Süddeutsche Zeitung

Gastronomie im Landkreis:Von wegen stille Nacht

Nach der Bescherung noch auf einen Absacker in die Kneipe - das scheint im Landkreis Ebersberg gar nicht so selten zu sein. Doch was genau spielt sich da ab, vor und hinter dem Tresen?

Von Anja Blum, Ebersberg

Weihnachten verbringt man mit seinen Liebsten, ist doch ganz logisch. Man kocht was Schönes, schmückt den Baum, geht vielleicht gemeinsam in die Kirche, freut sich über Geschenke, singt und lacht. Doch was, wenn jemand das nicht kann? Oder nicht mag? Zumindest nicht ausschließlich? Tatsächlich gibt es im Landkreis diverse Lokalitäten, wo junge, ungebundene Menschen, Weihnachtsmuffel und Einsame auch am 24. Dezember willkommen sind. Der Bedarf ist also offenbar groß. Doch was genau spielt sich da ab, vor und hinter dem Tresen?

In Ebersberg zum Beispiel habe das Ausgehen an Heiligabend schon eine recht lange Tradition, erzählt der Gastronom Chris Appler. Einfach deshalb, weil viele junge Menschen die Kreisstadt für Ausbildung oder Studium verließen - aber an Weihnachten freilich wieder bei den Eltern zu Besuch seien. "Genau darum ist dieser Abend eine super Gelegenheit, dass sich alle mal ganz ungezwungen wiedersehen", so Appler. Schon seine Elterngeneration habe sich "nach der Christmette immer noch auf einen Absacker getroffen", in der Alten Weinstube im Oberwirt, und später habe es dann ein cooles Jugendcafé im Klosterbauhof gegeben. Als dieses dicht gemacht hatte, und Appler selbst das Artesano am Marktplatz übernahm, empfand er als junger Wirt eine entsprechende Verantwortung: "Diese schöne Tradition musste doch weiterleben, wohin sollten die Leute denn sonst gehen?"

Also öffnete das Artesano am Heiligen Abend bald nicht mehr nur seine Türen, sondern dehnte diese einmalige Zusammenkunft sogar aus auf die Marktplatzinsel: Die Straße wurde gesperrt, eine Glühweinhütte aufgebaut, "ich glaube, das Maximum waren mehr als 600 Leute", sagt Appler. Trotzdem sei das Fest immer eher ruhig und besinnlich gewesen. Die Stadt habe zudem den Bedarf gesehen und sei dem Artisano deshalb sehr entgegengekommen. "Klar, es ist ja auch besser, wenn jemand den Hut aufhat und sich kümmert, als dass sich die Menschen völlig unorganisiert treffen."

Denn nicht vergessen darf man, dass solch ein großes Fest einem Wirt neben beträchtlichen Einnahmen auch einen Haufen Arbeit beschert: Zwei Stunden lang hätten er und seine für diesen Termin ohnehin schwer zu findenden Mitarbeiter jeweils im Anschluss noch den Ebersberger Marktplatz gefegt, erzählt Appler. "Es war immer mein ehrenvoller Anspruch, dass da am 25. wirklich keine Scherbe und keine einzige Kippe rumliegt. Trotzdem ist so ein 20-Stunden-Tag natürlich irgendwie ein Drecksjob."

Doch seit drei Jahren sind diese Weihnachts-Schlachten für Appler ohnehin Geschichte, er hat mittlerweile sowohl das Business-Class-Hotel als auch das Seecafé übernommen. "Ich bin jetzt 36 Jahre alt, ich mach sowas nicht mehr", sagt er und lacht - kein Wunder, denn das Artesano ist in guten Händen. Danijel Babic hat es übernommen und feiert heuer, nach zwei Corona-Wintern, seine Heiligabend-Premiere als Ebersberger Wirt. "So wie früher" soll es werden, ein ruhiger Umtrunk für Jung und Alt ab 22 Uhr auf dem Marktplatz, auch wenn solch eine Veranstaltung eine "riesen Planung" erfordere, sagt Babic. Ihm jedenfalls liege dieser Abend sehr am Herzen, deswegen sei er auch schon sehr gespannt auf die Resonanz. "Wegen der Pandemie hat ja jetzt zwei Jahre nichts stattgefunden, deshalb kann ich überhaupt nicht abschätzen, wie viele Menschen kommen."

