Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Frei nach Wittgenstein

Nun steht fest: Der Bau der Umgehungsstraße für die nördlichen Vaterstettener Ortschaften wird für die Gemeinde um 4,5 Millionen Euro teurer. Die Politik bleibt dabei erstaunlich gelassen.

Von Wieland Bögel

4,5 Millionen Euro haben oder nicht, das ist selbst in finanziell besser gestellten Kommunen, als es Vaterstetten ist, keine Kleinigkeit. Doch ausgerechnet in der chronisch klammen Großgemeinde wird die Aussicht, die ohnehin umstrittene Umfahrung Weißenfeld-Parsdorf ohne einen Millionenzuschuss stemmen zu müssen, im zuständigen Gemeinderatsgremium komplett ignoriert. Dass keines der Gremienmitglieder die Sitzungsvorlage gelesen hat, kann man als Erklärung getrost ausschließen - ganz im Gegenteil.

Denn die verdächtige Stille deutet eher darauf hin, dass der Passus mit dem entgangenen Zuschuss niemandem im Ausschuss entgangen ist. Allerdings scheint auch niemand daran interessiert, die Sache an die große Glocke zu hängen - aus ganz unterschiedlichen Gründen. Seitens der Verwaltung könnte dieser darin bestehen, ansonsten zugeben zu müssen, dass im Rathaus ein Vertrag geschlossen wurde, der alles andere als wasserdicht ist. Zwar hat der Investor für die Umfahrung, die wegen der durch sein Gewerbeprojekt mitverursachten Verkehrszunahme nötig wird, einen Zuschuss zugesagt - allerdings mit Verfallsdatum. Ein solches einzubauen, widerspricht allen Erfahrungen mit öffentlichen Großprojekten, bei denen meist gilt: Es wird ein bisschen später. Dass man sich also seitens der Gemeinde auf einen Zehn-Jahres-Plan eingelassen hat, bedeutete von Anfang an ein hohes Ausfallrisiko.

Eines, auf das die Gegner der Umfahrung auch schon frühzeitig hingewiesen hatten. Neben dem hohen Flächenverbrauch waren ja die hohen Kosten das Hauptargument gegen die Trasse. Dass man diese durch den Investorenzuschuss mindern könne, wurde eben wegen des knappen Zeitplans von den Kritikern des Projektes stets bezweifelt. Dass diese nun aber nicht in Jubel und Triumph ausbrechen, sondern es schweigend zur Kenntnis nehmen, dass die Realität ihre Prognosen bestätigt hat, zeugt von politischer Klugheit. Denn je weniger sie sich als schlechte Gewinner aufspielen, desto eher werden die Befürworter der Umgehung ihr zumindest vorläufiges Aus akzeptieren. Und auf dieser Seite ist man offenbar auch schon dabei, von der Straße Abschied zu nehmen. Die Verzögerung und der damit verbundene Verlust des Zuschusses - den man früher stets als Voraussetzung für die Finanzierbarkeit der Umgehung betont hatte - werden schweigend zur Kenntnis genommen.

Denn selbst dem eingefleischtesten Fan der Umfahrung dürfte völlig klar sein, dass auch der neue Zeitplan unmöglich zu halten ist. Das Auftragsbuch der Gemeinde ist dick gefüllt mit Projekten: die Gemeindewohnungen an der Dorfstraße, die Sanierung der Schule Brunnenstraße, das neue Kinderhaus bei Maria Linden, die neue Turnhalle der Wendelsteinschule - die insgesamt in ein paar Jahren entweder generalsaniert oder gleich neu gebaut werden muss - die neue Gemeindebücherei und vielleicht auch ein neues Rathaus. Wo man da noch die Zeit und das Geld hernehmen soll, eine Umgehung zu bauen, wird niemand ernsthaft beantworten können. Offiziell absagen kann man das Projekt aber auch nicht, schließlich hat man es den Parsdorfern und Weißenfeldern seit Jahrzehnten versprochen. Also hält man sich an den viel zitierten Satz von Ludwig Wittgenstein: " Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."

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