werken, Musik und Sport an den Grundschulen – „viel zu wenig Kreativität gelehrt wird. Dabei ist es das Einzige, was uns aus dem Schlamassel hilft.“
Eine kreative Idee, vor allem aber einen herzhaften Stoß benötigte es für das Treppenkunstwerk von Anja Birnkraut. Auf Instagram habe sie gefragt: „Wenn da zwei Eimer Farbe herumstehen, was würdest du tun? Deckel drauf und aufräumen? Ignorieren und daran vorbeigehen? Runterwerfen?“ Sie hat sich für Letzteres entschieden.
Auf dem Weg durch die Schule geht es vorbei an sorgfältig geputzten Zimmern, die auf Menschen warten, die Seide und Schirme bemalen oder an einer Perlenwerkstatt teilnehmen wollen, und solchen, in denen sich schon eine Familie ausgetobt hat, die Birnkrauts Aufruf gefolgt ist. In anderen Räumen haben die Workshopleiterinnen schon alles aufgebaut fürs intuitive Malen oder kreative Schreiben. Und schließlich gibt es noch Bereiche mit klar erkennbarem Work-in-Progress: Farbeimern, Pinseln, Stoffballen mit noch geheimnisvoll verborgener Bestimmung.
Wozu die noch zahlreich vorhandenen Schultafeln einmal dienten, ist klar. Diese seien nach dem Ende des Projekts für 25 Euro zu erwerben, ist zu erfahren. Im Keller ist schon alles für den Workshop „Paint in the Dark“ von Tina Hannak abgedunkelt. „Wenn dann nur das Schwarzlicht leuchtet, sieht man auch die fluoreszierenden Bilder von Isabella Kowalski an den Wänden“, erklärt Birnkraut.
Ob unten oder oben: Überall spürt man eine fast greifbare Energie. Kraftvoll, bezaubernd und verstörend zugleich, strömt sie auch aus einem Raum in Rot und Orange, eine Installation der Markt Schwabener Maria Heller und Otmar Demharter. Ob man in den Raum hineingehen darf? Heller erklärt: „Otmar als Regisseur hat die Sachen immer von vorn gesehen. Er war dafür, dass niemand den Raum betritt und alles so bleibt; wie ein Bühnenbild.“
Für sie selbst hingegen sei das anders: „Als Kunsttherapeutin bin ich immer mittendrin, darum denke ich, das muss man erleben.“ Die beiden haben eine salomonische Lösung gefunden: Am ersten Publikumswochenende ist nur schauen erlaubt, am zweiten darf man die „Raumerfahrung“ selbst machen. Es lohnt sich also, zweimal hinzugehen.
Anja Birnkraut kann es kaum erwarten, bis sich das Gebäude, das im Grunde nun ein einziges, großes Atelier ist, an den Publikumstagen mit noch mehr Leben füllen wird.
Den Weg zu finden, wird auch Ortsunkundigen leicht fallen. Dafür sorgen schon die beiden Boxer, mit denen der Erdinger Urban-Art-Künstler Mr. Woodland gerade die Fassade verziert. Weitere 25 seiner Kolleginnen und Kollegen werden sich etwa 15 andere Außenflächen der Schule vornehmen. Kein Wunder also, dass Organisatorin Rebecca Winhart von einer „tollen Chance für Künstler und Besucher“ schwärmt.
Die Publikumstage von „Art Break“ finden zweimal donnerstags bis sonntags statt, und zwar vom 12. bis 15. September und vom 19. bis 22. September. Geöffnet ist an den Donnerstagen von 16 bis 22 Uhr, ansonsten immer von 14 bis 20 Uhr. Das komplette Programm gibt es entweder als Aushang am Turnhallenzugang, Alte Mittelschule Habererweg 12, Markt Schwaben, oder im Netz unter: https://aktivkreise.de/artbreak.