Süddeutsche Zeitung

Malerei und Fotografie:Symbolträchtige Kunst

Die VHS in Grafing zeichnet vier Werke ihres Kreativwettbewerbs zum Thema "(M)ein Europa" aus

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Europa ist gespalten. Auf 190 Zentimetern Breite verläuft er genau in der Mitte, der Spalt. Von oben nach unten, ganz gerade. Auf beiden Seiten spannt sich Seide um einen Rahmen. Wobei der Spalt eigentlich kein richtiger Spalt ist. Zumindest, wenn man das Gemälde richtig positioniert: Laut der Künstlerin müssen die zwei Flächen so dicht aneinanderstehen, dass sie keinen Platz zwischen sich lassen. Es ist also eher eine Art Konjunktiv eines Spaltes: Hier könnte ganz leicht eine Lücke sein, man müsste nur einen der beiden Rahmen ein bisschen schepp platzieren - schon würde ein schmaler Lichtschein eine Trennung markieren. Es ist also eine fragile Stelle in dem Werk von Jrène Scheutzow: Das Gemälde stellt für die Künstlerin Europa dar.

In nicht einmal einer Woche wählen die Bürgerinnen und Bürger der EU ein neues Parlament. Deshalb dreht sich bei der Grafinger VHS in diesem Semester alles um Europa und dessen Union. Im Kreativbereich wurde zu einem Wettbewerb aufgerufen. Eingereicht werden konnten visuelle Werke zum Thema: "(M)ein Europa". Am Montag nun präsentierte die VHS die Sieger.

Leicht sei der Jury die Auswahl nicht gefallen, erklärte Nadine Mafke, Leiterin des Kreativbereichs an der VHS. Schließlich winken politische Bildungsreisen als Preise für die drei ersten Plätze: Der erste Gewinner darf nach Straßburg, für den zweiten geht es nach Berlin, der dritte Preis ist ein Besuch im Maximilianeum in München - immer in Kooperation mit je einem Politiker aus dem Landkreis Ebersberg: EU-Abgeordnete Angelika Niebler in Straßburg, Bundestagsabgeordneter Andreas Lenz in Berlin und Landtagsabgeordneter Thomas Huber in München, alle drei von der CSU. Gestiftet hat die Preise der Förderverein der VHS.

Drei Stunden habe die fünfköpfige Jury, bestehend aus zwei Vertretern der VHS und drei des Fördervereins, darüber beraten, wer von den elf Teilnehmern mit "seinem" Europa am meisten überzeuge. Am Ende fiel die Wahl auf vier Werke. Den dritten Platz teilen sich zwei Künstlerinnen, nicht aber den Preis: Beide dürfen dem Landtag einen Besuch abstatten.

Ana Drechsler aus Grafing ist eine von ihnen. Ihr Werk "Wasser - Kraft des Lebens" ist die einzige Fotografie unter den ausgezeichneten Bildern. Es zeigt Wasser, das aus einem Hahn in eine Art Wanne fließt, im Hintergrund sind massive Berge zu sehen. Die Schweizer Alpen, wie die Künstlerin erklärte. "Die Berge stehen für mich für die Werte Europas: Friede und Gleichberechtigung, das ist nicht veränderbar." Gleichzeitig sei das Leben aber im Fluss, die Dinge seien heute so und morgen anders. Die Momentaufnahme von fließendem Wasser soll das sichtbar machen. Wasser, das überlebenswichtig für die Menschen sei, betonte die Grafingerin. Genau wie Europa.

Die zweite Drittplatzierte ist Petra Stankovic mit ihrem Gemälde "EU-RO-PA - wo geht es hin?". Zur Preisverleihung ließ sie sich entschuldigen. Die Freude falle deshalb aber nicht geringer aus, sie sei einfach nur im Moment im Urlaub, ließ sie ausrichten. Mit Acryl hat Stankovic Schicht für Schicht an ihrem Gemälde gearbeitet. Die einzelnen Ebenen, allesamt eher dunkel, lassen sich als solche erkennen, und dennoch fließen die Übergänge ineinander über, sodass eine harmonische Einheit entsteht: "Die verschiedenen Länder in Europa, die zusammengehören", erklärte eine Freundin von Stankovic. Im unteren Drittel, mittig, blitzt ein weißer Vogel aus dem Gemälde hervor, wohl eine Friedenstaube.

Jürgen Haupt hat mit seinem Werk "génesis de la melodía e europea" den zweiten Preis gewonnen. "Entstehung der europäischen Melodie" bedeutet der spanische Titel. Haupts Gemälde, hauptsächlich in Acryl gearbeitet, ist im unteren Drittel mit vielen verschiedenen Brauntönen sehr düster gehalten. "Für mich ist das das alte Europa mit all den Nationalstaaten, das aber trotzdem der Nährboden für das neue Europa war", sagte Haupt. Nach oben hin gehen die Farben in hellere Nuancen über. Die geschwungenen Formen und Linien sind mit besonderen Farben gemalt: Sie leuchten bei Dämmerung, ebenso wie die Glasperlen, die Haupt eingearbeitet hat. Die Formen erinnern an Notenschlüssel. Für den Künstler ist die Rätselhaftigkeit seines Bildes symptomatisch zu verstehen: "Europa ist für Viele immer noch sehr abstrakt."

Das Gemälde von Jrène Scheutzow hat der Jury am besten gefallen. Es ist das Bild mit dem "Konjunktiv-Spalt" in der Mitte. Viele schemenhafte Menschen sind darauf zu erkennen, schwarze Schatten in einer Reihe von links, über die Mitte hinweg nach rechts. Jede Figur ist anders, sie zeigen unterschiedliche Formen und Größen. Und doch, tritt man weiter zurück, scheint es, als ob die vielen individuellen Schatten zu einer Einheit verschmelzen.

"Unterwegs" hat die Markt Schwabenerin ihr seidiges Werk genannt. Denn das ist es, was Europa für sie bedeutet. "Ich bin selber viel unterwegs, reise sehr gerne und habe dabei tolle Menschen kennengelernt", erklärte die gebürtige Schweizerin. Auf keinen Fall möchte Scheutzow diese Freiheit, die ihr Europa momentan bietet, missen - eine Freiheit, die aber zerbrechlich sei. Deshalb der Spalt, der keiner ist, wenn man das Gemälde richtig positioniert. "Da sieht man mal, wie anstrengend es ist, Europa zusammenzuhalten", sagte der Abgeordnete Andreas Lenz.

Die Bilder des Kreativwettbewerbs "(M)ein Europa" sind vorerst zu sehen in der VHS-Geschäftsstelle in Grafing, Griesstraße 27, zu deren üblichen Öffnungszeiten

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SZ vom 22.05.2019
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