Süddeutsche Zeitung

Leserbriefe:Wir können nicht wie bisher weitermachen

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War der Landkreis Ebersberg jemals so gespalten? Der geplante Windpark im Forst erhitzt die Gemüter bei Gegnern und Befürwortern

Zu Berichten und Leserbriefen zum geplanten Windpark im Ebersberger Forst:

Wir können nicht wie bisher weitermachen

Ich möchte einmal denjenigen die Möglichkeit geben, sich zu äußern, die es selten in die Printmedien schaffen. Das Thema Windkraft ist aufgrund des bevorstehenden Bürgerentscheides in aller Munde. Da wir mit dieser Entscheidung die Weichen für die Zukunft unserer Kinder stellen, wie auch immer diese aussehen mag, ist es mir wichtig, dass hier auch einmal Kinder zu Wort kommen.

Ich habe mich mit einigen Kindern aus unserer Siedlung getroffen, um herausfinden, was sie sich für die Umwelt und für die Zukunft wünschen. Teilgenommen haben: Anna (12), Melina (11), Mathilda (10), Sophie (10), Lena (10), Lilly (10) und Ben (7). Die folgenden Punkte mögen nicht alle mit dem anstehenden Bürgerentscheid in direktem Zusammenhang stehen, beziehen sich aber auf die Zukunft, die sich unsere Kinder wünschen: Windenergie ist eine saubere Art Strom zu erzeugen. Wir wären doch doof diese Energie nicht zu nutzen, wenn der Wind sowieso weht. (Lilly und Melina); den Klimawandel aufhalten und so unsere Welt retten (Sophie); mehr Solarenergie nutzen, zum Beispiel auch bei Autos (Ben); warum tut nicht automatisch jeder für die Umwelt, was er kann - jeder kann die Welt besser machen (Mathilda); es wird auf der Erde immer wärmer... wir wissen, was wir dagegen tun müssen, machen es aber nicht! Das verstehe ich nicht! (Lena)

Natürlich überblicken unsere Kinder noch nicht alle Details dieses Themas.... Recht haben sie in ihrem kindlichen Verständnis dennoch. Warum wir Erwachsenen, wenn wir doch wissen, was verändert werden muss (und das ist wissenschaftlich von unterschiedlichen Quellen schon vielfach bestätigt worden), es nicht schaffen, diese Änderungen auf den Weg zu bringen, ist nicht zu entschuldigen.

Ich bin ein Befürworter der Windkraftanlagen im Ebersberger Forst. Ich möchte unsere Heimat bewahren und unseren Kindern und Enkeln die Lebensgrundlage erhalten. Wir alle haben eine Verantwortung, dauerhaft unsere Umwelt, den Forst und die Natur, alle Lebewesen und unsere Gesundheit zu schützen. Unseren Forst zu schützen heißt, so schnell wie möglich den Wandel weg von den fossilen Brennstoffen und hin zu den erneuerbaren Energien zu vollziehen. So wie bisher weiter zu machen, heißt, den jetzt schon durch den Klimawandel schwer geschädigten Wald zu Grabe zu tragen.

Wären diejenigen, die sich gegen die Windkraftanlagen im Forst stark machen bereit, alternative Standorte zu akzeptieren, die näher an Wohnsiedlungen gelegen sind und auch die geltenden Abstandsregelung von 10H unterschreiten? Und wenn nein, wie sehen den alternative Konzepte aus, die kein "weiter wie bisher" beinhalten? Antworten auf diese Fragen würden die Kinder sicher genauso gerne hören wie ich. Auf jeden Fall wird die folgende Generation unsere Versäumnisse in Zukunft tragen müssen. Dr. med. Thomas Nicolaus, Kirchseeon

