Wirtschaft im Landkreis Ebersberg:Begleiter auf dem Weg zu Industrie 4.0

Wirtschaft im Landkreis Ebersberg: Die Proxia-Vorstandschefin Julia Klingspor vor einer Karte mit den Firmenstandorten und mit dem Innovationspreis.

Die Proxia-Vorstandschefin Julia Klingspor vor einer Karte mit den Firmenstandorten und mit dem Innovationspreis.

(Foto: Christian Endt)

Bereits zum zweiten Mal erhält die Ebersberger Proxia Software AG eine Auszeichnung im Innovationswettbewerb Top-100.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Einkäufe per Sprachsteuerung, Haushaltsgeräte, die eigenständig Nachschub bestellen, sobald ein bestimmtes Produkt zur Neige geht - in Privathaushalten längst nicht mehr unüblich. Auch in der Industrie wird Digitalisierung großgeschrieben: Man will weg von Papier, nicht nur, wenn es um Maschinenauslastung oder Schichtplanung geht. Für die optimale Verknüpfung von Daten rund um Mensch und Maschine allerdings braucht man passende Computerprogramme - und Profis, die sie implementieren und pflegen. In der Ebersberger Proxia Software AG kommt beides zusammen - ein selbst entwickeltes, vielfältig konfigurierbares Produkt mit unterschiedlichsten Modulen, dem das Unternehmen seinen Namen verdankt und Kundenberater, die die richtigen Fragen stellen. Denn bevor Prozessdaten im Zuge von "Industrie 4.0, Smart Factory und Lean Production" überhaupt maschinell verarbeitet werden können, müssen Abläufe, die mancherorts noch in Excel-Sheets festgehalten werden oder sich aus dem mündlich überlieferten Know-How eines altgedienten Betriebsleiters speisen, erst dokumentiert und standardisiert werden.

Vor der Entwicklung steht die Beratung

"Wir sind die, die mit der Taschenlampe durchgehen und alles genau anschauen, dann besprechen wir die konkreten individuellen Rahmenbedingungen und finden heraus, was der Kunde von uns braucht", erklärt Julia Klingspor, die der Proxia (mit Betonung auf der zweiten Silbe) vorsteht. Im Juli 2012 wechselte die Juristin nach siebenjähriger Tätigkeit in einer internationalen Anwaltskanzlei in die Leitung des Ebersberger Unternehmens, das ein Jahr zuvor von ihrer Familie gegründet worden war und in dessen Aufsichtsrat sie bis dahin gesessen hatte. Der Kundenstamm, hauptsächlich aus der zerspanenden Industrie, aber auch aus den Bereichen Kunststoff, Chemie oder sonstigen Branchen, ist allerdings teilweise deutlich älter, aufgrund von bereits bestehenden Geschäftsbeziehungen zum Mutterunternehmen Coscom Computer GmbH, gegründet Ende der 80er Jahre vom im November 2021 verstorbenen Josef Schechner, Klingspors Vater.

Wirtschaft im Landkreis Ebersberg: Vor allem Industriebetriebe gehören zur Kundschaft der Proxia AG. Etwa mit Software für Fertigungsanlagen, wie sie hier Eduard Weissmüller zeigt.

Vor allem Industriebetriebe gehören zur Kundschaft der Proxia AG. Etwa mit Software für Fertigungsanlagen, wie sie hier Eduard Weissmüller zeigt.

(Foto: Christian Endt)

"Die Partnerschaft mit uns dauert teilweise länger als die durchschnittliche deutsche Ehe," fügt die Proxia-Chefin lachend hinzu, bevor sie ausführt, dass das Handling der sensiblen Daten, um die es in ihrem Business geht, ein großes Vertrauensverhältnis erfordert. Denn bei der reinen Erfassung der Daten von aktuell 11000 vernetzten Anlagen und Arbeitsplätzen bleibt es nicht. Durch die Tatsache, dass das Softwareprogramm sowohl betriebswirtschaftliche als auch technische Abläufe betrachtet und kombiniert, können diese analysiert und optimiert werden, um so Produktivität, Effizienz, Auslastung und Planbarkeit zu steigern, Kosten zu sparen und Probleme frühzeitig zu erkennen. Dies geschieht in einem kooperativen Ansatz in enger Abstimmung mit den Kunden, die nicht nur etwa durch die Bereitstellung von Demo-Versionen frühzeitig in die Entwicklung eingebunden werden, sondern deren individuelle Problemlösungen in das Standardprodukt einfließen und durch den iterativen Innovationsprozess und kontinuierliche Updates letztendlich dann auch mehr als einer einzigen Firma zugutekommen.

