Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl 2023:Und immer wieder Berlin

In Vaterstetten eröffnet Bayerns FDP-Chef Martin Hagen den Landtagswahlkampf - der sehr im Schatten der Bundespolitik stehen wird.

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Sollte die FDP noch ein Lied für den aufziehenden Landtagswahlkampf suchen, es böte sich der alte Schlager an mit dem Titel: "Ich hab noch einen Koffer in Berlin". Wie sehr die Bundespolitik die Landesthemen oft überstrahlt, wurde nun auch beim Wahlkampfauftritt im Ortsverband des bayerischen FDP-Chefs deutlich: Während Martin Hagen in Vaterstetten das Programm für die Landtagswahl skizzierte, war der Koffer aus der Hauptstadt nie weit weg.

Dabei, so der Landeschef, sei "die Bilanz der Staatsregierung in vielen Bereichen ausbaufähig". Hagen nannte hier etwa das Thema Bildung. Dem hohen Anspruch, den Bayern immer an sein Schulsystem habe, werde der Freistaat längst nicht mehr gerecht, was sich unter anderem am chronischen Lehrermangel zeige. Wenn die Staatsregierung jetzt Lehrkräfte aus anderen Bundesländern abwerben wolle, zeige das nur, dass es nicht gelungen sei, das Lehramtsstudium und auch den Beruf attraktiv genug zu machen. Hier schlug der FDP-Chef unter anderem vor, dass Lehrkräfte auch nach Leistung bezahlt werden sollten: "Engagement darf sich finanziell lohnen."

Die "Skandale und Skandälchen" der CSU sollten es der FDP eigentlich leicht machen

Auch das Kernthema der FDP, die Wirtschaftspolitik, könnte in Bayern besser laufen, befand Hagen. Der zwar der CSU zumindest in der Vergangenheit einige Verdienste dafür zugestand, dass Bayern derzeit wirtschaftlich gut dastehe. Nur, so der Landesvorsitzende weiter, dafür, dass das auch in Zukunft so sei, werde zu wenig getan. Der derzeit zuständige Minister, Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, "wird uns mit ein paar launigen Reden in Erinnerung bleiben - und mit seinen Wischmopps", sagte Hagen in Anspielung auf die Beschaffungspolitik des Wirtschaftsministeriums in der Corona-Krise. Was er aber vermisse, so der FDP-Chef, sei "Wirtschaftskompetenz - da ist nicht viel geboten".

Daneben streifte Hagen die vielen "Skandale und Skandälchen" welche sich die aktuelle Regierungspartei so leiste - allen voran die Heimlichtuerei um die Probleme der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Wie nötig eine Verbesserung beim Nahverkehr sei, brauche man in Vaterstetten nicht extra zu betonen - dass es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern wird, bis diese kommen und ein Vielfaches dessen kosten soll, wie ursprünglich veranschlagt, nannte Hagen "ein Desaster im Ausmaß des Berliner Flughafens". Das die CSU vor knapp zwei Jahren vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen versucht hat. Hagen zitierte ausgiebig aus entsprechenden Berichterstattungen, wonach man in der Staatskanzlei den schleppenden S-Bahn-Ausbau als "kein Gewinnerthema" betrachte, das man nicht öffentlich machen solle.

Die Ampel-Regierung sei besser als ihr Ruf, so Martin Hagen - und die FDP auch

All das wären dagegen eigentlich Gewinnerthemen für die politische Konkurrenz, wie etwa die FDP - wäre da nicht das schwere Gepäck aus Berlin. Dass die Regierungsbeteiligung im Bund im Landtagswahlkampf oft nicht vorteilhaft ist, daraus machte Hagen gar kein Geheimnis, dennoch glaube er, dass die Ampel und die Beteiligung der FDP an der Regierung bis zur Wahl im Herbst noch besser bewertet würden.

Das Hauptproblem nannte Hagen die "unerledigten Aufgaben der Regierung Merkel". So habe die neue Regierung seit 2021 einen Reformstau von 16 Jahren zu bewältigen - und dann kam vor einem Jahr auch noch der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen. Welche die Bundesregierung im Übrigen gut gemeistert habe, so Hagen weiter, weder Blackouts noch Pleitewelle oder die befürchteten Unruhen habe es gegeben.

Dass sich dies aber nicht in guten Umfragewerten für die FDP niederschlage, liege auch daran, dass die Liberalen oft als Neinsager in der Koalition wahrgenommen würden. Dieses Problem thematisierten auch einige der Anwesenden und stellten die Frage, was man in den kommenden Monaten potenziellen Wählern auf diesen Vorwurf antworten könne. Man müsse erklären, warum man gegen etwas sei, und was man besser machen wolle, so Hagen: "Unsinn zu verhindern, ist eine gute Sache."

Dass sich FDP und Grüne etwas schwer miteinander tun, leugnet niemand

Er verwies hier etwa auf den jüngsten Vorstoß der FDP, durch künstliche Treibstoffe mit neutraler Klimabilanz - sogenannte E-Fuels - auch nach 2035 neue Verbrennungsmotoren in Autos zuzulassen. Oder die Zweifel der Liberalen daran, dass schon von kommendem Jahr an keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden sollen. Die Grünen könnten ihre Positionen, auch wenn diese nicht immer sinnvoll seien, leider oft besser erklären, so Hagen mit einem kleinen Seitenhieb auf den Koalitionspartner in Berlin.

Vielleicht brauche es da eine andere Strategie, merkte Renate Will an. Aus ihrer Zeit als Landtagsabgeordnete wisse sie, dass man unter Koalitionspartnern auch mal handeln müsse. So könnte man doch den Grünen beim Tempolimit entgegenkommen, "wo ist denn da das Problem?" Widerspruch kam prompt von einem anderen Urgestein der Vaterstettener FDP: Das Tempolimit, so Udo Engelhardt, sei ein weiterer Versuch, die Freiheit der Menschen scheibchenweise abzuschaffen. Der Koffer aus Berlin scheint so schnell nicht leichter zu werden.

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