Der Standort ist nicht optimal

Seit längerem verfolge ich die vielen emotionsgeladenen oder auch teilweise unsachlichen Diskussionen über die geplante Windkraftanlagen im Ebersberger Forst sowie die Berichte zu diesem Thema in der SZ. Damals noch als Student der Meteorologie, war ich bereits Ende der 70er Jahre an der Erstellung eines Gutachtens über das Windenergieangebot in Norddeutschland beteiligt. Damals war man noch skeptisch, ob Wind überhaupt ein geeigneter Energieträger ist. Das war noch vor dem Bau der Testanlage GROWIAN (Große Windenergieanlage auf der Halbinsel Eiderstedt) und lange, bevor die Windkraftanlagen im Norden wie Spargel aus dem Boden geschossen sind, weil dort - wie man inzwischen weiß - der Wind in ausreichender Menge weht. Ich bin ausdrücklich für die Nutzung der Windenergie. Wir müssen weg von fossilen Energieträgern und Atomkraft. Regenerative Energieformen sind unsere Zukunft.

In der Diskussion um die Windkraft in unserem Landkreis fehlen mir jedoch einige Punkte bei der Erörterung der Standortwahl. Die 10-H-Regelung ist ein k.o.-Kriterium für viele Windkraftanlagen, weshalb man jetzt wohl auch in den Forst ausweichen möchte. Wer die ersten Windrotoren erlebt hat, die recht geräuschvoll ihre Runden gedreht haben, kennt den Unterschied zu den heutigen leise laufenden Anlagen. Es gilt also zu überlegen, ob man nicht mit Augenmaß von der 10-H-Regel abweichen kann und damit alternative Standorte findet, ohne dass Anwohner durch die Anlage belästigt werden.

Bei der Überlegung des Standortes ist natürlich auch das Windangebot in Betracht zu ziehen. Hier spielt die Bodenrauigkeit eine wichtige Rolle. Diese wird beeinflusst von der Vegetation, der Bebauung und der Orographie sowie von der Temperaturschichtung und der Windgeschwindigkeit. Je rauer der Untergrund ist, desto dicker ist die turbulente Strömungsschicht, die sogenannte Prandtl-Schicht. In der Prandtl-Schicht weht der Wind durch Verwirbelungen gebremst, erst darüber kommt es zu einer gleichförmigeren Strömung mit weiter zunehmender Geschwindigkeit. Das bedeutet, dass bei Untergründen mit hoher Rauigkeit die Nabenhöhe einer Windkraftanlage höher gewählt werden muss als auf einer Wiese oder idealerweise über Wasser, um eine optimale Energieausbeute zu erzielen. Wald weist neben städtischer Bebauung die höchste Rauigkeit auf. Typische Höhen für die Prandtl-Schicht sind einige Dekameter bis 100 Meter. Die Höhe dürfte über Wald aber höher liegen, was man mit entsprechenden Messungen herausfinden kann.

Jetzt kann man argumentieren, dass die heutigen Windkraftanlagen deutlich effektiver arbeiten als früher. Aber das ist so, wie wenn ich einen modernen hochmotorisierten Pkw mit angezogener Handbremse fahre. Die volle Leistungsausbeute kann ich bei einer schlechten Standortwahl auch mit einer modernen Anlage nicht erzielen.

Will sagen: Müssen die Windkraftanlagen unbedingt im Wald aufgestellt werden? Strömungstechnisch gesehen halte ich den Standort für nicht optimal. Dr. Burkhard Pietzner, Dipl.-Met., Grafing

Sehr geärgert über Flyer

Neulich ist mir ein Flyer ins Haus geflattert, der unter dem Titel "Nein beim Bürgerentscheid" dazu aufruft, gegen die Windräder im Forst zu stimmen. Ich habe mich über den Flyer sehr geärgert. Schon das Titelbild suggeriert mit einer Fotomontage einen riesigen Windpark, während es beim Bürgerentscheid lediglich darum geht, ein langwieriges Planungs- und Prüfungsverfahren für fünf Windkraftanlagen im Ebersberger Forst erst einmal zu beginnen. Das bedeutet unter anderem, dass eine natur- und artenschutzrechtliche Untersuchung überhaupt erst durchgeführt wird. Eine solche Untersuchung kann auch zu dem Ergebnis führen, dass im Forst keine Windräder gebaut werden dürfen. Man will also durch eine Ablehnung im Bürgerentscheid verhindern, dass eine fachliche Prüfung überhaupt durchgeführt wird.

