Wenn Maler über den Beginn ihres Schaffens sprechen, hört sich das häufig so an: "Angefangen habe ich mit der Aquarellmalerei, bevor ich Acryl entdeckte. . . " Damit drücken sie aus, was viele denken: Aquarellmalerei, das ist eine Anfängerdisziplin, ein Leichtgewicht, ein bisschen Kleckserei mit Blättern und Blüten.
Wer sich die Jahresausstellung der Deutschen Aquarellgesellschaft, die am Samstag in der Alten Brennerei eröffnet wird, anschaut, erkennt, dass und warum dieses Vorurteil falsch oder doch zumindest einseitig ist. 88 Bilder sind in den Räumen der Galerie zu sehen, drei davon stammen von den Juroren, welche die Arbeiten aus 186 eingereichten Bildern ausgewählt haben.
Es gibt sie natürlich auch hier, die Sonnenblumen, Pfingstrosen und die Hortensien, die leuchtenden Sträuße und duftigen Buketts - wunderschöne Frühsommer-Motive, die aufgrund millionenfacher Verbreitung des Genres auf Grußpostkarten und Kalendern jedoch häufig wenig Beachtung oder Wertschätzung in der Kunstszene finden.
Eugenie Meyden, Mitglied der Aquarellgesellschaft und zusammen mit Wout Wolters Projektleiterin der Ausstellung, hat da eine differenziertere Meinung: Für sie ist das Aquarell nicht Anfang, sondern Krönung. "Man muss viel denken, weil man nichts am Bild korrigieren kann; man muss aber auch geschehen lassen", erklärt sie. Ein gutes Aquarell sei leicht und luftig, ohne substanzlos zu wirken. Das Licht spiele die Hauptrolle, es brauche aber auch das Dunkle, das einem Motiv Struktur und Tiefe gebe. Auch die Qualität des Papiers spiele eine Rolle, sogar das Wetter habe Einfluss auf das Ergebnis.
Exemplarisch für gute Aquarellmalerei ist in dieser Ausstellung unter anderem das Motiv des Münchner Maximilianeums von Wolfgang Eichenbrenner, einem Mitglied der Jury. Im Vordergrund beherrschen Trambahnen, Bäume und Radfahrer das Bild. Der Eindruck der Kleinteiligkeit und plastischen Tiefe, von der Aktentasche des Radlers bis zu den weißblauen Schienenfahrzeugen, rührt von der Verteilung der dunklen Farbanteile her. Die Fassade des Landtag-Prachtbaus im Hintergrund dagegen scheint zu verschwimmen. Auch eine optische Illusion stellt sich ein. Von weitem verbinden sich Licht und Farbflächen zu konsistenten Formen und Figuren, aus der Nähe zerfließt und verschwimmt das Motiv.
Es ist kein Zufall, dass die Aquarellmalerei der neueren Zeit vor allem in den nordischen Ländern und in England erblühte und dass sie vor allem draußen, "en plein air", betrieben wird. Maler wie William Turner, John Constable oder auch Emil Nolde haben ihr den Boden bereitet - oder besser: den Himmel. Der hohe Himmel des Nordens mit seinen Wolkenformationen, dem weiten Horizont, den Regen- und Nebelschleiern und den weichen Farbtönen: Was ist er anderes als eine Einladung an die Aquarellmaler?
Beispiele dieses Motivkanons gibt es in der Ausstellung zuhauf. Das Regenbild der Jurorin Viktoria Prischedko zeichnet nach, wie sich Formen und Farben einer Gruppe von Spaziergängern mit roten Schirmen auflösen, wie sie zerlaufen in breiten Schlieren aus Licht und Farbe. Die überwiegende Zahl der Mitglieder der Gesellschaft, so Meyden, kommt aus den nördlichen Bundesländern. "In Südbayern sind wir die Exoten." Und nur drei Mitglieder des Kunstvereins gehören der Gesellschaft an: Eugenie Meyden mit ihrem zauberhaften Distelmotiv, Sabine Ziegler, die eine Glucke mit flaumigen Küken verewigt, und Colin Duncan, der die Stimmung an der Ilchinger "Lipplack" eingefangen hat.
Die Bilder sind so gehängt, dass sich oftmals spannende Kontraste in Motiv und Technik ergeben. So hat man im Foyer zwei gegensätzliche Bilder nebeneinander gehängt - das Bild "Sommer" von Ingrid Buchthal, ein perfektes Blumenbild der alten Schule, mit den zarten Blüten der Gartenwinde in Weiß und Rosa, so duftig, als seien sie eben erst erblüht. Und daneben Uwe Wolfs Komposition "Connemara". Nur Wolken, Wasser, eine Ahnung von Land, Schemen in der blau-schwarz-grauen Düsternis, in der das Auge sich verliert.
Extreme Reduktion von Farben und Formen wie beim nur in Schwarz-Weiß gehaltenen Motiv "Bergwald" von Christian Eckler; opulent ausgeführte Szenen wie bei dem quirligen Wiener Stadtleben von Ortwin Zeidler; oder das Hervorheben von einzelnen Ausschnitten wie bei der "Amaryllis" von Elke Memmler, die Blätter, Stiele und andere Teile der exotischen Pflanze neu zusammensetzt: Die Auswahl der Arbeiten zeigt eine Vielfalt an Techniken und Stilformen. Die Qualität eines Aquarells könne man daran erkennen, wie und ob der Künstler mit dem Wasser umgehen kann, sagt Meyden. Da ist zum Beispiel das Porträt eines jungen Mädchens von Slawa Prischedko. Hinter dem eher pastos gemalten Gesicht ist ein luzides Muster ähnlich einer Damasttapete zu sehen. An der Kleidung der jungen Frau sind feine Spitzen erkennbar. Das Besondere daran: All diese filigranen Details sind nicht aufgemalt, sondern Resultat eines kunstvollen Umgangs mit den Eigenschaften des Wassers.
Natur und Landschaft, Jahreszeiten, Wetterphänomene, Spiegelungen aber auch Stadtbilder und Stillleben sind bevorzugte Sujets der Aquarellmaler. Dazu präsentiert die Ausstellung viele Beispiele, etwa die Arbeit "Ritzensee" von Edith Lirk. Die Malerin hat ausschnitthaft und aus der Froschperspektive eine mit Schilf bewachsene, von grünem Licht durchdrungene Uferzone eingefangen, im Wasser spiegeln sich die Halme, man glaubt den Geruch von Schlamm und Gras, die Wärme der Sonne auf der Haut zu spüren, so atmosphärisch dicht ist dieses Bild. "Aquarell ist die Malerei des Lichts", sagt Eugenie Meyden. Was das bedeutet, ist gerade an diesem Beispiel in Vollendung zu sehen.
"Die Kunst des Aquarells" ist der Titel der Jahresausstellung der Deutschen Aquarellgesellschaft. Eröffnung ist am Samstag, 4. Juni, um 19 Uhr in der Galerie Alte Brennerei in Ebersberg. Finissage ist am Sonntag, 26. Juni, 14 bis 17 Uhr. Am Sonntag, 5. Juni, 10 Uhr und 12 Uhr, veranstalten Jurorin Viktoria Prischedko und ihr Mann Slawa Prischedko in der Galerie eine Malvorführung. Am Samstag, 11. Juni, wird Sabine Ziegler von 11 bis 15 Uhr im Zentrum von Ebersberg Plein-Air-Malerei demonstrieren, am 18. Juni, zur selben Zeit, Manfred Sieber.