Malerei in Moosach:Ein Künstler peitscht sich aus der Krise

Malerei in Moosach: Die Ausdrucksformen des ehemaligen Schreiners Horst Siegel sind vielfältig - wie sein Leben selbst.

Die Ausdrucksformen des ehemaligen Schreiners Horst Siegel sind vielfältig - wie sein Leben selbst.

(Foto: Christian Endt)

Horst Siegel stellt seine gepeitschen Bilder zum ersten Mal aus. Über eine Premiere im Alten Bahnhof in Moosach.

Von Anja Blum, Moosach

Der Liebling des Ebersberger Publikums ist ein bescheidener Mann. Bereits zwei Mal haben die Besucher der Mitgliederausstellung des Kunstvereins Horst Siegel auf den ersten Platz gewählt, seine Werke treffen also offenbar einen Nerv. Nun stellt der Moosacher zum allerersten Mal alleine aus, zeigt, was er hat, Zeichnungen und Malerei - von Bildern aus seiner Jugend bis hin zu Porträts und Ölgemälden von heute.

Wobei die Nähe von Preis und Schau Zufall sei, sagt er, die Ausstellung im Alten Bahnhof seines Heimatortes sei schon lange geplant gewesen. Für Siegel jedoch ist das alles keine Selbstverständlichkeit. Nie habe er mit solchen Auszeichnungen gerechnet, sagt er, nennt seine Werke unverblümt "Amateurkunst" und spricht von technischen Defiziten, die es noch zu verringern gelte. Eine Offenheit, die äußerst selten ist im regen Ausstellungsbetrieb des Landkreises.

Dabei erzählt Siegel beim Rundgang durch die kleine, urig-charmante Galerie des Moosacher Kulturkreises auch, dass es schon viel besser geworden sei mit seinen Zweifeln. Dass er früher jedes einzelne Motiv kritisch hinterfragt, nun aber gelernt habe, seine eigene Auswahl anzunehmen. "Ich weiß jetzt, dass diese Bilder ein Ausdruck meines Unterbewusstseins sind, den ich vielleicht erst später verstehe."

Malerei in Moosach: Ausdrucksstarke Striche: Fast vermeint man, den Akt zittern zu sehen.

Ausdrucksstarke Striche: Fast vermeint man, den Akt zittern zu sehen.

(Foto: Christian Endt)

Um zu verstehen, woher Siegels Zweifel rühren, muss man sich seine Vita ansehen, wissen, dass er und die Kunst es lange sehr schwer hatten miteinander. Geboren wurde Horst Siegel 1956 in der Nähe von Stuttgart, nach dem Abitur und der Schreinerlehre wollte er Kunst studieren. "Nur bin ich mit meiner Bewerbung zuerst an der Akademie in Stuttgart und dann auch in Nürnberg gescheitert. Also bin ich eben Schreiner geblieben."

Malerei in Moosach: Gemälde oder Fotografie? Präzise Detailarbeit beherrscht Horst Siegel ebenso wie die schnellen Skizzen.

Gemälde oder Fotografie? Präzise Detailarbeit beherrscht Horst Siegel ebenso wie die schnellen Skizzen.

(Foto: Christian Endt)

Mit in Farbe getauchten Wollfäden schnalzt er lineare Strukturen

Malerei in Moosach: Nur nicht zögern: energievolles Peitschen mit dem Pinsel.

Nur nicht zögern: energievolles Peitschen mit dem Pinsel.

(Foto: Christian Endt)

Das Malen und Zeichnen gab der damals 25-Jährige auf, das Interesse an der Kunst aber blieb. Etwa 20 Jahre später entdeckte der Schreinermeister dann in einer Zeitschrift einen Bericht über einen Künstler, der große Leinwände mit langhaarigen Pinseln wild bemalte. "Das hat mir so sehr gefallen, dass ich es nachmachen wollte", erzählt er. Also besorgte er sich beim letzten Pferdemetzger in Nürnberg einen Pferdeschwanz für zehn Deutsche Mark und verstaute ihn in seinem Lager, "bis ich mal Zeit hätte zum Malen - also ungefähr zehn Jahre lang".

