Markt Schwaben:An der Schwelle von der Moral zum Recht

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Bischof Wolfgang Huber (links) und Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof. (Foto: Christian Endt)

Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof diskutiert mit Bischof Wolfgang Huber darüber, ob Barmherzigkeit Platz in Gesetzen hat

Von Karin Kampwerth, Markt Schwaben

Natürlich muss es auch um die Not auf der Welt gehen, um Bürgerkriege, um Hunger und Elend, wenn ein Jurist und ein Theologe über Gerechtigkeit, Billigkeit und Barmherzigkeit sprechen. Paul Kirchhof, Staatsrechtler an der Universität Heidelberg und früherer Verfassungsrichter, und Bischof Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), mussten sich am Thema der Markt Schwabener Sonntagsbegegnung nicht abarbeiten. In einem klugen Dialog zweier Intellektueller führten sie den gut 300 Zuhörern im Unterbräusaal vor, welche Ignoranz des Grundgesetzes sich Gruppierungen wie Pegida genauso wie die deutsche Bundesregierung innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft zumindest unter moralischen Gesichtspunkten vorwerfen lassen müssen.

So habe zwar nur, wer politisch verfolgt wird, ein Bleiberecht. Inzwischen aber kämen Menschen, die vor Naturkatastrophen oder Hunger fliehen - "einfach, weil sie überleben wollen", wie Paul Kirchhof sagte. Juristisch sei deren Abschiebung kein Problem, "aber der Würdegedanke verbietet das." Artikel 1 des Grundgesetzes verpflichte, die Genfer Flüchtlingskonvention zu unterschreiben, wenn diese besagt, dass jedem, der seine Existenz aufgibt und flüchtet, Unterschlupf gewährt werden müsse und er nicht mit Beschäftigungsverboten daran gehindert werden dürfe, sich in die Gesellschaft zu integrieren. "Der Blick von unten hilft zu sehen, wo die Defizite in unserer Gesellschaft sind", empfahl Wolfgang Huber Zweiflern. Barmherzigkeit sei der Schlüssel für Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit sei der Maßstab für die Gesetzgebung.

Für Kirchenmann Huber bedeutet Gerechtigkeit darüber hinaus, dass alle den gleichen Zugang zu Freiheit haben, von der jeder individuell Gebrauch machen könne, so lange er die Freiheit anderer mit seinem Handeln nicht einschränke. Kirchhof hält es da mit Immanuel Kant und dessen umgangssprachlich übersetztem Freiheitsbegriff: "Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu."

Das Problem der philosophischen Betrachtung von Gerechtigkeit sei, hört man dem Theologen und dem Juristen weiter zu, allein der Mensch. Gerechtigkeit sei eben wie die Gesundheit - ein Zustand, der wohl nie vollständig zu erreichen ist. "Wir verwirklichen große Ideale mit unzulänglichen Menschen," sagte Kirchhof. Das stehe bereits in der Bibel, zwei Apostel seien Verräter gewesen.

Das Thema der menschlichen Unzulänglichkeit fernab jeglicher Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit führte Kirchhof und Huber unweigerlich in einen wirtschaftlichen Exkurs. Weil auf den Finanzmärkten mit den unterschiedlichen Staatsformen jongliert werde, könnten Gesetze nicht mehr greifen. "Wir brauchen eine Rechtsordnung, welche die Giganten der Macht in ihre Schranken weist", wie Kirchhof sagte. Auch, um für die Menschen wieder nachvollziehbar zu machen, dass Ungleichheit etwa beim Einkommen nicht ungerecht sein muss, wenn beide Seiten daraus Vorteile ziehen könnten, so Huber. Wobei es Huber freilich nicht um die kapitalistische Verteilungslehre geht, sondern schlicht um ein friedliches Miteinander - und das auch geografisch weitmöglichst. "Wenn Europa nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wertegemeinschaft sein will, brauchen wir verbindliche Regeln für Solidarität", sagte Huber. Für die Flüchtlinge bahnt sich hierbei ein wenig Gerechtigkeit an. Denn mit der Genfer Konvention befinde man sich laut Staatenrechtler Paul Kirchhof an der Schwelle von der Moral zum Recht.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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