Süddeutsche Zeitung

Mobilität in Ebersberg:Prüfung auf zwei Rädern

Wie fahrradfreundlich ist der Landkreis? Das will eine Kommission bei einer Tour durch Ebersberg und Grafing herausfinden.

Von Jonas Braun, Ebersberg

Es ist ein merkwürdiger Tross grellgelb gekleideter Radfahrer, der sich da durch Ebersberg, Grafing und Umgebung bewegt. Immer wieder macht die Gruppe halt, es wird auf Straßen, Fahrradwege und Schilder gedeutet und diskutiert. Aber schließlich geht es auch nicht um entspannenden Fahrradgenuss am Nachmittag - vielmehr entscheidet sich da gerade auf den Radwegen den Landkreises, ob der Kreis die Zertifizierung zur "Fahrradfreundlichen Kommune in Bayern" erhält, die die politisch Verantwortlichen seit Jahren anstreben.

Über den Panoramaradweg geht es durch Wälder und über grüne Wiesen, vorbei an mannshohen Maisfeldern. Man radelt durch kleine Dörfer, überquert Brücken und umfährt Kreisverkehre. Der lange Zug wird angeführt von Karl-Heinz Schmeling vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Er hält Funkkontakt zum Schlusslicht, damit niemand auf der insgesamt über 15 Kilometer langen Strecke verloren geht.

Begonnen hat das Vorhaben bereits 2018, als der Landkreis den Antrag stellte, als fahrradfreundliche Kommune zertifiziert zu werden. Bei der sogenannten Vorbereisung 2019 prüfte eine Expertenkommission der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern ( AGFK) ein erstes Mal die Fahrradtauglichkeit des Landkreises. "Da haben wir einige Hausaufgaben bekommen", erklärt Landrat Robert Niedergesäß (CSU). Kritikpunkte waren etwa der Internetauftritt, die Beschilderung und das Baustellenmanagement. Seitdem hat der Landkreis viele Empfehlungen der AGFK umgesetzt. Doch reicht das? Das soll nun die sogenannte Hauptbereisung zeigen.

Begonnen hatte der Tag allerdings nicht direkt auf dem Fahrradsattel, sondern im Kreissparkassensaal. Hier wurde der Kommission eine 120-seitige Präsentation vorgestellt. Anhand von fünf Themenblöcken, die sich an den Aufnahmekriterien der AFGK orientieren, wurde gezeigt, wie sich der Landkreis für den Radverkehr einsetzt, wie mit den Mängeln aus der Vorbereisung umgegangen wurde und was für die Zukunft geplant ist. "Wir haben für die Kommission zusammengefasst, welche kommunalpolitischen Zielsetzungen der Landkreis für die Radverkehrsförderung hat", sagt die Tourismus- und Radverkehrsbeauftragte Alexandra Holzfurtner, die die Präsentation hielt. Außerdem ging es um fahrradfreundliche Infrastruktur, den Service für den Radverkehr und darum, wie man ein fahrradfreundliches Klima und nachhaltige Mobilität fördern kann.

Die Expertenkommission ist am Nachmittag auf geliehenen E-Bikes auf der Tour mit dabei: Sarah Guttenberger, Geschäftsführerin der AGFK, Baurat Martin Singer aus dem Verkehrsministerium und Robert Burschik vom ADFC. Zuständig für die Route und die verschiedenen Stopps ist Wirtschaftsförderer Augustinus Meusel. Berücksichtigt werden darüber hinaus Wünsche der AGFK, die sich beispielsweise auch für Abstellmöglichkeiten beim Einzelhandel interessiert.

Als sich der Zug in Bewegung setzt, ist deshalb der Aldi in Ebersberg das erste Ziel, hier werden die Fahrradständer begutachtet. Danach geht es weiter Richtung Grafing. Niedergesäß ist zuversichtlich, die Zertifizierung zu erhalten: "Man hat nach der Vorbereisung vier Jahre Zeit, um die Handlungsempfehlungen umzusetzen", sagt er, der Landkreis habe das aber in zwei Jahren geschafft. "Man sieht, dass die Leute hier engagiert sind und Geld in die Hand genommen wurde", lobt Sarah Guttenberger, während die Fahrrad-Kolone an einem Maisfeld vorbeirollt. Bei manchen Stationen und auf dem Weg werden immer wieder kleinere Sachen wie ungenügende Beschilderung bemängelt, im Großen und Ganzen scheint die Kommission aber zufrieden zu sein. Zwar stellt diese das Zertifikat letztlich nicht selbst aus, sondern gibt lediglich eine Empfehlung an das Verkehrsministerium - die Anerkennung sei dann aber meist nur noch reine Formsache, berichten die Mitglieder der Kommission.

Dieses Jahr habe sie bereits 40 Bereisungen hinter sich, erzählt Guttenberger. "Wir bekommen zurzeit so viele Mitgliedsanträge, dass wir fast nicht hinterherkommen", sagt sie. Auf dem Marktplatz von Grafing gibt es einen längeren Zwischenhalt. Burschik bemängelt hier, dass die Fernradwege und das lokale Radwegnetz nicht gut genug koordiniert sind. "Wir arbeiten daran", lautet die diplomatische Antwort. Auch die Bemühungen, mehr Radwege zu bauen, um mehr Leute zum Fahrradfahren zu motivieren, werden angesprochen. "Wer Radwege sät, wird Radverkehr ernten", sagt Augustinus Meusel, der bei jeder Station Erklärungen zu den Ansätzen des Landkreises liefert.

