Lesung in Moosach:Volle Stille im Saal

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(Foto: Veranstalter)

Der Rezitator Martin Pfisterer liebt schwere Stoffe

Interview von Anja Blum

Der Sprecher Martin Pfisterer hat sich den Werken des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard verschrieben. Der berühmte und als "Geschichtenzerstörer" und "Übertreibungskünstler" auch berüchtigte Autor war Meister rhythmischer Sprachkompositionen und immer auf der Suche nach Selbsterkenntnis. Am Samstag, 11. Juli, präsentiert Pfisterer im Meta Theater Moosach die Erzählung "Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft".

SZ: Herr Pfisterer, Sie sind freischaffender Künstler in München. Wie geht es Ihnen in diesen schwierigen Zeiten?

Martin Pfisterer: Die ersten Wochen waren eine Katastrophe, da ging gar nichts. Alle Lesungen wurde abgesagt, zehn insgesamt, es wurden keine Hörbücher produziert und kein einziger Schüler kam zum Sprechtraining. Aber mittlerweile geht es wieder, vor allem der Unterricht, und die erste Lesung hatte ich auch schon. Überhaupt ging es mir nie so schlecht wie manchem Kollegen, einfach weil ich sehr verschiedene Dinge mache.

Ihr Repertoire ist breit gefächert, es umfasst klassische Literatur, ganz neue Werke und Lieblingsautoren, zu denen vor allem Thomas Bernhard zählt. Was fasziniert Sie so an ihm?

Er ist mein geistiger Bruder. Ich liebe ihn und würde am liebsten alles von ihm sprechen, aber das darf ich nicht: Seine Stücke seien tabu, sagt der Verlag.

Berhards Ruf ist ja nicht der beste ..

. Ja, das stimmt. Entweder man findet ihn entsetzlich - oder ist süchtig nach ihm. Genau dieses Polarisierende mag ich aber. Und mich ziehen seine Texte überhaupt nicht runter, ganz im Gegenteil. Abgrund, Tiefe, Wahrheit - das ist das, was mich interessiert. Ich bin selbst ein "Übertreiber" und aus Verletzlichkeit manchmal zynisch. Bernhard drückt also viel, viel besser aus, was ich oft empfinde. Außerdem finde ich Bernhard oft lustig, auch liebevoll. Das zeigt gerade die Erzählung "Wittgensteins Neffe", die ja in erster Linie das Protokoll einer Freundschaft ist, auch wenn es um Krankheit und Tod geht.

Wie reagiert das Publikum auf solch schwere Stoffe?

Es gibt schon Texte, bei denen herrscht Schweigen. Aber das ist meist eine volle Stille, keine unangenehme. Deswegen kann ich die Sätze einfach stehen lassen und das gut aushalten. Betroffenheit ist genauso wertvoll wie Applaus.

Wie haben Sie den Autor Bernhard einst für sich entdeckt?

Ganz banal: Dank des Tipps eines Freundes. Als erstes las ich seinen Roman "Holzfällen", den ich bis heute besonders gerne auf die Bühne bringe. Denn da kann ich mich mal so richtig austoben und meine Schauspielkollegen, die oft so laut und eitel sind, durch den Kakao ziehen. Das hat mich natürlich sofort gepackt.

Wenn Sie diesen Autor so lieben: Ist es dann nicht wahnsinnig schwer, Strichfassungen von seinen Texten zu erarbeiten?

Ja, durchaus. Es ist furchtbar zu entscheiden, was man weglassen soll. Vor allem bei den langen Romanen wie "Auslöschung", der hat 690 Seiten. Da füge ich dann Überleitungen in meinen eigenen Worten ein, um den Bogen weiter zu spannen. Aber andererseits macht es auch enorm viel Spaß, so intensiv mit den Texten zu arbeiten. Und, vielleicht das Wichtigste: Sie werden dadurch zu meinen.

Ihr Auftritt ist als "szenische Lesung" angekündigt. Was darf man sich in Ihrem Fall darunter vorstellen?

Naja, ich bin Sprecher, und vertraue als solcher ganz der Kraft des Wortes. Aber ich bin auch Schauspieler und möchte deswegen manchmal die Distanz aufgeben und ganz reingehen ins Geschehen. Zwischen diesen beiden Polen die Balance zu finden, das reizt mich. Ich möchte die Texte einfach aus dem Moment heraus leben.

Sie haben ein abgeschlossenes Schauspielstudium - wieso stehen Sie nicht auf einer großen Bühne?

Ich habe es versucht, aber es ging nicht. Es fällt mir schwer, in einem Ensemble zu arbeiten. Solo muss ich keine Erwartungen erfüllen, da bin ich ganz frei in meiner Gestaltung. Das liebe ich.

"Wittgensteins Neffe - eine Freundschaft" von Thomas Bernhard, szenische Lesung mit Martin Pfisterer, am Samstag, 11. Juli, um 20 Uhr im Meta Theater in Moosach. Karten: www.meta-theater.com

© SZ vom 09.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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