Wirtschaft im Landkreis Ebersberg: Am Modell eines Industrieroboters wird die Software getestet.

Am Modell eines Industrieroboters wird die Software getestet.

(Foto: Christian Endt)

Dieser offene Dialog hat dem Ebersberger Softwareunternehmen nun bereits zum zweiten Mal eine Auszeichnung im Wettbewerb "Top 100" beschert. Dort werden seit 1993 anhand von mehr als 100 Kriterien die "besondere Innovationskraft und überdurchschnittlichen Innovationserfolge" deutscher Mittelständler aus unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen in diversen Prüfungsdisziplinen untersucht. In der Kategorie "Außenorientierung/Open Innovation" erhielt die Proxia Software AG vom Team um den wissenschaftlichen Leiter Dr. Nikolaus Franke von der Wirtschaftsuniversität Wien in der Größenklasse A (Unternehmen bis 50 Mitarbeiter) als einer der "Innovationsführer des Mittelstands" das TOP 100-Siegel.

Homeoffice gab es bei Proxia schon vor Corona

Doch die Proxia begleitet nicht nur ihre Kunden auf dem Weg in die Digitalisierung. Auch das insgesamt 37-köpfige Unternehmen - rechnet man alle insgesamt neun Standorte in Europa und Nordamerika zusammen - selbst macht sich die Möglichkeiten mobiler Arbeitsformen zunutze. "Wir haben früher schon viel remote gearbeitet, jetzt tun wir das noch öfter," sagt die 44-Jährige. Gut machbar sei dies für Installation und Schulungen, sogar im Ausland, für kreative Meetings hingegen sei der persönliche Kontakt definitiv zu bevorzugen. Andererseits könne man durch die digitalen Möglichkeiten den Job sogar von weiter weg ausüben: Der Schreibtisch eines Mitarbeiters, den die Liebe nach Fernost verschlug, steht nämlich seit einigen Jahren in Japan.

Doch nicht nur das ortsunabhängige Arbeiten sorgt für die Attraktivität des Unternehmens, dessen Familienfreundlichkeit durch die Mitgliedschaft im "Familienpakt Bayern" bekräftigt wird. "Unsere Vertrauensarbeitszeit funktioniert gut, deswegen ist es absolut kein Problem, während der Arbeitszeit auch mal eine Weihnachtsfeier im Kindergarten zu besuchen - wenn nicht gerade Pandemie ist," sagt Klingspor, die als Mutter von drei Töchtern und einem Sohn zwischen fünf und zwölf Jahren selbst die Erfahrung gemacht hat, dass man mit Hilfe von Offenheit und Flexibilität zwei "Herzensdinge", also Familie und Beruf, vereinbaren kann. Vielleicht ist es also kein Zufall, dass die letzten drei Einstellungen im Entwicklungsteam Frauen waren.

Dennoch ist das Thema Mitarbeiter nicht nur allgemein für die Wirtschaft eine der größten Herausforderungen, sondern auch für die Proxia, die im Jahr 2020 ihr bestes Jahr seit der Gründung hatte und gerne weiter wachsen möchte. In erster Linie IT-affin müsse man sein und ein Faible für Technik sei im Beratungsbereich von Vorteil. Aber neben Studierenden der Informatik oder Anwendungsentwicklern seien auch Quereinsteiger mit nicht ganz stromlinienförmigen Lebensläufen willkommen. Und natürlich Auszubildende. Der Standort im Gewerbegebiet in der Anzinger Siedlung habe zudem viele Vorteile: "Kurze Wege für die, die in der Nähe wohnen, kein Stau für die von weiter weg, denn man fährt gegen den Strom. Und wenn wir auch für die Mittagspause keine fancy Restaurants haben, wie es sie in Schwabing gibt, so kann man doch den anschließenden Spaziergang mitten im Forst absolvieren!"

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