Stattdessen beschreibt man den Ebersberger Forst als ein Naturidyll, das er leider durch den fortschreitenden Klimawandel längst nicht mehr ist. Die Absicht, den Forst für Kinder und Enkel erhalten zu wollen, ist ein erstrebenswertes Ziel, und das will ich den Initiatoren des Flyers ja nicht absprechen, allein ihr Vorgehen ist kontraproduktiv. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Einzig und allein eine schnelle Energiewende kann unser Klima und damit den Forst noch retten. Und dazu ist es unerlässlich, Windkraftanlagen zu errichten, auch im Forst, ergänzt durch PV-Anlagen und effizientere Energienutzung. Aber davon ist in besagtem Flyer leider kein Wort zu finden. Aber wir sollten nicht nur auf die Politik warten. Jeder hat es selbst in der Hand, Energie zu sparen, grünen Strom zu beziehen oder gar selbst PV-Module aufs Dach zu setzen. Wer noch Zweifel hat, was jetzt zu tun ist, dem sei folgendes Video von Prof. Harald Lesch zu diesem Thema empfohlen: http//:www.energiewende-vaterstetten.de/lesch.mp4 Hannes Reichmeyer, Grafing

Verantwortung für die Kinder

Lasst uns bei der Wahrheit bleiben - für unsere Kinder und Enkel!Es ist normal, dass es zu wichtigen Themen kontroverse Meinungen gibt. Basis für die Meinungsfindung müssen aber Fakten sein - und an diesen naturwissenschaftlichen Tatsachen ändern Meinungen nichts. Ein Stein wird nach unten fallen, auch wenn ich die Schwerkraft blöd finde. Der menschengemachte Klimawandel ist so eine naturwissenschaftliche Tatsache. Die zu erwartenden Folgen sind so katastrophal, dass sich in vielen Köpfen die Meinung gebildet hat, ihn lieber zu ignorieren. Damit tun wir aber unseren Kindern und Enkeln nichts Gutes! Wir achten darauf, dass sie warm genug angezogen sind, allenötigen Impfungen bekommen, eine gute Schulbildung und ein gesundes Pausenbrot, dass sie nette Freunde, schöne Urlaube und ein liebevolles Elternhaus haben. Damit sie stabile Persönlichkeiten mit einer guten Zukunft werden - doch jetzt ist der Moment, nicht nur auf die Vitamine im Pausenbrot zu achten: Wir haben es in der Hand, diese Zukunft mitzubestimmen! Den Klimawandel einzudämmen, ist eine weltweite Aufgabe - und jeder, der die "Nicht-vor-meiner-Haustür"-Mentalität befürwortet, entzieht sich dieser Aufgabe und seiner Verantwortung für die kommenden Generationen. Ich bin begeistert von der Idee, endlich auch hier im Landkreis Nägel mit Köpfen zu machen und die Energiewende so schnell wie möglich voranzubringen. Die fünf Windräder im Forst werden für mich ein Symbol der Hoffnung sein. Christine Brombacher, Parents for Future, Zorneding

Nur noch die Plakate sind grün

So, im Forst sollen Windräder gebaut werden. Warum nicht? Im Kreistag stimmten fast alle für dieses Unternehmen. Sogar die Grünen! Aha, bei denen ist bloß mehr ihr Plakat grün. Und für den "oberen" Personenkreis des Bund Naturschutz gilt das gleiche. Weniger bekannt ist das Vorhandensein von zwei wichtigen Gutachten über ökologische und ökonomische Bestandsaufnahmen über den Standort im Forst. Da heißt es beispielsweise, dass von Schwachwindflächen der Forst am wenigsten geeignet ist und für den Standort der Windräder nicht sinnvoll sei. Im zweiten Gutachten hat man eine Liste über streng geschützte Tiere aufgestellt, etwa Fledermausarten, Sperlingskauz, Schwarzstorch und viele andere streng geschützte Arten. Ja was soll man dazu sagen? Fledermäuse, diese hässlichen Viecher, die schuld sind am Corona Virus - das sagen die Chinesen! Die übrigen Tiere kennt ja sowieso keiner - am wenigsten die gebildeten Kreisräte und unser hochgeschätzter Landrat.

