Maibaumwache in Heimstetten:Bei der Stange bleiben

In Heimstetten passt in diesen Tagen der ganze Ort auf seinen Maibaum auf - sogar der Fernsehkoch Stefan Marquard. Denn der weiß-blau bemalte Mast ist nicht nur Schmuck, sondern soll die Identität des Dorfes retten.

Judith Liere

Sonntags, zwischen sechs und sieben Uhr morgens, da ist es am gefährlichsten in Heimstetten. Wenn die Wache ihre Schicht beendet hat, die Dorfbewohner noch nicht auf den Beinen sind und keine Autos über die Feldkirchener- und die Hauptstraße fahren. Sonntags zwischen sechs und sieben wäre eine gute Zeit für Diebe.

Maibaumwache in Heimstetten: In Heimstetten ist die Maibaumwache ein Großereignis, der Grund: Möglichst viele Bürger sollen ein Auge auf den Baum haben.

In Heimstetten ist die Maibaumwache ein Großereignis, der Grund: Möglichst viele Bürger sollen ein Auge auf den Baum haben.

(Foto: Renate Schmidt)

Die Riemer könnten kommen oder die Poinger oder die trickreichen Ismaninger, die haben vor kurzem schon in Oberföhring und in Oberneuching zugeschlagen. Oder wieder die Finsinger. Die Finsinger, das sind die einzigen, die es beinahe schon einmal geschafft hätten. Die Finsinger, die hätten den Heimstettenern im Jahr 2006 fast den Stolz ihres Dorfes gestohlen.

Der Stolz des Dorfes ist 135 Jahre alt, 32 Meter lang, bis zu 80 Zentimeter dick, mehrere Tonnen schwer und liegt neben der Scheune im Niklas-Hof beim Gigl. Ein Stamm, entrindet und abgeschliffen, der bis vor viereinhalb Monaten noch als Fichte unter vielen im Ebersberger Forst stand, und der seit Anfang April dafür sorgt, dass die Heimstettener aus Angst um ihn kaum noch zum Schlafen kommen. Denn die Fichte wird zum neuen Maibaum werden, und der darf, so will es die Tradition, gestohlen werden, sobald er zum Bemalen und Schmücken im Dorf liegt. Sicher ist er erst wieder, wenn er aufgestellt ist.

Ein Maibaum ist eine emotionale Sache, das wird schnell klar, wenn man mit den Heimstettenern, die sich selbst lieber "Hoaschdenger" nennen, über den Fichtenstamm spricht, der am 1. Mai seinen Platz am Meilerhaus an der Hauptstraße beziehen wird. "Der Maibaum ist des Dorfes Zier, zu unserer Freude steht er hier - die Fahne weißblau weht stolz im Wind, zum Zeichen, dass wir Bayern sind" wird darauf stehen.

Doch der Maibaum ist mehr als nur hübsch anzusehender Schmuck für die Ortsmitte. "Der Maibaum hält die Dorfgemeinschaft lebendig", sagt Josef Glasl, der Pressesprecher des Hoaschdenger Kegelclubs, der den Baum seit 1966 alle fünf Jahre aufstellt. Glasl spricht viel von Werten und dem Spannungsfeld von Tradition und Moderne.

Das gilt in einem Ort wie Heimstetten vielleicht noch mehr als anderswo. Denn Heimstetten liegt in unmittelbarer Nähe zur Stadt München, hat einen S-Bahnhof, von dem aus man in 21 Minuten am Marienplatz ist und viele Einwohner wie Josef Glasl, der in Haidhausen eine Marketingagentur leitet. Da herrscht besondere Gefahr, dass der 7000-EinwohnerOrt nur als verkehrsgünstige Münchner Stadtrandlage genutzt wird, die alte Dorfidentität und -verbundenheit mitsamt der Traditionen und Bräuche aber unterzugehen droht.

