Long und Post Covid:"Als ob man mir den Stecker gezogen hätte"

Long und Post Covid: Long Covid kennt viele Symptome, eines der häufigsten und tückischsten ist chronische Erschöpfung, auch Fatigue genannt.

Long Covid kennt viele Symptome, eines der häufigsten und tückischsten ist chronische Erschöpfung, auch Fatigue genannt.

(Foto: Christin Klose/dpa-tmn)

Mehrere Bundesländer heben die Isolationspflicht bei einer Corona-Erkrankung auf. Auch Bayern. Für die, die an Long und Post Covid erkranken, ist die Pandemie noch sehr real. Wie ist die Lage im Landkreis Ebersberg?

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

In Magdalena Hausers Stimme schwingt Bitterkeit, als sie anfängt, ihren Leidensweg zu schildern: Erkrankung im November 2020, ein milder Verlauf. Drei bis vier Wochen später ging es dann los mit Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen, fehlender Kondition. "Es war, als ob man mir den Stecker gezogen hätte", erzählt die 58-Jährige, die in einem Logistikunternehmen arbeitet. Die Symptome seien inzwischen ein wenig besser geworden, doch noch heute, fast zwei Jahre später, könne die Krankheit an manchen Tagen derart aufflammen, dass sie sich quasi nicht bewegen kann.

Hauser, die eigentlich anders heißt und nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen möchte, ist eine von vielen, für die die Pandemie alles andere als vorbei ist. Sie leidet an Long Covid, ist Mitglied in einer Selbsthilfegruppe für Betroffene in Erding und ist mit ihrem Leid in der Region bei weitem nicht alleine.

Es gibt viele unterschiedliche Symptome

Spätfolgen einer Erkrankung mit dem Coronavirus seien "sehr präsent", sagt etwa Marc Block, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Ebersberg. In seiner eigenen allgemeinärztlichen Praxis habe er viele Patienten, die Wochen nach einer Infektion mit plötzlich wieder auftretenden Symptomen zu ihm kämen.

Long und Post Covid: Marc Block, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Ebersberg, behandelt viele Patienten mit Long Covid in seiner Praxis.

Marc Block, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Ebersberg, behandelt viele Patienten mit Long Covid in seiner Praxis.

(Foto: Christian Endt)

Diese sind vielfältig und lesen sich wie das Worst-of einer Packungsbeilage: Erschöpfung und Fatigue, Herzrhythmusstörungen, Verlust des Geruchssinns, Kurzatmigkeit, Konzentrationsschwäche und Brain Fog - die Liste ließe sich noch lange fortführen. Die meisten seiner Patienten seien nach vier bis sechs Wochen zwar wieder ok, so Block. "Ein paar leiden aber wirklich sehr lange darunter."

Long Covid ist ein Sammelbegriff für alle Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung

Die Dauer und der Zeitpunkt des Auftretens der Symptome sind dabei die zentralen Kriterien, nach denen zwischen einer Long-Covid-Erkrankung und dem Post-Covid-Syndrom beziehungsweise -Zustand unterschieden wird. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) haben die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das britische National Institute for Health and Care Excellence die gängigste Einteilung vorgeschlagen: Alle Symptome, die vier Wochen nach der Infektion auftreten, gelten als akut. Halten die Symptome darüber hinaus an, wird von einer fortlaufenden Symptomatik gesprochen, bis zu zwölf Wochen nach dem Beginn der Erkrankung. Alle Krankheitserscheinungen, die nach zwölf Wochen auftreten oder fortbestehen, werden als Post Covid-Syndrom bezeichnet.

Long Covid wiederum ist ein Sammelbegriff, der alle Langzeitfolgen einer Corona-Infektion zusammenfasst, also sowohl anhaltende Symptome als auch das Post-Covid-Syndrom. Allerdings werden die Begriffe und Kategorien immer wieder angepasst, um den neuesten medizinischen Erkenntnissen zu entsprechen.

