Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:"Meine Kühe leben länger"

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Und seine Regenwürmer. Seit 20 Jahren verzichtet Landwirt Thomas Unkelbach auf den Pflug. Die Böden auf seinen Feldern wurden auf diese Weise fruchtbarer. Er sagt, dass davon alle profitieren: Pflanze, Tier und Mensch.

Von Korbinian Eisenberger, Vaterstetten

Aus drei Erdklumpen ragen drei Stiele. Drei mal Mais. Drei mal die gleiche Frucht. Oder? Erst bei Berührung mit den Fingern ist der Unterschied zu erkennen, dass zwei Erdklumpen recht trocken daherkommen und grob zerbröseln. Der dritte hingegen, links außen, wirkt feinkrümelig, weich und lässt sich eindrücken. So entsteht ein erster Eindruck.

Boden wird bisweilen von Füßen getreten. Und so hat der Besitzer dieses Bodens das Erdreich hüfthoch platziert. Bei einem Kind könnte man sagen, auf Augenhöhe: Mitten auf der Wiese hat der Bauer einen Tisch aufgebaut. Auf dem Tisch stehen drei Wannen mit Erdklumpen samt Pflanzenstielen. Und um die Tische stehen Männer, die auf Stiele starren.

Über Hergolding bei Vaterstetten steht die Sonne. Hier, auf dem Geigerhof, ist Thomas Unkelbach seit 1998 Landwirt. Der 41-Jährige betreibt diesen Beruf mehr als sein halbes Leben. Dabei macht er eine Sache ganz anders. Branchenunüblich. Deshalb hat das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forster Ebersberg-Erding zu ihm eingeladen: Unkelbach verzichtet seit 20 Jahren auf den Pflug. Er bewirtschaftet seine 40 Hektar stattdessen mit einem sogenannten Tiefengrubber. Der Grund: Dadurch überleben die Regenwürmer im Boden, und die sind mit entscheidend bei all seinen Überlegungen.

"Die Ausscheidung vom Regenwurm ist hochfruchtbarer Boden."

Unkelbach steht vor der Wanne mit den Erdproben. Grünes Shirt, grünes Käppi, "passion for farming" steht drauf. Seine Hände sind groß, fast schaufelartig. Aber wenn er die Erde zwischen den Fingern durchrieseln lässt, dann hat das etwas Feines. Er sagt: "Die Ernährung der Menschen beginnt im Boden." Und meint damit: Je hochwertiger das Erdreich, desto gesünder der Mensch.

Und der Regenwurm. Darum geht es hier unter anderem. Regenwürmer holen sich wichtige organische Stoffe von der Oberfläche, transportieren sie unter die Erde und scheiden sie dort wieder aus. "Die Ausscheidung vom Regenwurm ist hochfruchtbarer Boden", sagt Unkelbach. Ein Boden kann also kaum genug davon bekommen. Wenn aber im Frühjahr der Bauer mit dem Pflug kommt, dann findet im Erdreich Massensterben von Würmern statt.

Der Bauer lässt den Finger über eine Sojasprosse gleiten, auch die baut er auf seinen Feldern an. Regenwürmer sind an diesem sonnigen Tag keine zu sehen, dafür hüpfen die Katzenbabys der Bauersfamilie über den Hof, balgen sich und rollen wie ineinander verknotet durch die Wiese. Sie tollen über einen Boden, in dem der Wurm drin ist, und das ist hier ausnahmsweise positiv gemeint.

Regenwürmer können mehrere Jahre alt und fingerdick werden. Und Bauer Unkelbach ist der Überzeugung, dass die Würmer unter seinen Schuhen besonders alt und besonders dick sind. Weil er die Erde seit 20 Jahren nicht mehr in 25 Zentimetern Tiefe mit den Pflugscheren herausreißt und einmal komplett wendet. Stattdessen lockert sein Instrument den Boden in ähnlicher Tiefe lediglich. Damit schone er sämtliches Gekrabbel da unten, so der Bauer. Die Frage ist: Lässt sich das messen? Und wenn ja, wie?

"Wenn man Pech hat, kommt der Tierarzt an fünf Tagen in der Woche."

Nachfrage bei einem jungen Mann, der einst bei Unkelbach in Hergolding beschäftigt war. Peter Rauch, der inzwischen auf dem elterlichen Hof im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen als Landwirt arbeitet. Bei diesem Telefonat Ende Juli berichtet der 26-Jährige von seinem 20-wöchigen Praxissemester auf dem Geigerhof im Rahmen seines Landwirtschaftsstudiums. 2018 war das, von März bis Ende Juli war er dort. Irgendwann dann, sagt er, nach einigen Wochen, "da hab ich mich gefragt, warum nie der Tierarzt zu uns kommt". Von anderen Höfen kenne er das ganz anders. "Wenn man Pech hat, kommt der Tierarzt an fünf Tagen in der Woche."

Rauchs Bilanz nach fünf Monaten: Ein erkranktes Tier. Ein Kalb hatte Durchfall und benötigte Infusionen. "Der Tierarzt war insgesamt einmal da", sagt er.

Zurück im Jetzt, zurück auf den Geigerhof. Der Bauer und die Bäuerin Petra Unkelbach stehen jetzt im Kuhstall. 60 Milchkühe, dazu 45 Jungtiere, allesamt in Laufstallhaltung. Konventionelle Haltung. Der Betrieb ist nicht biozertifiziert. Grund dafür ist unter anderem, so die Bauersleute, dass sie ihren Komposthof in dem Fall nicht hätten weiter betreiben können. Der Kompost dürfte nicht auf die Felder. Die Unkelbachs suchten eine andere Methode.

Der Weg zum Erfolg war bisweilen zäh. Es gab Rückschritte. Manche Innovation habe schlicht nicht funktioniert. "Ich habe jahrelang viel Lehrgeld bezahlt", erklärt Bauer Unkelbach. Erträge gingen zurück, was von Nachteil ist, wenn auf den Feldern vor allem das Futter für die eigenen Tiere wächst. Dann aber lernten die Unkelbachs hinzu, und im Jahr 2022 kam dann der Durchbruch. Oder eher: Sehr deutliche Hinweise, dass ihre Methode nachweislich funktioniert.

Mit der offiziellen Hofübernahme 2015 starteten die Bauersleute auf ihren Feldern eine Bodenanalyse. Anhand von Bodenproben prüfen sie seit sieben Jahren den Nährstoffgehalt und gleichen ihn mit herkömmlichen Ergebnissen ab. Ergebnis: Der Humusanteil liegt bei ihnen bei sieben Prozent und ist damit fast doppelt so hoch wie sonst in dieser Region mit ähnlichen Bodensituationen üblich.

Ein Muhkonzert geht durch den Stall. Thomas Unkelbach verteilt nun Futter. "Meine Kühe leben länger", sagt er. Der Anteil an Zusätzen, sagt er, sei sehr gering bei ihm. "Je weniger Kraftfutter, desto weniger Methan stößt die Kuh aus." Je mehr Humus also, desto mehr CO2 wird im Boden gebunden. Der Humus-Boden als Klimaretter, wenn man so will.

Bauer Unkelbach lüpft sein Käppi. Eine Katze krallt sich an seiner Hose fest. Ja, sagt Unkelbach, der Mehraufwand, den er und seine Frau da betreiben, der sei schon beachtlich. Dafür hinterlasse er seinen Kindern einen Boden, mit dem sich arbeiten lässt. Er tritt aus dem Stall und schiebt sich die Kappe in die Stirn. Auf dem Feld wartet Arbeit.

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