Süddeutsche Zeitung

Lebensspende:Genetische Fügung

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Ein Physiotherapeut lässt sich für einen Kollegen typisieren und rettet mit einer Stammzellenspende einen Unbekannten

Katharina Blum

- Was ist das für ein Gefühl, wenn man einem völlig fremden Menschen seine Stammzellen überlässt und damit wahrscheinlich zu dessen Lebensretter wird? "Wow, einfach nur geil", sagt Thomas Bäuml. "Ab dem Moment, wenn das Blut fließt, ist dort diese irre Vorstellung, dass dank dir ein anderer überleben kann." Im März 2011 hatte sich der Physiotherapeut der Kreisklinik Ebersberg bei einer Typisierungsaktion in seinem Krankenhaus als Spender registrieren lassen. Eigentlich galt die Aktion seinem an Leukämie erkrankten Kollegen Martin Mitterer. Während der junge Assistenzarzt aber kurze Zeit später in einer Studentin aus Kroatien seinen genetischen Zwilling fand, konnte Bäuml nun einem ihm unbekannten jungen Mann aus Europa helfen. Keine zwei Wochen nach seiner Spende sitzen Mitterer und Bäuml zusammen im Flur der Station 3.1, Unfallchirurgie. Ein Retter und ein Geretteter. Beide lachen und scherzen. "Alles wieder ganz normal, außer dass ich mit den weiblichen Stammzellen jetzt mehr Frau in mir habe", sagt Mitterer.

Hinter dem 32-jährigen Arzt liegt eine lange, harte Zeit. 2006 erkrankte er zunächst an Lymphdrüsenkrebs, dann wurde bei ihm Anfang 2010 eine sekundäre Leukämie festgestellt. Infolge der bei Lymphdrüsenkrebs sehr hoch dosierten Chemotherapie war sein Knochenmark geschwächt und geschädigt. Noch ist sein Kampf gegen die Leukämie nicht ganz vorbei - "manchmal watscht mich mein Körper noch ab, wenn ich es übertreibe", erzählt Mitterer. Seit April arbeitet er wieder Vollzeit, im Sommer hat er bei Punktspielen im Tennis abgeräumt und wurde Vize-Meister bei den Herren 30. "Ich habe gegen Leute gespielt und gewonnen, die mich damals im Krankenhaus besucht haben."

Momentan aber ist der Kampf gegen die Leukämie wieder allgegenwärtig - leider nicht nur wegen Bäumls Erfolgsgeschichte. Auf dem Weg zur Station im Eingangsbereich kommen die Kollegen jeden Morgen am Plakat von Stefan vorbei. "Ich weiß noch, bei mir gab es vorab große Diskussionen, ob ein Bild mit oder ohne Freundin sein soll. Es hieß, man soll besser auf die Tränendrüse drücken", erinnert sich Mitterer. Im Fall von Stefan weist das Plakat darauf hin, dass es am Sonntag für den an Leukämie erkrankten Kirchseeoner eine Typisierungsaktion geben wird. "Ich weiß, wie es ihm geht, was er jetzt durchmacht. Ich hoffe, er findet jemanden", sagt der Arzt. Für ihn setzte damals eine Welle großer Hilfsbereitschaft ein, bei Aktionen im heimischen Inzell, im Klinikum Großhadern oder in Ebersberg: Insgesamt waren es um die 3000 Frauen und Männer, die dem Arzt Stammzellen spenden wollten, rund 1400 Menschen strömten in die Kreisklinik. Aus der Aktion gingen neben Bäuml noch mindestens drei weitere Lebensretter hervor, in Inzell beispielsweise wurde einem zweijährigen Kleinkind geholfen.

Und Bäuml könnte sogar noch mehrfach zum Lebensretter werden. Er hatte so viele Stammzellen produziert, dass noch ein Beutel eingefroren wurde. Ende Juni hatte den 23-Jährigen im Amerika-Urlaub eine SMS der Eltern erreicht, dass er als Spender für einen weiteren Patienten infrage komme. Zunächst ging er gelassen mit der Situation um. Eine Blutprobe beim Arzt, bei der weitere Merkmale getestet wurden, dann folgte ein großer Gesundheitscheck mit Belastungs-Elektrokardiogramm und Röntgenaufnahmen. Er schaffte es mit drei anderen Getesteten in die enge Auswahl. Und dann war es mit der Gelassenheit vorbei: "Dann willst du es unbedingt. Ich wäre schon enttäuscht gewesen, wenn es nicht geklappt hätte", sagt Bäuml. Es klappte. Vier Tage musste er sich dann zweimal täglich eine Dosis Wachstumshormone spritzen. Diese stimulieren die Vermehrung der Stammzellen und bewirken, dass diese vom Knochenmark in die Blutbahn übertreten. Am 8. Oktober war es schließlich soweit: Beim Roten Kreuz an der Theresienwiese in München strömte das Blut ähnlich wie bei einer Dialyse durch zahllose gewundene Schläuche und zwei Zugänge. "Ein bisschen schlapp wie bei einer Grippe habe ich mich gefühlt, aber mehr Nebenwirkungen gab es nicht."

Einen Tage Pause vom Job gönnte sich der Physiotherapeut, dann hat er sofort wieder "voll angegriffen", wie er sagt. "Man kann mit so wenig Einsatz ein Leben retten. Das ist einfach unglaublich." Nach zwei Jahren darf er offiziell den Mann kennenlernen, dem er einen Teil seiner Stammzellen überlassen hat - wenn es beide Seiten wünschen. "Das würde mich extrem freuen", sagt Bäuml. "Schließlich sind wir ja genetische Zwillinge."

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Quelle:
SZ vom 20.10.2012
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