Während dieser Zeit, so Siegel, sei sein berufliches wie privates Leben immer frustrierender geworden. "In dieser Stimmung stand ich nach einem langen Arbeitstag irgendwann nachts alleine in meiner Werkstatt, habe den Pferdeschwanz rausgezogen, ihn in Holzbeize getaucht und damit auf eine Spanplatte eingeschlagen. Das war befreiend - und auch vom Ergebnis her schön."

Also peitschte Siegel weiter, und änderte auch ansonsten sein Leben. 2013 ließ er Nürnberg hinter sich und zog mit seiner neuen Liebe nach Moosach. Ein glücklicher Zufall, wie sich herausstellen sollte: Der Ort sei nicht nur wunderschön, sondern auch eine "Kulturmetropole", schwärmt Siegel, und das Haus in Reit groß genug zum "Farbklecksen". Spanplatten- und Farbreste waren aus der Schreinerei ohnehin reichlich übrig, und Siegl stieg - um die vielen Wände des neuen Zuhauses zu füllen - auf kleinere Formate um: Mit in Farbe getauchten Wollfäden schnalzte er nun lineare Strukturen auf den Untergrund. "Zusammen mit Klebeband und Farbroller ergab das oft schöne kleine Bilder."

Der Maler ist sehr selbstkritisch

Trotzdem hatte Siegel von der Zufälligkeit der Ergebnisse irgendwann genug und fing wieder an, mit Bleistift zu zeichnen wie in seiner Jugend, nur eben großformatig. Vor allem das menschliche Gesicht hat es ihm angetan, die beiden Publikumspreise beim Kunstverein 2016 und 2018 bekam er für Porträts alter Menschen, zerfurchte Zeugnisse der Zeitläufe. Wobei, vielleicht hat heuer auch das zweite Bild Siegels, ein aufmüpfig drein blickendes Kalb, die Herzen erobert? Wer weiß. Monate lang arbeite er an diesen ausladenden Zeichnungen, erzählt Siegel, immer wieder trete er viele Schritte zurück, um ihre Wirkung zu überprüfen.

Fantasiegestalten aber sind sie nicht: Der Moosacher arbeitet stets mit Fotografien, meist bleibe sein Blick an Gesichtern hängen, die eine Ähnlichkeit zu Verwandten aufwiesen, sagt er. Auch bei der Ölmalerei, der er sich neuerdings ebenfalls widmet, arbeitet Siegel mit Vorlagen.

Für eine vierteilige Serie, die auf witzige Weise mit Größenverhältnissen spielt, hat er Spielzeugtiere zunächst fotografisch in Szene gesetzt: ein Nashorn zwischen Tassen und Tellern, Löwe und Tiger nebst zerknülltem Papier, der Elefant vergleicht Birnen mit Äpfeln. Ganz zufrieden ist Siegel trotz der hübschen Idee aber noch nicht mit diesen Bildern, deswegen habe er sie auch noch nicht gerahmt. "Ich merke, dass ich technisch mit Öl immer besser werde, da muss ich schon noch einiges feilen."

Doch Siegel arbeitet nicht nur mit viel Geduld, so manche Werke entstehen auch sehr rasch. "Dafür habe ich eine Stunde gebraucht", sagt er über ein Peitschenbild, die einzige Landschaft, die sich in der Ausstellung findet. Den Blick nach Deinhofen hat der Moosacher hier im Hochformat eingefangen, ein abstrahierte, sehr ansprechende Komposition aus Weg, Wiese und Wald. Außerdem zeigt Siegel viele Akte, mit schnellen Strichen hingeworfene Körper, teils koloriert, teils nur mit Bleistift skizziert. Kein Wunder: Beim Kunstverein Ebersberg organisiert Siegel seit vergangenem Jahr das Aktzeichnen nach Modell.

All das, die vielen neuen kreativen Kontakte, die Ausstellung, die Preise sind für Siegl vor allem eines: eine große Ermunterung, weiterzumachen und sich zu zeigen. Trotz aller Zweifel. Und er hofft, dass die Schau im Alten Bahnhof auch für alle Besucher ein Gewinn sein wird.

Zeichnungen und Malerei von Horst Siegel im Alten Bahnhof Moosach, Vernissage am Freitag, 19. Oktober, 19 Uhr, Samstag, 20., von 14 bis 18 Uhr und Sonntag, 21., von 10 bis 17 Uhr.

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