Geflüchtetenunterkunft Markt SchwabenFriede am Ziegelstadel?

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In eines von zwei Häusern auf dem ehemaligen Firmengelände von Atron sollen nach den Pfingstferien 66 Geflüchtete einziehen.
In eines von zwei Häusern auf dem ehemaligen Firmengelände von Atron sollen nach den Pfingstferien 66 Geflüchtete einziehen. (Foto: Christian Endt)

Das Landratsamt hat zu einer Besichtigung der neuen Unterkunft auf einem ehemaligen Firmengelände in Markt Schwaben eingeladen. Auch Vertreter der früheren Bürgerinitiative gegen die Unterbringung der Geflüchteten in ihrer Nachbarschaft sind gekommen.

Von Alexandra Leuthner, Markt Schwaben

Landrat Robert Niedergesäß (CSU) nähert sich gemessenen Schrittes, als die ersten Neugierigen das Haus am Ziegelstadel schon wieder verlassen. Draußen, am kleinen Treppenaufgang, steht Markt Schwabens Bürgermeisterin Walentina Dahms (CSU) im Gespräch mit ein paar Anwohnern aus der Nachbarschaft, von drinnen hört man Andreas Skaletz, Sachgebietsleiter Asyl im Landratsamt, wie er die Ausstattung der Räume erläutert. Die Maisonne scheint, Vögel zwitschern auf dem ehemaligen Firmengelände der Atron GmbH. Eine ganz große Glocke aus Frieden scheint über der Szenerie zu liegen.

Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, welche Vorgeschichte diesem Dienstagnachmittag vorausging, an dem das Landratsamt die Türen zur neuen Flüchtlingsunterkunft geöffnet hat, um jedem, der es sehen wollte, zu zeigen, wie es im Innern des früheren Bürogebäudes jetzt aussieht. Im Juni sollen 66 Geflüchtete hier einziehen, in erster Linie Familien, so wurde es den Anwohnern versprochen.

Viel Licht und eine Grundausstattung: Vor allem Familien sollen hier unterkommen.
Viel Licht und eine Grundausstattung: Vor allem Familien sollen hier unterkommen. (Foto: Christian Endt)

Im Herbst 2023 war bekannt geworden, dass die Regierung von Oberbayern das Gelände mit seinen zwei Gebäuden angemietet hat, um dort 120 Menschen unterzubringen. Ein Sturm der Entrüstung brach los, in erster Linie in unmittelbarer Nachbarschaft, einem eng bebauten Wohnviertel, in dem überwiegend Familien zu Hause sind. Kurz vor Weihnachten sahen sich Landrat Robert Niedergesäß, der damalige parteilose Bürgermeister von Markt Schwaben Michael Stolze und Vertreter des Gemeinderats bei einer Infoveranstaltung mit einer aufgebrachten Menschenmenge konfrontiert. Hunderte waren in die Theaterhalle gekommen, die Sitzplätze reichten hinten und vorne nicht aus.

„So einen Advent wie damals will ich nicht mehr erleben“, wird die neue Bürgermeisterin Dahms wenig später an diesem friedlichen Nachmittag im Innern des Hauses erklären.

Landrat Robert Niedergesäß und Markt Schwabens Bürgermeisterin Walentina Dahms wirken sichtbar erleichtert beim Tag der Offenen Tür in der neuen Unterkunft.
Landrat Robert Niedergesäß und Markt Schwabens Bürgermeisterin Walentina Dahms wirken sichtbar erleichtert beim Tag der Offenen Tür in der neuen Unterkunft. (Foto: Christian Endt)

24 Räume auf vier Stockwerken sind hier nun hergerichtet, ausgestattet mit metallenen Spinden und ebensolchen Bettgestellen, jeweils für zwei bis fünf Personen. Die Zimmer sind hell, auch im Souterrain. Hier wartet ein großer Waschraum mit Waschmaschinen und Trocknern auf seine neuen Benutzer, „es schaut ein bisserl aus wie bei Mediamarkt“, scherzt Michael Skaletz. Alle Türen sind nach den aktuellen Brandschutzvorschriften erneuert, zwei Fluchttreppen führen außen am Gebäude nach unten, die Böden sind aus altem Parkett, noch aus Firmenzeiten, „wir haben versucht, sie weitgehend zu erhalten“. Gekocht wird in drei Gemeinschaftsküchen, die sich auf die oberen Stockwerke verteilen, eine Grundausrüstung an Kochgeschirr steht in den Zimmern bereit.

Die weiß gestrichenen kahlen Wände der noch leeren Räume werfen die Stimmen der Besucher zurück, die nackten, schwarzen Bettgestelle schreien geradezu danach, von Matratzen und Bettzeug bedeckt zu werden. Die künftigen Bewohner, die jetzt noch im Sparkassengebäude in Ebersberg untergebracht sind, werden sie selbst mitbringen. Ob es auch Betten für Kleinkinder geben würde, will eine Besucherin von Skaletz wissen. „Wenn Kleinkinder kommen, werden wir die zur Verfügung stellen, natürlich.“ Auch vom Seniorenheim in der Nähe ist eine Mitarbeiterin gekommen, um sich umzuschauen. Die Bewohner hätten vor allem Angst vor Menschenaufläufen, erklärt sie, und auch sie weiß Skaletz zu beruhigen. „In Ebersberg haben wir 400 Menschen, und da hat es noch nie Probleme gegeben.“

Im Keller der Unterkunft warten Waschmaschinen und Trockner auf die neuen Bewohner.
Im Keller der Unterkunft warten Waschmaschinen und Trockner auf die neuen Bewohner. (Foto: Christian Endt)