Zurück zum Wind. Mein Gott, wenn dieser Wind nicht so wie gewünscht weht, dann gibt's halt weniger Strom. Entweder die Investoren stehen dann ohne erhofften Gewinn da (es geht doch immer nur ums Geld) oder man wird die Strompreise erhöhen müssen. Was die Gutachten betrifft - so bin ich mir sicher - haben diese vielleicht nur wenige Kreisräte gelesen, oder deren Beurteilung und Zusammenhänge nicht ganz verstanden.

Aber egal, mia san mia! Also werden die Windräder im Ebersberger Forst aufgestellt. Zuerst aber müssen große Flächen Wald abgeholzt werden. Diese Kahlschläge sollen aber die doppelte Ausdehnung haben, als momentan benötigt wird. Ohne Probleme könnten dann später fünf weitere Windräder aufgestellt werden. Das anfallende Holz soll dann verkauft werden und spült viel Geld in die Staatskasse, weil derzeit der Holzpreis für Bauholz international sehr hoch ist und die Amerikaner dringend Holz aus Europa benötigen. Ein weiterer Punkt ist sehr wichtig: Es wird immer mehr Bauplatz für Gewerbegebiete, Lagerhallen und Umgehungsstraßen dringend gesucht. Klima? Seit 30 Jahren ist die ständige Verschlechterung des Klimas bekannt, aber die Warnungen haben die meisten Politiker und die Konzerne lächelnd beiseite geschoben. Nur der Forst in seiner Gesamtheit und seiner Unversehrtheit hat bisher mehr für gutes Klima beigetragen, als die Windräder es je können werden.

Bald hätte ich es vergessen: Wie wird es wohl mit dem Ebersberger Trinkwasser weitergehen? Diese Quellen werden in naher Zukunft nicht mehr so freudig sprudeln. Was solls - es gibt genug Mineralwasser zu kaufen! Ich weiß es - alles ist in den Wind gesprochen. Doch es lebe unser aller Forst! Günter Ettenhuber, Grafing

Protest-Potenzial besser nutzen

Die Gegner der Windkraftanlagen im Forst geben nicht auf. Nahezu alle ihre Argumente sind längst widerlegt worden. Das Schlimmste aber ist: Den Bedenkenträgern geht es gar nicht um den Forst. Der Beweis, dass der Schutz des Waldes nur vorgeschoben wird, ist offensichtlich. Denn eine staatliche Planung sieht vor, 30 000 Quadratmeter Wald zu roden, zu planieren und zu versiegeln und zusätzlich 150 000 Quadratmeter vom Forst für den Straßenbau abzutrennen, und zwar hochwertige Waldflächen! Wo bleibt hier der notwendige Aufschrei der 'angeblichen' Waldschützer? Der Flächenbedarf für die fünf Windräder ist im Vergleich dazu ein Klacks!

Windkraftanlagen erzeugen regenerative Energie und helfen die drohende Klimakatastrophe zu minimieren. Neue Straßen dagegen ziehen immer zusätzlichen Verkehr an und verursachen das Gegenteil.

Die Belehrung, dass die fünf Windräder im Ebersberger Forst ja das Weltklima nicht retten könnten, ist hanebüchen. Selbstverständlich muss jede Kommune, jeder Landkreis, jedes Bundesland und müssen alle Länder unseres Erdballs konsequente Klimapolitik betreiben. Aber wenn jeder auf das Beginnen anderer wartet, verlieren wir diese Herausforderung. Dagegen ist jeder Beginn ein guter Anreiz zur Nachahmung. Weshalb nutzen die Protestler ihr Potenzial nicht, um die politisch dämliche 10-H-Regel endlich zu kippen? Wegen dieser mussten die Windräder schließlich in den Forst verschoben werden. Käte Moder, Ebersberg

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Quelle:
SZ vom 27.04.2021
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