Genau dagegen kämpft der Hoaschdenger Kegelclub an - und eine seiner Waffen ist der Maibaum. Sie ist äußerst wirkungsvoll, wie ein Samstagabend im Wachstüberl zeigt. In der Scheune vom Niklas-Hof hat der Verein in intensiver Arbeit Skihütten-Atmosphäre hergestellt. Es gibt eine fünf Meter lange Bar, weiß-blaue Deko, einen Stammtisch, ein DJ-Pult und vorne einen Bereich mit Zelten, in denen auf Bierbänken geraucht werden darf. Die Vereinsmitglieder haben Toiletten installiert und eine Gastronomie-Küche eingebaut, wenig weist innen darauf hin, dass das hier nicht ein bereits seit Jahren bestehendes Stüberl ist, sondern dass nur vier Wochen lang Bier ausgeschenkt und Hamburger und Brotzeitteller serviert werden.

Die größte Gefahr sind die Finsinger

Der Grund, warum das Stüberl überhaupt existiert, liegt direkt nebenan im Hof: der neue Maibaum. Und das Stüberl dient eigentlich nur zu seinem Schutz. Je mehr Leute ein Auge auf ihn haben, desto schwerer ist es, ihn zu stehlen. Und an den Samstagabenden hat fast ganz Heimstetten ein Auge auf ihn: Das Stüberl ist brechend voll. Fast jeden Abend organisiert der Kegelclub eine Party mit einem anderen Motto, den Ausschank und die Verpflegung übernehmen diejenigen, die sich im Wachplan für eine Schicht eingetragen haben.

Das sind die Kegelclub-Mitglieder, aber auch alle anderen Dorfvereine und sogar der Elternbeirat des Kindergartens oder der Fernsehkoch Stefan Marquard, der in der Gemeinde wohnt. Der Maibaum bringt den Ort zusammen. Beim Einzug des Stamms am 2. April saßen 30 Kinder darauf, und 200 Einwohner gingen hinterher, erzählt der 39-jährige Glasl, dem man trotz Tracht den Werber noch ein bisschen ansieht und der damit selbst gut zum Thema Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne passt.

Vielleicht ist die Verbundenheit des Dorfes zum Maibaum der Grund dafür, dass den Heimstettenern bisher noch nie ein Stamm gestohlen wurde. Der ganze Ort passt auf. Die eigentliche Wachschicht geht von 18 bis sechs Uhr morgens, danach ist auf den Straßen genug los, so hoffen die Heimstettener, dass die Baumdiebe nicht unbemerkt entkommen könnten. Denn um das schwere Exemplar abzutransportieren, braucht es schon viele Menschen und einen Tieflader.

Beim letzten Maibaum ist es beinahe gelungen: In der gefährlichen Zeit am Sonntagmorgen kamen die Finsinger, gleich in der ersten Nacht, in der der Baum im Dorf lag, damals war das der Parkplatz am Sportpark. Die Wachen waren schon schlafen gegangen, und wäre nicht zufällig Josef Glasl mit seinem Sohn gegen halb acht zum Semmelnholen aufgebrochen, hätten es die Finsinger vielleicht bis hinters Ortschild geschafft. Dann hätten die Heimstettener den Baum auslösen müssen, als Preis werden da meist drei Mass Bier pro Person und eine Brotzeit für die erfolgreichen Diebe ausgehandelt.

Doch Glasl sah die Finsinger rechtzeitig, "hundert Meter vorm Ortsschild", sagt er, und sein Sohn durfte die entscheidende Handlung tun, die einen Diebstahl verhindert. Er legte die Hand auf den Stamm und sprach: "Der Baum bleibt da." Die Heimstettener selbst waren übrigens auch schon mehrmals erfolgreiche Diebe: 1986 klauten sie den Maibaum des Hofbräuhauses.

"Dieses Jahr haben wir aber auch eine strategisch gute Lage", sagt Kegelclub-Vorstand Hans Rieger. Vorm Niklas-Hof liege eine vielbefahrene Straße, nach hinten raus komme man wegen der S-Bahn-Gleise nicht. "Wobei", sagt Rieger und kommt ins Spekulieren: "Wenn's viele sind, kriegen's ihn vielleicht über den Zaun und wenn da einer einen guten Kontakt zur Bahn hat, könnten's ihn so abtransportieren." Man dürfe sich nie zu sicher sein, sagt er. Er schaut ernst. Diebe lauern überall.

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