Süddeutsche Zeitung

Lange Nacht der Geistlichen Musik:Klingendes Evangelium

Zum Reformationsjubiläum veranstaltet die evangelische Kirchengemeinde Grafing eine "Lange Nacht der Geistlichen Musik". Im Mittelpunkt steht Luther als Lautenspieler und Sänger

Von Rita Baedeker, Grafing

Protestsongs - von der Arbeiterbewegung bis zu Vietnamkrieg, Gorleben und G 7-Gipfel - haben eine längere Tradition als wohl manche meinen. Einer, der mit Gesang die Welt des Glaubens verändert hat, war Martin Luther. Er dichtete und komponierte Kirchenlieder in deutscher Sprache. "Ich möchte, dass wir möglichst viele Lieder hätten, die das Volk während der Messe singen könnte", erklärte er 1523. Und pries die Musik als "herrlich und göttlich geschenck und Gabe, die den Menschen fröhlich mache" - eine Gabe, die der Teufel "nicht gerne erharret", so zitiert Burkhard Weitz im evangelischen Magazin Chrismon den Reformator.

Als Auftakt zum Reformationsjubiläum veranstaltet die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Grafing am Freitag, 21. Oktober, in der Grafinger Auferstehungskirche eine "Lange Nacht der Geistlichen Musik", in deren Mittelpunkt Luther stehen wird, aber nicht als Theologe, sondern als Schöpfer deutschsprachiger Kirchenlieder. Luther selbst war leidenschaftlicher Lautenspieler und Sänger, er studierte Musik, schrieb Texte und komponierte.

Pfarrer Axel Kajnath und der Pianist und Organist Thomas Pfeiffer werden an dem Abend Luthers musikalisches Schaffen präsentieren. "Luther hat das Brachland deutscher Kirchenmusik entdeckt", sagt Pfeiffer. "Es gab zu seiner Zeit nur die Gregorianik und die lateinische Liturgie, die Laien nicht verstanden haben." Luther, den Meistersinger Hans Sachs einmal die "Wittenbergische Nachtigall" genannt hat, habe die Kirchenmusik als Transmitter gesehen, als klingendes Evangelium. Tatsächlich entwickelten Luthers Lieder gewaltige Sprengkraft. Das Lied "Eine feste Burg ist unser Gott" zum Beispiel, die Vertonung von Psalm 46, "das war für die Protestanten so etwas wie die Marseillaise", sagt Kajnath.

Luther wünschte sich eine mündige, aktive Gemeinde. Dass dies im Kreis der alteingesessenen, zuvor niemals in Frage gestellten Autoritäten der Kirche nicht gern gesehen wurde, war klar. Diese fürchteten um die Macht, die sie über ihre unwissenden Schäflein hatten, um die Deutungshoheit der biblischen Texte, um die Aura von Heiligkeit und Unantastbarkeit, welche ihnen der lateinische Ritus verlieh.

Luther indes hatte anderes im Sinn: Damit sich das einfache Volk die Protestlieder merken konnte, hat er bekannte weltliche Vorlagen mit geistlicher Musik unterlegt und sogenannte "Kontrafrakturen" geschaffen. "Vom Himmel hoch" ist ein Beispiel dafür. Früher war das mal ein Tanzlied, berichtet Pfeiffer. Luther hat nur die Melodie leicht verändert. Auch Psalmtexte hat er in eine passende Versform gebracht oder lateinische Sequenzen ins Deutsche übersetzt. Insgesamt 45 Lieder habe er auf diese Weise geschaffen, sagt Pfeiffer.

Und nicht nur das: Luther hat maßgeblich zur Entwicklung der Musikkultur hierzulande beigetragen, von der sehr deutschen Tradition der Hausmusik bis zu den großen Messen und Oratorien wie dem Messias oder der Johannes-Passion. Maler haben das traute Bild verewigt, wie Luther mit Laute und gewaltigem Bauch im Kreise seiner Familie musiziert. Wobei: Diverse Instrumente wie Orgel und Violine konnte der Reformator partout nicht leiden: Pauken bezeichnete er zum Beispiel als "himmlisches Feldgeschrei".

Noch heute gehören Luthers Lieder zum festen Kanon des evangelischen Gesangbuches, trotz neuer Lieder, deren Anteil etwa ein Drittel ausmache und sprachlich sowie rhythmisch dem heutigen Geschmack angepasst sei, sagt Pfarrer Kajnath. Die Lange Nacht der geistlichen Musik in der evangelischen Kirche in Grafing ist Teil eins einer Veranstaltungsreihe zum Reformationsjubiläum. Im März ist dann eine Ausstellung geplant, die auch die Schattenseiten Luthers zeigen wird. "Wir wollen ihn nicht als Heiligen stilisieren", sagt Kajnath, "sondern Luther auch in seiner geistigen Begrenztheit zeigen, etwa in seiner feindseligen Haltung gegenüber dem Judentum." In Wittenberg, so fügt er hinzu, forderten mittlerweile viele Menschen, das beleidigende "Judensau-Relief" aus dem Hochmittelalter in der Stadtkirche zu entfernen. Die evangelische Kirche heute, sagt Axel Kajnath, distanziere sich dezidiert von Luthers antisemitischer Haltung. "Wichtig ist, wie wir jetzt zu unseren jüdischen Geschwistern stehen."

19 Uhr: Pfarrer Axel Kajnath eröffnet am Freitag, 21. Oktober, in der Grafinger Auferstehungskirche die Lange Nacht der Geistlichen Musik und führt in das Thema des Abends ein. Es spielt das "Bläserensemble Bad Aibling" unter Andreas Helfritsch. 19.45 Uhr: Annett Stärk, Sopran, Theresa Huber und Birgit Debes, Gitarren, führen Choräle aus der Feder Luthers auf. 20.30 Uhr: Evangelischer Kirchenchor und das Vocal-Ensemble "Klangfarben", begleitet von Streichern und Orgel, bringen "Luthertexte in neuem Gewand" dar. Die Leitung hat Rita König. 21.15 Uhr: "Singen zum Trost und Trotz - Markenzeichen der Lutherischen?" heißt es beim offenen Singen mit Thomas Pfeiffer. 22 Uhr: Annett Stärk singt begleitet vom Kammerchor "Con Moto", Streichern und Orgel deutsche Psalm- und Choralkantaten von Mendelssohn-Bartholdy. Die Leitung hat Benedikt Haag. 22.45 Uhr: Thomas Pfeiffer und Jakob Skudlik spielen Orgelbearbeitungen des Protestlieds "Eine feste Burg ist unser Gott". 23.30 Uhr: Mit einer "Andacht zur Nacht" endet der Reigen mit Pfarrerin Ghita Lenz-Lemberg, dem evangelischen Kirchenchor, dem Kammerchor Con Moto und Thomas Pfeiffer an der Orgel.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2016
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