Der Panoramaradweg führt wieder aus der Stadt hinaus und kurz vor Ebersberg kommt die erste und letzte Steigung auf die Radler zu. Mit der haben manche der Teilnehmer ohne E-Bike ein wenig zu kämpfen. Oben angekommen, ist der Ausblick die Anstrengung aber wert. Oder? "Da hinten sollte man eigentlich die Alpen sehen", sagt Meusel und lacht. Wegen des Wetters kann man nicht viel hinter den dunklen Wolken erkennen, der Blick reicht nur bis zu den sanften Hügeln in der Umgebung. Zu allem Überfluss beginnt es jetzt auch noch zu tröpfeln.

Beim letzten Halt wird wieder diskutiert. Es geht um den Gehsteig gegenüber des Landratsamtes. Hier steht zwar ein Schild mit "Fahrrad frei", der graue Streifen ist aber zu eng, um in beide Richtungen befahren zu werden. Die Experten sind sich uneins. "Wenn der Radweg einseitig wird, müssten die Radler, die in Richtung Sparkassenplatz unterwegs sind, auf der Straße fahren", erklärt Burschik. Das wäre dann wieder problematisch für die Schüler, für die das häufig der Schulweg ist, gibt Meusel zu bedenken.

Zurück im Saal zieht sich die Expertenkommission zurück, um sich über ihr Urteil zu beraten. "Es ist interessant zu sehen, wie so eine Bereisung abläuft", sagt Georg Holley (CSU). Der Radwegbeauftragte von Markt Schwaben will von den Erfahrungen auch etwas für seine Gemeinde mitnehmen. "Es ist nur von Vorteil, wenn auch die Gemeinden die Bemühungen des Landkreises abkupfern", erklärt er. Landrat Niedergesäß stimmt ihm zu: "Es geht weniger darum, das Label zu bekommen, wichtiger ist es, Impulse zu setzen."

Fahrradfreundliche Kommune

Die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern (AGFK Bayern) ist ein Netzwerk bayerischer Kommunen, das 2012 von 38 Gründungsmitgliedern und mit Unterstützung der Bayerischen Landesregierung ins Leben gerufen wurde. Sie engagiert sich für mehr Radverkehr "und somit für mehr Lebensqualität und Umweltschutz", wie sie über sich selbst sagt. Derzeit besteht die Arbeitsgemeinschaft aus 83 Kommunen, die durch konkrete Projekte und Aktionen besonders den Radverkehrsanteil im Rahmen einer umweltfreundlichen Nahmobilität bei der Verkehrsmittelwahl vor Ort erhöhen. Dazu zählen sowohl die Förderung einer radverkehrsfreundlichen Mobilitätskultur, als auch der Ausbau von Radwegen und die Erhöhung der Sicherheit für Radfahrerinnen und Radfahrer. Im Landkreis Ebersberg hat Poing als erste Gemeinde die Zertifizierung erhalten, nach dem positiven Votum des Kommission wird der Landkreis nun folgen. Der Titel "Fahrradfreundliche Kommune in Bayern" wird im Rahmen eines Festaktes durch einen politischen Vertreter des Freistaates verliehen und hat sieben Jahre Bestand. SZ

Nach einer guten halben Stunde steht Sarah Guttenberger hinter dem Rednerpult und verkündet ihr Urteil. Sie lobt die gute Organisation und man kann bereits absehen, wie das Urteil ausfallen wird. Sie habe gesehen, dass die Motivation vorhanden sei, "man zieht hier an einem Strang und die wesentlichen Punkte der Vorbereisung wurden erfüllt". Guttenberger hebt auch die Zusammenarbeit des Landkreises mit dem ADFC in den Vordergrund, sie kenne kaum Kommunen, wo das so gut funktioniert. "Radverkehr ist eine Daueraufgabe", gibt sie aber auch zu bedenken und nennt noch ein paar wenige Dinge, die der Kommission während der Bereisung aufgefallen sind und die man verbessern sollte: Schranken auf Fahrradwegen sollen auf ihre Notwendigkeit überprüft und entfernt werden, man brauche eine eindeutigere Radverkehrsführung, die Beschilderung könnte man noch Schritt für Schritt verbessern. Alles in allem kam die Expertenkommission aber einstimmig zu dem Ergebnis, Ebersberg für die Zertifizierung zu empfehlen.

"Es ist eine Ehre, diese Auszeichnung zu bekommen", sagt Robert Niedergesäß zum Abschluss, "aber auch eine Verpflichtung". Man wolle mit voller Kraft weiterfahren, bevor dann in sieben Jahren die Rezertifizierung ansteht. "Es gibt gute und noch bessere Arbeitstage", sagt er, doch dieser "wird in Erinnerung bleiben".

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Quelle:
SZ vom 20.09.2021
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