Landrat Niedergesäß hat sich jetzt zu Bürgermeisterin Dahms gesellt. Beide wirken aufgeräumt. „So eine positive Stimmung hier“, lobt der Landrat, „das weiß man ja vorher nie“. Dahms nickt. „Wenn man bedenkt, wo wir herkommen.“

Nach jener Veranstaltung in der Theaterhalle im Dezember habe sie schlecht geschlafen, erzählt sie. Schon am Tag danach hatte die neu gegründete Initiative „Burgerfeld wird Bürgerfeld“ zu einem Ortstermin am Atron-Gelände eingeladen, mit dabei: Dahms als Gemeinderätin, der damalige Bürgermeister Stolze, der Landrat. Die Bürgerinitiative kündigte an, ein Bürgerbegehren auf den Weg zu bringen, sammelte bald 1777 Unterschriften, die sie im Januar an Bürgermeister Stolze übergab. Im Landratsamt versuchte man derweil zu deeskalieren, er stehe selbst „politisch nicht zum Standort“, ließ Niedergesäß wissen, doch machte er den Initiatoren zugleich wenig Hoffnung auf Erfolg. Wohnraum für Geflüchtete wurde dringend benötigt, der Landkreis Ebersberg lag auf Platz 20 von 23, was die Unterbringungsquote angeht. Im Januar lehnte auch der Gemeinderat die Unterkunft ab – ohne rechtliche Folgen allerdings, denn der Mietvertrag war bereits geschlossen und auf sieben Jahre befristet, die Gemeinde gar nicht zuständig.

Wo finde ich was? Das Landratsamt hat vorgesorgt. Adressen von Kinderärzten, Frauenärzten, der Weg zum Bahnhof – über alles werden die künftigen Bewohner gleich am Eingang informiert, sicherheitshalber auch gleich noch mit Übersetzungen.
Wo finde ich was? Das Landratsamt hat vorgesorgt. Adressen von Kinderärzten, Frauenärzten, der Weg zum Bahnhof – über alles werden die künftigen Bewohner gleich am Eingang informiert, sicherheitshalber auch gleich noch mit Übersetzungen. (Foto: Christian Endt)

Im Februar dann musste der Gemeinderat das Bürgerbegehren für unzulässig erklären, die Bürgerinitiative drohte mit Klage. Noch im selben Monat kündigte Bürgermeister Stolze seinen Rücktritt an. Wieder wurden Unterschriften gesammelt, diesmal, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Es wurde eine weitere Bürgerinitiative gegründet – für mehr Miteinander am Ort. Mittlerweile hatte das Geschehen Aufmerksamkeit über die Grenzen des Landkreises hinaus erregt. Es wurden auch Kritiker der Kritiker laut, das landkreisweite Bündnis „Bunt statt Braun“ etwa, vom Markt Schwabener Helferkreis war schon früher ein Kompromissvorschlag ins Spiel gebracht worden: Man solle doch die Belegungszahlen auf dem Gelände überdenken.

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Und genau jener Kompromiss zeichnete sich im März 2024 ab. Die Regierung von Oberbayern signalisierte ihre Bereitschaft, weniger Geflüchtete Am Ziegelstadel unterzubringen und nur eines der beiden Gebäude zu belegen, wenn sich eine zweite Möglichkeit in der Gemeinde fände – die der Gemeinderat im April 2024 dann beschloss. Am Hanslmüllerweg im Osten des Markts wird sie errichtet, die Bauleitplanung sei im Gange, so Dahms. Die ursprüngliche Ablehnung des Hauses Am Ziegelstadel wurde aus dem Beschluss des Gemeinderats gestrichen. Bürgermeister Stolze ging dennoch, im Juni wurde seine bisherige Stellvertreterin Walentina Dahms (CSU) zur neuen Rathauschefin gewählt.

Im Juli gründeten Anwohner einen Verein, der auf die Integration der neuen Nachbarn abzielt, „Gemeinschaft Bürgerfeld“. Ihr Vorsitzender ist Michael Kümpfbeck, der zuvor einer der vehementesten Verfechter der Gegeninitiative gewesen war.

Michael Kümpfbeck (links), im Gespräch mit Bürgermeisterin Walentina Dahms, war zuerst aktiv bei einer Bürgerinitiative gegen die Unterkunft, jetzt engagiert er sich dafür, den künftigen Nachbarn bei ihrer Integration zu helfen.
Michael Kümpfbeck (links), im Gespräch mit Bürgermeisterin Walentina Dahms, war zuerst aktiv bei einer Bürgerinitiative gegen die Unterkunft, jetzt engagiert er sich dafür, den künftigen Nachbarn bei ihrer Integration zu helfen. (Foto: Christian Endt)

Kümpfbeck wohnt an der Straße Am Ziegelstadel, gleich bei der neuen Unterkunft, er hat es also nicht weit und so ist er auch an diesem Dienstagnachmittag in die neuen Räumlichkeiten gekommen. Einen ganz besonderen Dank an den Landrat möchte er gerne in der Zeitung lesen, dafür, dass der diesen Kompromiss ermöglicht habe, die Halbierung der Zahl, die Konzentration auf Familien. Man wolle sich kümmern um die Neuankömmlinge, erklärt er, Führungen über die Spielplätze oder zu den Ärzten seien schon organisiert, erklärt er. „Im Prinzip ist mit dieser Lösung keinem so gut gedient wie uns.“ Das sei doch jetzt etwas anderes als damals, als man glaubte, es zögen 120 alleinstehende Männer in die Nachbarschaft.

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