Landschaft:Paradiesischer Streifen

Für die Naturschützer ist auf der Strecke zwischen Grafing und Glonn die Welt noch in Ordnung. Mit dem Ausbau zum Rad- und Wanderweg erwarten sie die Zerstörung des Biotops

Von Anja Blum

Landschaft: Günter Ettenhuber vom Bund Naturschutz blickt ins Tal kurz vor Taglaching. Er liebt die Tiere und Pflanzen am alten Bahndamm zwischen Grafing und Glonn.

Günter Ettenhuber vom Bund Naturschutz blickt ins Tal kurz vor Taglaching. Er liebt die Tiere und Pflanzen am alten Bahndamm zwischen Grafing und Glonn.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Natürliche Schönheit drängt sich oft nicht auf, sondern verbirgt sich. Unter einer dicken Schneedecke zum Beispiel. Doch wer es versteht, genau hinzusehen, kann trotzdem Wundervolles entdecken. Das Spiel der Formen etwa, das braune, verdorrte Pflanzen vor der weißen Fläche zaubern, filigraner als ein Scherenschnitt je sein könnte. Weiche Gräser, stachelige Samenkörper, ovale Gespinste, dornenbewehrte Ranken, kandelaberförmige Stauden ragen aus dem Schnee - die Vielfalt der Natur kann sogar im Winter überwältigend sein. Und das auf kleinstem Raum. Dafür aber, dass sie sich derart entfalten kann, müssen die Rahmenbedingungen genau stimmen. "Das sind alles sehr diffizile Zusammenhänge", sagt der Grafinger Günter Ettenhuber, der sich schon seit Jahrzehnten für den Naturschutz einsetzt. In Filzhut und Bergstiefeln steht er im Schnee, irgendwo bei Gutterstätt, zerbröselt Teile einer verblühten Königskerze zwischen seinen groben Fingern und riecht daran. Ganz so, als erhielte er durch den direkten Kontakt noch mehr Informationen als nur durch bloßes Ansehen. "Eine wunderschöne Pflanze mit unglaublich vielen Samen, aber nur ganz wenige davon gehen dann tatsächlich auf", sagt Ettenhuber, und seine blauen Augen blicken kurz etwas ratlos-wehmütig drein.

Für den ehemaligen Landschaftsgärtner hat der Spaziergang an diesem Vormittag überhaupt einen traurigen Anlass: Geht es nach der Kreis-CSU, soll der "Alte Bahndamm" zwischen Grafing Bahnhof, Moosach und Glonn, der 1971 stillgelegt wurde, zu einem Rad- und Wanderweg ausgebaut werden. Davon halten Ettenhuber und seine Mitstreiter vom Bund Naturschutz sowie vom Landesbund für Vogelschutz jedoch rein gar nichts: Für sie ist die ehemalige Bahnstrecke, ein mal mehr, mal weniger verwilderter Streifen, der sich durch die Landschaft zieht, eines der wichtigsten Biotope im Landkreis, das als solches seit 1994 auch unter Schutz steht. "Das ist einfach ein sehr starkes Gebiet, vor allem, weil es die unterschiedlichsten Standorte miteinander verbindet", erklärt Ettenhuber und lässt seinen Blick über die Landschaft zwischen Grafing Bahnhof und Taglaching schweifen. Der Damm, zuvor zwischen Bäumen versteckt, läuft hier quer durch die verschneiten Felder und ist deutlich zu sehen. Im Hintergrund plätschert die Urtel, dahinter säumen dunkle Tannen den Horizont.

Der Alte Bahndamm, der etwa zehn Kilometer lang ist, vernetzt Wälder, Bachläufe, Wiesen, Gräben und Gebüsche miteinander, bietet Flora und Fauna sowohl sumpfige als auch trockene, schattige und sonnige Plätze. Die Folge sei eine einmalig vielfältige Vegetation, in der unzählige geschützte Käfer, Schmetterlinge, Frösche, Libellen, Nattern, Bienen, Vögel, Igel und viele Tiere mehr lebten. "Hier ist die Nahrungskette einfach noch intakt", schwärmt Ettenhuber, während er einem vorüberfliegenden Silberreiher hinterherschaut. Besonders außergewöhnlich sei der Kamm der ehemaligen Trasse, von dem Schienen und Schwellen längst entfernt wurden: Die übrig gebliebene Stein- und Kiesbank speichere nämlich die Wärme bis spät in den Abend hinein, so dass sich hier einige seltene Pflanzen und Tiere besonders wohl fühlten. "Darauf können sich die Eidechsen und Schlangen wunderbar sonnen, das gibt es so sonst nirgends im Landkreis."

Etwa einen Kilometer weiter ist die Landschaft nicht mehr so weitläufig und der Damm niedriger gelegen, doch auch das hat Vorteile: "Dieser Platz hier ist zum Beispiel ideal für Vögel und Schmetterlinge", sagt Ettenhuber: Ein kleiner Quelllauf dient als Tränke, ein wilder Apfelbaum und verschiedene Beeren bieten Nahrung. Doch nicht nur das: Auch die schwarzviolette Akelei, ein seltenes, zierliches Hahnenfußgewächs, könne man hier finden. Besonders wertvoll ist laut dem 75-Jährigen auch der Abschnitt bei den Zinneberger Weihern. Viel Licht und Nässe gebe es hier auf den Wiesen, so dass sich sogar so gefährdete Pflanzen wie der Schwalbenwurz-Enzian dort angesiedelt hätten.

Für Ettenhuber und seine Naturschutz-Kollegen ist der Alte Bahndamm also ein kleines Paradies - dem mit dem Ausbau zum Rad- und Wanderweg die Vernichtung droht. "Da müsste man erhebliche Strukturveränderungen vornehmen, die diesen Lebensraum zerstören würden", sagt der ehemalige Landschaftsgärtner. Man müsste den Kamm mit schweren Rüttelplatten ebnen, einen stabilen Belag aufbringen, die Gehölze drastisch roden und sumpfige Stellen trockenlegen. "Für einen Weg, wie er da propagiert wird, braucht man ja mindestens 2,40 Meter Breite." Dadurch jedoch würden viele der kleinen Biotope rund um den Damm kaputt gemacht und die diversen Wechselspiele der Natur empfindlich gestört. Die hoch spezialisierten Schmetterlinge etwa, die Ettenhuber besonders liebt, verlören die Pflanzen, an denen sie ihre Raupen befestigen, die Ameisen könnten bestimmte Samen nicht mehr so weit wie nötig tragen und die Eidechsen fänden nicht mehr genug Insekten, ihre Hauptnahrung.

Hinzu käme nach den Bauarbeiten vermutlich ein reger Ausflugsbetrieb, Spaziergänger und Radler, Hunde, Kinder. Und auch das, klagt Ettenhuber, würde die sensible Flora und Fauna nicht tolerieren. "Manche Vögel zum Beispiel schrecken schon auf, wenn sich ihnen jemand auf 200 Meter nähert." Gegen Radfahren und Wandern habe er ja grundsätzlich nichts, betont der Naturschützer, doch eben nicht an dieser Stelle. "Es gibt hier genug Wander- und Radwege", sagt er, außerdem könne man ja auch so auf dem Damm spazieren gehen. "Aber heute muss eben immer noch ein Schild und noch ein Geländer her."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: