Süddeutsche Zeitung

Stunde der Wintervögel:Es piept noch

Die Teilnehmer an der bayernweiten Naturschutzaktion werden immer mehr, doch die in den Gärten gezählten Vögel immer weniger. Im Landkreis Ebersberg fliegt die Kohlmeise auf den ersten Platz.

Von Daniel Limmer, Ebersberg

"Du hast doch ne Meise." Eine von vielen Möglichkeiten, jemandem zu sagen, er sei verrückt, nicht ganz bei Verstand. Genau genommen ist es eine spezifizierte Variante des Ausdrucks "einen Vogel haben." Ihren Ursprung hat diese Redewendung in einem alten und verbreiteten Volksglauben, demzufolge Geistesgestörtheit durch das Nisten von Tieren im Kopf verursacht wird. Die Redensarten "bei dir piept's wohl" und "dich pickt wohl der Vogel" gehen ebenfalls darauf zurück. Im Landkreis Ebersberg haben auch viele eine Meise - allerdings im Vorgarten.

Nach dem Ergebnis der jährlich stattfindenden Aktion "Stunde der Wintervögel" ist die Kohlmeise nämlich die häufigste Vogelart im Landkreis. 1421 mal wurde sie hier gezählt. Dicht gefolgt vom Feldsperling (1107) und Haussperling (1005). Letzterer landete im bayernweiten Vergleich auf Platz eins - zum vierten Mal in Folge. Initiatoren des Projekts sind der "Naturschutzbund" (Nabu) und der "Landesbund für Vogelschutz", kurz LBV. Mehr als 34 300 Teilnehmer waren es in Bayern, 418 davon aus dem Landkreis Ebersberg.

Beobachten, zählen, aufschreiben

Mitmachen konnte bei der Aktion jeder. Eine Stunde lang sollten Teilnehmer dann beobachten und notieren, wie viele Vögel sie von einer Art gleichzeitig sehen. Kommen welche dazu, wird die alte Zahl durchgestrichen und durch die neue, höhere ersetzt. Vom 6. bis 9. Januar hatten Naturfreunde Zeit, das Ergebnis über die LBV-Homepage einzutragen. Eine örtliche Vorgabe gab es nicht, die meisten dürften aber die Vögel im eigenen Garten gezählt haben.

Im bayernweiten Ergebnis landete die Kohlmeise übrigens noch vor dem Feldsperling auf dem zweiten Platz. Zudem ist sie zusammen mit der Amsel der häufigste Wintervogel Bayerns. Beide Arten wurden in neun von zehn Gärten beobachtet, der Hausspatz hingegen nur in jedem zweiten Garten. In einer Stunde wurden im Freistaat im Schnitt 33 Vögel gesichtet. Im Landkreis Ebersberg waren es mit 30 etwas weniger. Bayernweit sind das damit etwa zehn weniger als noch vor zehn Jahren. Und auch hier im Landkreis ist ein deutlicher Rückgang spürbar.

Die Gründe: Insektenmangel und fremde Pflanzen

"Das wundert mich leider nicht", sagt der stellvertretende Vorsitzende der LBV-Kreisgruppe Ebersberg, Richard Straub. Es gebe einfach immer weniger Insekten, die nun mal als Nahrungsquelle für viele Vögel dienen. Ein weiteres großes Problem sei auch der Trend, die natürliche Vegetation im Garten mit Schotterflächen und nicht heimischen Pflanzen, wie dem Bambus, zu ersetzten. "Wo gibt es denn noch eine Grünfläche mit einem schönen Holler oder Stauden", so Straub. Er selbst habe dieses Jahr auch weniger Vögel in seinem Garten in Markt Schwaben gezählt, nur 18. Oft sei das aber auch tagesabhängig, meint er. Eine Woche später habe er zum Beispiel in nicht mal einer Stunde gut doppelt so viele gesehen.

Erfreulicher findet der Markt Schwabener die Teilnehmerzahl im Landkreis bei der Mitmachaktion. "Das ist sehr zufriedenstellend", denn die Tendenz sei über die vergangenen Jahre betrachtet steigend. "Vor ein paar Jahren waren es noch rund 100 Teilnehmer weniger", erinnert er sich. Insgesamt würden sich auch immer mehr Familien samt Kindern an der Aktion beteiligen. "Und dabei ist es faszinierend, wie schnell sie sich die einzelnen Arten merken können", so Straub.

Die Vogelzählung ist aber nicht nur eine gute Freizeitbeschäftigung, sondern hat auch einen wichtigen Sinn. "Durch die Aktion werden jede Menge Daten gesammelt, die ein gutes Bild darüber geben, über welche Vogelarten man sich Sorgen machen muss, oder welche sich eben wieder gut erholt haben", erklärt der stellvertretende LBV-Kreisgruppenvorsitzende. "Es geht weniger um die Zahl als viel mehr um die Trendentwicklung: Bestand zunehmend, abnehmend oder stabil." Ausgehend davon könne man dann Schutzprogramme oder andere Maßnahmen für den Erhalt gefährdeter Arten planen. Ganz ähnlich beschreibt das in einer Pressemitteilung des Landesbundes für Vogelschutz auch die Biologin Angelika Nelson: "Die zahlreichen Meldungen geben uns eine guten Überblick über die typische Vogelwelt in einem bayerischen Garten im Winter. Der kontinuierliche Rückgang der Anzahl von Vögeln ist auch durch wissenschaftliche Studien und Monitoring-Programme belegt. Dass die bürgerwissenschaftlichen Daten diesen unerfreulichen Abwärtstrend widerspiegeln, zeigt den Wert unserer Mitmach-Aktionen", so Nelson.

"Stunde der Gartenvögel" im Mai

Was der LBV im Landkreis Ebersberg konkret gegen das Vogelschwinden tut? "Wir bieten Vorträge an, wo wir zum Beispiel zusammen mit Referenten für naturnahe Gärten werben", so Straub. Außerdem habe die LBV-Kreisgruppe Flächen gepachtet, wo sie versucht, die Artenvielfalt zu stärken. Die nächste Vogelzählung steht währenddessen schon ins Haus. Unter dem Namen "Stunde der Gartenvögel" findet sie im Frühjahr statt. Dann sind auch die Zugvögel, wie der Star oder der Mauersegler, wieder zurück in den bayerischen Gärten.

Die "Stunde der Gartenvögel" findet vom 13. bis 15. Mai statt. Sie wird zeigen, wie viele Bewohner des Ebersberger Landkreises dann wieder angeben, eine Meise zu haben - in ihren Gärten natürlich.

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