Ja, wie groß ist denn die Schar der Kneipengäste an diesem besonderen Abend - und werden es vielleicht immer mehr? "Meiner Erfahrung nach kommen sehr viele", sagt René Tiefnig von der Oldies Bar in Poing, "die Menschen sind sehr glücklich, wenn sie nach Bescherung und Co. noch ein bisschen Gaudi haben können." Und das Publikum sei bunt gemischt, von jungen Leuten über manch einsames Herz bis hin zu Spaziergängern, die dann ganz spontan noch auf einen Absacker einkehrten. "Aber gerade dann geht es meist doch etwas länger", sagt der 27-jährige Tiefnig und lacht. Auch er betreibt einen Glühweinstand vor der Tür, drinnen wird eine Cuba-Libre-Happy-Hour locken, los geht's um 21 Uhr. Besinnlichkeit steht in der Oldies Bar also weniger auf dem Programm, der Wirt tippt eher auf eine Schlagerparty, "das kommt eigentlich immer am besten an". Um zwei Uhr früh allerdings wird der Laden definitiv zugesperrt - "am nächsten Tag muss ich nämlich zur Oma".

Schon ein wenig aufgekratzt wirkt Raphael Stauffer, denn er blickt seinem ersten Heiligabend als Wirt entgegen. Als Sohn eines Münchner Gastronomen kenne er zwar diese Situation und finde es schön, an Weihnachten zu arbeiten, und doch sei es eben eine Premiere. Stauffer hat heuer eine Kneipe in Kirchseeon übernommen und umgebaut, er betreibt die Sixty Nine Bar in der Münchner Straße 69. Ab 21 Uhr werde es dort am 24. Dezember Glühwein und Platzerl geben, sagt der junge Wirt, Weihnachtsmützen und für Stammgäste sogar Nikolaussackerl. Denn Stauffer rechnet durchaus mit reichlich Zuspruch: Die Bar werde von 20- bis 60-Jährigen gerne besucht, und viele Gäste hätten ihr Kommen bereits angekündigt. Eine Deadline gibt es dort quasi nicht: "Normalerweise schmeiße ich erst um fünf alle raus."

Ganz dezidiert Partymachen ist auch angesagt in der Bar Valentino am Baldhamer Marktplatz. Auf deren Facebookseite jedenfalls heißt es: "Stille Nacht? Nicht mit uns! Wir feiern die Feiertage!" Am 24. Dezember habe man ab 22 Uhr geöffnet, man lädt ein zu einem Besuch "in bester weihnachtlicher Atmosphäre". Und der Andrang scheint groß zu sein, jedenfalls wird der Kauf eines der limitierten Tickets empfohlen.

Klar, so manche Kneipe bleibt am Heiligen Abend auch geschlossen. Das Allegria in Grafing zu Beispiel, das Mahagoni in Kirchseeon oder der Face Club im Hotel Poinger Hof. "An Weihnachten? Das kommt für uns überhaupt nicht infrage", lautet die klare Antwort von dort.

Wieder andere weichen terminlich etwas aus, das Sacherl in Maria Altenburg etwa lädt bereits an diesem Freitag, 23. Dezember, zum "Weihnachtseinläuten", von 17 bis 23 Uhr gibt es dort an der Feuerschale reichlich Glühwein, Steaksemmeln sogar und Livemusik. Oder in Glonn, da bietet der Marktblick am 24. bereits ab 9 Uhr einen Weißwurstfrühschoppen, "am Nachmittag kommt dann traditionell die Jugend vorbei. Das wird den ganzen Tag ein schönes Kommen und Gehen sein", prophezeit Wirt Markus Steinberger. Um etwa 16 Uhr allerdings ist am Glonner Marktplatz dann Schluss, auch aus Rücksicht auf die Nachbarn. "Schließlich kommt es nicht überall gut an, wenn an diesem eigentlich besinnlichen Abend gefeiert wird", sagt der Gastronom. Außerdem hätten er und seine Frau Ilonka zwei kleine Kinder - und die seien an Weihnachten immer noch das Allerwichtigste.

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