Das Unwissen über die Krankheit ist groß

Denn noch ist das meiste über diese Krankheit unbekannt. Das beginnt bei den Zahlen. Einem Aufsatz der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zufolge leiden 13,3 Prozent der Patienten länger als 28 Tage nach der Infektion an Symptomen. 2,3 Prozent werden dem Post-Covid-Syndrom zugerechnet, zeigen also länger als zwölf Wochen Symptome.

Andere Langzeit- und Metastudien berichten wiederum von 20 Prozent Betroffenen nach vier Wochen, einige gehen sogar davon aus, dass 80 Prozent der Infizierten Langzeitfolgen hätten. Allerdings liegen allen diesen Studien unterschiedliche Konzepte und Methodologien zugrunde. Deswegen warnt das RKI, dass "die Häufigkeit von Long Covid noch nicht verlässlich geschätzt werden kann".

Jeder kann an Long Covid erkranken

Doch selbst niedrige Schätzungen im einstelligen Prozentbereich bedeuten immer noch Tausende - und immer neue - Betroffene. Das sehen auch Nadja Prell und Gerhard Moser. Die Yogatherapeutin und der Heilpraktiker für Psychotherapie haben vergangenes Jahr in Erding die Selbsthilfegruppe für Covid-Langzeitschäden ins Leben gerufen, in der sich auch Magdalena Hauser wiederfand.

Long und Post Covid: Gerhard Prell und Nadja Moser leiten die Long-Covid-Selbsthilfegruppe in Erding. Sie haben schon Menschen aller Couleur bei sich aufgenommen.

Gerhard Prell und Nadja Moser leiten die Long-Covid-Selbsthilfegruppe in Erding. Sie haben schon Menschen aller Couleur bei sich aufgenommen.

(Foto: privat)

"Es kommen immer wieder neue Leute zu uns", sagt Prell. In der Gruppe befänden sich je nach Zeitraum zwischen fünf und zwanzig Mitglieder, aus allen umliegenden Landkreisen, auch aus Ebersberg. Gerhard Prell hatte 2020 selbst Long Covid, litt unter Gedächtnisverlust und Haarausfall. Jetzt helfen er und Moser anderen, die ebenfalls leiden.

Die Gruppe, die sie betreuen, ist sehr heterogen. "Wir haben alle querbeet", sagt Moser. Menschen mit schweren Verläufen fänden den Weg ebenso zu ihnen wie solche, die kaum Symptome hatten; Männer sind genauso vertreten wie Frauen; und ganz junge seien so häufig bei ihnen wie ältere Betroffene. "Unsere jüngste, eine Schülerin, hat es am härtesten erwischt", berichtet Nadja Prell. Sie sei dermaßen chronisch erschöpft, dass der Schulbesuch schwierig bis unmöglich sei.

Ähnliches erzählt der Allgemeinarzt Marc Block, auch er könne keinen typischen Patienten erkennen: "Ich habe drei junge Männer, circa Mitte dreißig, seit zwei Jahren in Behandlung. Einer von ihnen ist früher Marathon gelaufen." Jugend und Sportlichkeit garantierten also keinen Schutz vor Long Covid, leider ebenso wenig wie ein vollständiger Impfschutz.

Womöglich handelt es sich um eine Autoimmunreaktion des Körpers

Allerdings stellen die Mitglieder der Selbsthilfegruppe und Blocks Patienten keine repräsentativen Stichproben dar, worauf sie selbst verweisen. Epidemiologische Studien gehen laut RKI davon aus, dass Frauen ein höheres Risiko tragen als Männer, Teenager mehr bedroht sind als Kinder und dass eine hohe Viruslast während der initialen Infektion das Risiko ebenso steigert wie gewisse Vorerkrankungen, etwa Diabetes Mellitus. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Virusvariante ebenfalls einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, an Long Covid zu erkranken.

