Maria Seidl ist viel im Landkreis Ebersberg unterwegs. Als freiberufliche Hebamme besucht sie Frauen vor oder nach der Geburt in deren Zuhause, um ihnen fachkundig bei allen Fragen, Sorgen und Schwierigkeiten rund um Schwangerschaft und Baby zur Seite zu stehen. Fünf neue Frauen könne sie pro Monat annehmen, allesamt rund um ihren Wohnort Moosach – alles andere wäre zu viel Herumfahrerei. Trotzdem erhält sie immer wieder Anfragen aus dem gesamten Landkreis, manchmal sogar aus dem 30 Kilometer entfernten München. „Ich musste leider schon des Öfteren Frauen am Telefon abweisen“, sagt sie. Einige von ihnen kommen sicherlich woanders unter. Andere vermutlich aber auch nicht.
Denn erwiesen ist: Längst nicht jede Frau bekommt eine Begleitung durch eine Hebamme – es gibt zu wenige, um die Nachfrage zu erfüllen. In einer Studie zur Hebammenversorgung im Freistaat Bayern in den Jahren 2000 bis 2017 zeigt sich, dass etwa 35 Prozent der befragten Mütter keine Unterstützung durch eine Hebamme in Anspruch genommen haben. Etwa mehr als 16 Prozent dieser Frauen geben an, die Hebammen seien zeitlich nicht verfügbar gewesen. Insgesamt hat der Studie zufolge jede vierte Frau die Suche nach einer Hebamme als sehr schwer oder schwer empfunden.
Schwierig gestaltet es sich vor allem, eine Hebamme für die Zeit vor der Geburt und im Wochenbett zu finden – während der Geburt scheint die Versorgung sichergestellt. Maria Seidl vermutet, dass der Grund für diesen Mangel unter anderem in den Arbeitszeiten von freiberuflichen Hebammen, die zusätzlich in Kliniken im Schichtdienst tätig sind, liegt. „Sie arbeiten dort oft Vollzeit bis zu zwölf Stunden am Tag“, erklärt sie. Für diejenigen, die keine 60-Stunden-Woche haben möchten, bleibt dadurch kaum Zeit übrig für die zusätzliche Betreuung in Form von Hausbesuchen rund um die Entbindung herum.
Obwohl der Mangel an Hebammen in der klinischen Geburtshilfe weit weniger dramatisch zu sein scheint: Auch dieser ist vorhanden. Laut Mechthild Hofner, Erste Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbands, gibt es ihn „vorwiegend nur an Standorten mit schlechten Arbeitsbedingungen“. Diese seien aber leider keine Seltenheit in der klinischen Hebammenarbeit: Überstunden, Urlaubsvertretungen und eine schlechte Bezahlung gehörten für einige Klinikhebammen zum Berufsalltag. Hofner zufolge könnte das ein Grund sein, weshalb sich viele frisch examinierte Hebammen gegen die Arbeit in der Geburtshilfe in Kliniken entscheiden und lieber in der aufsuchenden Betreuung, also als freiberufliche Hebammen Frauen vor und nach der Geburt begleiten.
Akademisierung:Per Studium zum ältesten Handwerk der Welt
Babyboom und immer mehr Bürokratie: Der Hebammenberuf wird stetig fordernder. Gerade deswegen aber sehen viele Hebammen im Landkreis die Umstellung von Ausbildung auf Unifach kritisch.
Um dem Mangel in der Branche entgegenzuwirken, gibt es laut dem Bayerischen Gesundheitsministerium bereits unterschiedliche Ansätze. Demnach wird aktuell an der sogenannten „Helper-Studie“ gearbeitet. Hebammen, Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten können dafür an einer Befragung teilnehmen. Dadurch sollen konkrete Probleme und Schwierigkeiten herausgearbeitet werden: „So sollen Bereiche mit Versorgungslücken und regionale Engpässe rechtzeitig aufgedeckt werden“, teilt eine Sprecherin des Ministeriums der SZ mit. Anschließend könne man Methoden entwickeln, die dem Hebammenmangel entgegenwirken sollen. Welche Vorgehensweisen das sein könnten, lasse sich bislang nicht sagen: „Es bleibt zunächst das Ergebnis der Studie abzuwarten“, so die Sprecherin weiter.
Darüber hinaus unterstützt das Bayerische Gesundheitsministerium schon jetzt Förderprogramme: Seit 2018 können Hebammen einen Bonus von 1000 Euro erhalten, wenn sie mindestens vier Geburten im Jahr freiberuflich begleitet haben, wie es aus dem Ministerium heißt. Außerdem können freiberufliche Hebammen in Bayern eine einmalige Niederlassungsprämie in Höhe von 5000 Euro erhalten. Darüber hinaus gibt es ebenfalls seit 2018 das „Zukunftsprogramm Geburtshilfe“, wie die Ministeriumssprecherin weiter mitteilt. Unter anderem können Kommunen hier für jedes neugeborene Kind eine Förderung von bis zu 40 Euro erhalten. Das Geld können sie dann für Maßnahmen einsetzen, die einer verbesserten Hebammenversorgung zugutekommen – zum Beispiel für Werbemaßnahmen zur Personalgewinnung oder um Koordinierungsstellen einzurichten.
Manchmal braucht es aber auch nur einen Anruf, ehe eine Hebamme gefunden ist
Und trotzdem scheint das nicht auszureichen, damit alle Frauen mit einem Bedarf nach einer Hebamme versorgt sind. Maria Seidl leitet diejenigen, die sie ablehnen muss, gerne an Hebammenpraxen weiter, wie sie sagt. Ihre Kolleginnen dort gelten zwar auch als selbständig arbeitend, scheinen aber weit weniger Frauen wegschicken zu müssen: „Die Praxen sind besser besetzt und die Hebammen dort können sich untereinander vertreten“, sagt Seidl.
Lena Waldleitner zum Beispiel wurde nicht weggeschickt. Die 29-Jährige hat vor knapp sieben Monaten ihr erstes Kind bekommen. Nach den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft hat sie sich in Ebersberg auf die Suche nach einer Hebamme gemacht – und nach nur einem Anruf in einer Praxis sofort eine gefunden.
Die Erfahrung von Lavinia Lungu klingt ähnlich: Auch bei ihr hat es nur einen Anruf in einer solchen Praxis gebraucht – und das, obwohl sie sogar ein besonderes Kriterium hatte. „Ich dachte, die Suche wird schwer, weil ich eine englischsprachige Hebamme gebraucht habe“, sagt sie.
Könnte die Zukunft der aufsuchenden Geburtshilfe vor und nach einer Entbindung also in Hebammenpraxen liegen? Ganz so einfach ist es nicht. „Hebammenpraxen sind ja immer mit Kosten verbunden“, sagt Maria Seidl, „es braucht Räume, die gemietet oder gekauft werden müssen und es müssen sich auch immer Kolleginnen finden, die zusammen arbeiten.“
Mechthild Hofner vom Bayerischen Hebammenverband sagt, dass die Arbeitszufriedenheit generell steigen müsse in dem Beruf – und das gelinge unter anderem durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen, besonders in Kliniken. Auch eine Intensivierung in den Aufbau der Koordinierungsstellen aus dem „Zukunftsprogramm Geburtshilfe“ des Bayerischen Gesundheitsministeriums scheint ein erfolgreicher Ansatz zu sein. Denn überall dort, wo es solche Stellen gibt, könne die Versorgung bei der aufsuchenden Betreuung laut Hofner fast lückenlos erfolgen.