Literatur:Hochpolitischer Leseabend

Schriftsteller Björn Kern übt in Grafing Konsumkritik

Von Peter Kees, Grafing

Wie wollen wir leben? Wie wollen wir Zukunft gestalten? Solche und ähnliche Fragen stellt der preisgekrönte Schriftsteller Björn Kern in seinem Buch "Das Beste, was wir tun können, ist nichts". Dabei ist er anekdotisch, essayistisch, literarisch, durchaus auch witzig und ironisch. Am Donnerstagabend war Kern nun auf Gemeinschaftseinladung der VHS, der Transition Town Initiative und der Bücherstube Slawik zu Gast in Grafing, die Buchhandlung dabei fast bis auf den letzten Platz gefüllt.

Das Nichtstun hat ja nun auch gewisse Verlockungen, oder besser, der Müßiggang. Mit dem Nichtstun meint Kern aber nicht etwa, dass man gar nichts tun soll, sondern dass man das, was man tut, mit Leidenschaft füllt. Faulheit und Nichtstun übrigens seien etwas völlig Unterschiedliches. Laut Kern erzeugt unser System immer neue Bedürfnissketten, die es zu erfüllen gilt - am goldenen Kalb unseres Arbeitsbegriffes wird deshalb nicht gerüttelt: Es wird produziert, Neues geschaffen, damit weiter konsumiert werden kann - dafür braucht es Arbeit.

Nach Kerns Lesung fiel ein sehr bedenkenswerter Satz: Würden wir die Erfindungen der vergangenen 150 Jahre richtig nutzen, müssten wir wöchentlich vielleicht nur mehr zwei Stunden arbeiten, im Sinne von Erwerbsarbeit versteht sich. Unserer Intelligenz folgten wir mit Dummheit, so Kern. Arbeit sei eines unserer letzten Tabus, permanentes Wirtschaftswachstum ein längst überholtes Glaubensbekenntnis.

Dabei gibt es sie, die Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller, Frauen und Männer wie Kern, die erklären, dass es so nicht ewig weitergehen kann. Die Politik jedoch scheint von diesen Stimmen abgekoppelt. Das "Schneller, Besser, Weiter" bleibt Credo. Neue Produkte werden erfunden, nur um das System am Laufen zu halten. Die Halbwertszeiten werden dabei immer kürzer, schließlich muss verkauft werden. Kern aber legt den Finger in diese Wunde, sprachlich hoch versiert, äußerst amüsant und unterhaltsam.

Der in Südbaden geborene, heute in Berlin und im Oderbruch lebende Autor beginnt seine Lesung mit einer eher erzählerischen Episode, in der er seinen Hauptprotagonisten vorstellt, den märkischen Nachbarn im Oderbruch. Ein Mann, der alles kann, was von Nutzen ist, ganz praktische Dinge wie Feueranmachen oder Kartoffeln pflanzen etwa. Diesem Fachmann für Nichtstun geht es nicht um Bedürfnisbefriedigung etwa im Internet, nein, der Mann schafft es, zumindest weitestgehend, sich dem System zu verweigern, und lebt, wie man später erfährt, immerhin zehn von zwölf Monaten autark durch seiner Hände Tätigkeit. Hier spiegelt sich freilich auch die Divergenz von Stadt- und Landleben. Der Nichtstuer als fleißiger Mensch: Faul ist der Nachbar jedenfalls nicht und dennoch einer der Lehrmeister von Kern in Sachen Nichtstun.

Von einigen seiner Lehrmeister wird er an diesem Abend berichten - und sie unseren Irrlehren gegenüberstellen. Spitz konterkariert Kern etwa den bislang nicht fertiggestellten Großflughafen in Berlin. Dieser Nichtbetrieb habe Vorbildcharakter, als Abkürzung des Niedergangs, dem alle Flughäfen folgen sollten. Gemeint ist damit ein scharfes Fragezeichen Richtung Mobilität. Zurück zur Arbeit und allem, was damit zusammenhängt: Würden wir weniger Bedürfnisse erzeugen, unsere Dingwelt überdenken, deren Opfer wird sind, bräuchten wir weniger Erwerbsarbeit und es ginge uns trotzdem gut. Berechtigte Konsum- und Systemkritik. Der Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen ist da nicht weit. Kern hat recht, irgendwann werden wir da nicht umhinkommen. Der Leseabend: hochpolitisch und doch voller Literatur. Spielerisch und leicht stellt das Buch den Tätigkeitswahn in Frage und weist auf die damit verbundene Zerstörung hin. Man sollte es unbedingt gelesen haben.

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