Es ist jedoch unklar, weshalb manche Menschen Long Covid bekommen und andere nicht, über den Mechanismus hinter der Krankheit kann bis dato nur spekuliert werden. Ein viel diskutierter Erklärungsansatz besagt, dass es sich bei Long Covid um eine Autoimmunreaktion handelt. So fanden etwa Neurologen spezifische Autoantikörper im Rückenmark von Post-Covid-Patienten, die sie mit den typischen Erschöpfungserscheinungen in Zusammenhang brachten. Doch auch kleine Blutgerinnsel werden als mögliche Ursache untersucht, ebenso wie Organschäden oder im Körper verbleibende Coronaviren. Vielleicht sind auch einige oder alle dieser Elemente die Ursache, oder es stellt sich heraus, dass unterschiedliche Long-Covid-Symptomatiken unterschiedlicher Erklärungen bedürfen.

Noch können Therapien nur die Symptome der Krankheit lindern

Da die Ursache für Long Covid nicht bekannt ist, bleibt den behandelnden Ärzten nichts anderes übrig, als Ausschlussdiagnostik zu betreiben, wie Marc Block erklärt. "Wir diagnostizieren das nur, wenn keine andere Erkrankung vorliegt, die die Symptome erklären könnte." Dementsprechend ist die Behandlung derzeit auf die Linderung von Symptomen beschränkt. So hat beispielsweise das Isar-Amper-Klinikum in Haar eine Tagesklinik für Post-Covid-Erkrankungen eingerichtet. Aufgrund der Vielfalt der möglichen Symptome gibt es viele Therapieansätze, die von Nordic Walking über Ergotherapie bis hin zu kognitiven Trainings reichen.

Doch nicht jedem können diese Angebote helfen. Magdalena Hauser hat schon viel ausprobiert, "nach jedem Strohhalm gegriffen", wie sie sagt, sowohl was klassische als auch was alternative Heilmethoden betrifft - nichts half auf Dauer. Leidet ein Betroffener unter der "post-exertional malaise", also schneller Erschöpfung nach Anstrengung, kann eine Reha mit viel Bewegung sogar schädlich sein, wie die WHO warnt.

Die Betroffenen wünschen sich vor allem Anerkennung ihres Leids

Prell, Moser und Hauser sind dennoch froh, dass es mittlerweile überhaupt Diagnosen und Behandlungen für Long Covid gibt. Das war längst nicht immer so, wie sie berichten. Als Magdalena Hauser Anfang 2021 bei mehreren Ärzten nach einer Erklärung für ihre - damals noch unverständlichen - Probleme suchte, habe sie "niemand für voll genommen". Auch Prell und Moser berichten von gemischten Reaktionen aus dem Umfeld der Erkrankten. Freunde, Familie und Arbeitgeber zeigten nicht immer Verständnis, nicht zuletzt, weil die Betroffenen an manchen Tagen symptomfrei sind, an anderen nicht. Für viele sei es zudem ein "schwieriger Weg" gewesen, die Diagnose Long Covid zu erhalten.

Mittlerweile habe sich zwar schon viel getan. Dennoch wünschen sich alle drei und auch Mediziner Marc Block vor allem, dass Long Covid als Krankheit ernst genommen wird, privat ebenso wie in der Arbeit und Politik. Gerhard Moser berichtet, dass sich viele Mitglieder der Selbsthilfegruppe mehr Schutz wünschen würden, sich allerdings in der widersprüchlich anmutenden Situation befänden, dafür angefeindet zu werden: "Früher war es verpönt, keine Maske zu tragen, heute ist es umgekehrt."

Dabei ist Anerkennung des Leids das mindeste, was man den Betroffenen entgegenbringen kann, findet Magdalena Hauser. Sie habe seit ihrer Erkrankung deutlich an Lebenslust verloren, plane nichts mehr voraus, weil sie nie weiß, wann der nächste Schub kommt, musste ihre Arbeit reduzieren. Von der Politik erwartet sie sich einen besseren - oder überhaupt einen - Umgang mit der Pandemie, vor allem mit Blick auf den kommenden Winter. Für ihre eigene Zukunft wiederum hat sie nur einen Wunsch: "Ich hoffe einfach, dass es mir wieder besser gehen kann."

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