Auf den selbsternannten Querdenker-Demos, die während der Corona-Pandemie mal mehr, mal weniger Leute auf die Straße brachten, war ein Utensil erstaunlich häufig zu sehen: die schwarz-weiß-rote Reichsflagge. Ein Erkennungszeichen der Reichsbürgerszene, deren Mitglieder den Staat Deutschland in seiner heutigen Form nicht anerkennen wollen. Reichsbürger sind auch im Landkreis Ebersberg seit Jahren aktiv, besonders im Plieninger Ortsteil Landsham. Gegen die Mitglieder dieser Reichsbürger-Gruppe läuft derzeit ein Verfahren. Doch hat die Szene im Landkreis trotzdem Zulauf?
Der Verfassungsschutzbericht 2020 des bayerischen Innenministeriums führt die dort beheimatete Gruppe "Volksstaat Bayern" unter der Überschrift "sicherheitsgefährdende Bestrebungen". Die Gruppe zähle etwa 30 Mitglieder und sei vor allem in Bayern und Rheinland-Pfalz aktiv. Der "Volksstaat" habe sich im Dezember 2015 gegründet, hieß zunächst allerdings "Bundesstaat Bayern" und taufte sich erst drei Jahre später auf seinen derzeitigen Namen, heißt es weiter. Eine Umbenennung erscheint per se nicht unpassend, schließlich befinde sich der "Volksstaat Bayern" in "Reorganisation", wie es auf der Internetseite der Gruppierung heißt. Neben allerlei bekannten Reichsbürger-Argumenten findet sich auf der "Weltnetzseite", wie sich die Webseite in Frakturschrift selbst bezeichnet, auch ein heikler "Online-Shop". Bis heute können sich Reichsbürger über die Seite illegale Ausweispapiere bestellen.
Und dieser "Ausweis-Shop" ist auch Grund für Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in München. Die "führt ein umfangreiches Verfahren gegen eine Vielzahl von Mitgliedern und Beteiligten", wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagt. Dabei gehe es unter anderem um Urkundendelikte, wie das Vertreiben und Erwerben von gefälschten Personaldokumenten und Führerscheinen. Bei mehreren Hausdurchsuchungen bei Führungspersonen des "Volksstaates" - unter anderem in Pliening - seien laut Verfassungsschutz bereits Waffen, Munition, die sogenannte "Staatskasse", falsche TÜV-Plaketten und Ausweispapiere sichergestellt worden. Das Verfahren "wegen des dringenden Tatverdachts der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung sowie Amtsanmaßung" läuft demnach seit 2017. Da die Ermittlungen hierzu noch nicht "zur Gänze gegen alle Beteiligten" abgeschlossen seien, könne man keine umfassenden Auskünfte geben, ergänzt die Staatsanwaltschaft.
Liest man im entsprechenden Gesetz nach, könnte es für die Beschuldigten bei einer Verurteilung aber ernst werden. Für Urkundenfälschung kann eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Allerdings dürfte es sich bei dem Landshamer "Volksstaat" um einen besonders schweren Fall handeln, bei dem "gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande" gehandelt wurde. Dann sieht das Gesetz ein Mindeststrafmaß von sechs Monaten vor - und erlaubt bis zu zehn Jahre Haft.
Auch am Amtsgericht Ebersberg ist die Reichsbürgerszene keine Unbekannte. Alleine seit Juli vergangenen Jahres seien insgesamt 13 Verfahren gegen Reichsbürger aus dem Landkreis Ebersberg verhandelt worden, teilt das Amtsgericht mit. Etwa die Hälfte davon in einer Hauptverhandlung, die restlichen per Strafbefehlsverfahren, bei dem das Gericht ohne Verhandlung entscheidet. Aktuell sei kein anhängiges Strafverfahren bekannt. Die Reichsbürger haben sich laut Amtsgericht hauptsächlich wegen "Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zur Amtsanmaßung" strafbar gemacht. Wieder lag der örtliche Schwerpunkt der Beschuldigten in Landsham. Mindestens zehn der Verfahren seien direkt den Landshamer Reichsbürgern zuzuordnen.
Immerhin scheinen die Bemühungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft eine abschreckende Wirkung zu haben. Wie das Polizeipräsidium Oberbayern Nord, das für die Reichsbürgerszene in Landsham zuständig ist, mitteilt, seien die Mitgliederzahlen aus Sicht der Polizei dort rückläufig. Allerdings verweist auch die Polizei auf die laufenden Ermittlungen. Das Verfahrensoll laut Verfassungsschutzbericht voraussichtlich 2021 beginnen. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilt, seien aber noch keine Verhandlungen terminiert.